Für ein Hotelzimmer hat er keine Kohle … und ich auch nicht. Meine Kreativität stößt schnell an ihre Grenzen. Mir fällt nichts weiter ein. Gerade im BDSM spielt das Kopfkino eine große Rolle. Ich erinnere mich daran, wie Liam in unserer ersten gemeinsamen Nacht mehrmals an dieser Wundertüte zugange war und ich mich durchgehend gefragt habe, was wohl als nächstes passieren wird … Und ich bin durchaus nicht nur von schönen Dingen ausgegangen.
Die Aufregung löste ein begieriges Prickeln aus. Wie auch in diesem Moment. Fünf Monate später. Ich bin damals nicht davon ausgegangen, dass wir über diesen Zeitraum in Kontakt bleiben werden. Das Leben ist nicht vorhersehbar.
Ob Liam und ich irgendwann an eine Mauer stoßen werden und ich durch ihn nichts Neues mehr erleben kann? Wer weiß …
Ich lasse den weiteren Tag auf mich zukommen.
Wir befinden uns im Stadtteil St.Pauli. Er biegt in die Glacischaussee ab und reduziert die Geschwindigkeit.
„Willst du hier parken?“, frage ich, um nun endlich herauszufinden, wie sein Plan ausschaut.
„Genau.“
„Aber der Hamburger Dom hat noch zu …“, merke ich an.
„Ich weiß. Da das Wetter gut ist, dachte ich, wir könnten in Planten un Blomen etwas spazieren gehen.“
„Schöne Idee. Darf ich die Klemmen abnehmen?“ Liam nickt kurz. Konzentriert schaut er nach einem freien Parkplatz.
Ein Spaziergang ist eine gute Möglichkeit, um mit mir das Gespräch zu führen, auf das ich schon viel zu lange gespannt warte.
Nachdem wir einen Parkplatz gefunden haben, gehen wir stillschweigend nebeneinander her. Erst, als wir den Eingang des Parks ein paar Meter hinter uns gelassen haben, ergreift Liam das Wort.
„Möchtest du ein Eis?“ Links vor uns steht ein Kiosk.
„Da sage ich nicht Nein“, bejahe ich seine Frage.
Ich wähle ein günstiges Eis aus. Den Flutschfinger. Obwohl ich eher Lust auf ein Magnum Mandel habe. Aber ich finde es süß genug, dass er mich einlädt, obwohl es ihm finanziell nicht gut geht. Erst, als er bezahlt, sehe ich, welches Eis er genommen hat … Magnum White. Ich verkneife mir jeglichen Kommentar und nehme dankbar mein Eis an.
„Lass uns mal eine Sitzmöglichkeit suchen.“ Liam geht voran, ich folge.
„Ich weiß auch schon wohin. Ich bin echt gerne hier. In der Zeit, als ich noch in der Bar getanzt habe, war ich oft in diesem Park. Ich mag die Anlage, die Natur. Da kann man wunderbar in Ruhe seinen Gedanken nachgehen.“
Ich erinnere mich an ein Foto, welches er auf Facebook gepostet hatte. Da saß er auf einer Bank in der Sonne. Ich verdammte Stalkerin habe sein Profil so weit heruntergesrcollt, bis ich bei seiner Anmeldung angelangt war. Hätte ja sein können, dass ich aufschlussreiche Informationen über ihn finde …
„Ich finds auch schön hier. Vor allem, dass so eine riesige Grünanlage mitten in der Stadt liegt …“, bemühe ich mich, die Unterhaltung aufrechtzuerhalten.
„Das stimmt. Das ist wirklich cool.“
Meine letzte Erinnerung an diesen Park ist allerdings nicht sonderlich positiv. Auf der anderen Seite der Anlage teilte er mir vor ein paar Monaten mit, dass er Hamburg verlassen wird …
Und nun spazieren wir hier wieder nebeneinander her. Wieder ohne körperliche Nähe. Aber wir verspeisen auch gerade unser Eis. Ich bin gut damit beschäftigt, da es sehr schnell schmilzt und ich mich nicht vollkleckern möchte.
Mein Eis droht in den nächsten Sekunden das Zeitliche zu suchen, daher schiebe ich mir den ganzen Rest in meinen Mund. Was verdammt kalt ist! Dementsprechend verzerrt muss mein Gesichtsausdruck aussehen.
„Hahaha! Da nimmt sie den Mund mal wieder zu voll!“, macht Liam sich über mich lustig.
Ich bleibe stehen, wedle wild mit meiner Hand vor meinem Mund herum, den ich leicht geöffnet habe, damit die kalte Luft entweichen kann. Gleichzeitig versuche ich, das aufgelöste Eis herunterzuschlucken, ohne mich zu verschlucken.
„Du bist echt ne Marke“, kommentiert Liam meine Gestiken und Mimiken und wuschelt mir einmal über den Kopf.
„Geht’s wieder?“, erkundigt er sich.
„Ja, das war doch etwas zu viel Eis … aber ich wollte nicht, dass es auf den Boden fällt. Das schmolz einfach zu schnell.“ Während ich mich rechtfertige, versuche ich, mit einer Hand meine Haare wieder herzurichten, denn in der anderen Hand halte ich noch den klebrigen Eisstiel.
Als wir an einem Mülleimer vorbeikommen, nimmt Liam mir diesen ab und wirft ihn mit seinem Stil vorbildlich in den Abfallbehälter. Er wischt sich seine Hand an seinem Hosenbein sauber und ergreift dann meine nicht schmierige Hand. Endlich.
Händchen haltend führt er uns zu der Bank, die er im Sinn hat.
Ich spüre, wie mein Engelchen versucht, sich an die Oberfläche zu drängeln, um mich daran zu erinnern, dass ich gefälligst keine Nähe brauche und dem Händchenhalten mit Gleichgültigkeit begegnen soll.
Doch fühlt es sich einfach viel zu gut an, wenn Liam meine Hand in seiner hält. Ich schenke dem Blondkopf keinerlei Beachtung. Obwohl ein tief verborgener Teil in mir weiß, dass es besser wäre, auf sie zu hören und ihr mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Schmetterlinge in meinem Bauch bleiben fern. Das sollte ihr genügen. Sie sollte darauf vertrauen, dass ich die richtigen Entscheidungen treffe und mir ein wenig Zweisamkeit und Glück gönnen. Auch wenn Liam nicht der Mann fürs Leben ist …
Was spricht dagegen, weitere Erfahrungen mit ihm zu sammeln? Darf ich das nur mit einem Mann, von dem ich denke, dass er der Richtige für mich ist und es auch ernst mit mir meint? Dann kann ich ja lange warten …
Und welcher Mann möchte sich auf eine Frau festlegen, die kaum Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt hat?
Ich bin mir sicher, dass mein Engelchen spätestens jetzt Ruhe geben würde, wenn es überhaupt zu Wort gekommen wäre.
Und wer weiß … vielleicht ist er ja doch der Mann, der an deiner Seite sein wird … , flüstert mir mein Teufelchen ganz beiläufig ins Ohr.
Es hält den Funken an Hoffnung am Leben. Mein Verstand fand allerdings einige Argumente, die dagegen sprechen und dennoch fängt er an, sich plötzlich nur auf das Positive zu fokussieren. Das sah in den letzten Tagen ganz anders aus …
Liam wird das zwischen uns, was auch immer es sein mag, nicht beenden. Ansonsten hätte er es direkt getan, hätte uns kein Eis gekauft und wir würden auch nicht Hand in Hand nebeneinander herlaufen. Die Zeichen sind eindeutig.
Entweder will er die D/s-Beziehung weiterführen oder er will mehr als das. Wovon ich ausgehe, da man – wenn die negative Möglichkeit auszuschließen ist – einem nicht schreibt, dass man reden muss. Würde er nur die D/s-Bindung aufrechterhalten wollen, hätte er mir das mit Sicherheit über WhatsApp geschrieben.
Wir verlassen den gepflasterten Weg und betreten einen Steg, der zu einer kleinen Plattform auf einem Teich führt.
Dort befinden sich parallel gegenüber zwei Sitzmöglichkeiten. Links und rechts stehen jeweils zwei Steinpflöcke im Wasser, auf denen ein marodes Stück Holz liegt. Als eine richtige Bank kann man das nicht bezeichnen.
Wir setzen uns auf die Holzplatte, hinter der sich hinter dem Teich nur eine Hecke befindet. So haben wir alles im Überblick, obwohl ich mir eine schönere Aussicht hätte vorstellen können. Rechts vor uns steht ein kleines altes verglastes Häuschen auf Stelzen. Man fühlt sich zwar geschützt, weil wir abseits des Hauptweges sind, aber unbeobachtet ist man hier definitiv nicht. Ein wenig ruhiger hätte ich es mir schon gewünscht.
„Setz dich auf meinen Schoß“, unterbricht Liam unser kurzes Schweigen.
Ich setze mich auf ihn und lasse meine Beine übers Wasser baumeln. Wir sind uns ganz nah. Keiner sagt etwas. Wir schauen uns bloß in die Augen. So tief gehend war unser Blickaustausch noch nie. Meine Lust, die kurz ein Nickerchen machte, ist nun wieder hellwach. Das Feuer, welches zwischen uns entflammt, breitet sich in meinem gesamten Körper aus. Mir wird schlagartig heiß. Ich fühle mich allerdings nicht wie vorhin. Vorhin habe ich mich hilflos gefühlt. Ihm ausgeliefert. Ergeben. Wir begegnen uns gerade auf Augenhöhe. Meine Dominanz – sollte sich so Dominanz anfühlen – trifft auf seine. Zwischen uns beginnt die Energie zu brodeln, zu blitzen und zu donnern.
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