„Ich wollte fragen, bist du zufrieden mit deiner bisherigen Geschichte?“
„Natürlich ist er das“, ging Litsek dazwischen.
„Dich habe ich nicht gefragt, Bastian.“
Der Autor hob gestikulierend die Hände, als wolle er sagen, schon gut, ich bin ruhig.
„Nun ja. Es ist ein wenig schwierig, sich mit den ganzen Rückblenden zurechtzufinden“, erklärte Merlan.
„Das glaube ich dir sofort“, bestätigte ihn der Agent.
„Und wissen Sie, wir sind gerade in einer Rückblende, während mein erzählendes Ich im Gefängnis sitzt für eine Tat, von der der Leser nur vermuten kann, was es war.“
Litsek hatte die Arme verschränkt und murmelte hochnäsig dazwischen: „Es ist offensichtlich das tote Kind. Pah! Was sollte es denn sonst sein.“
„Bastian!“, mahnte Orion liebevoll, aber streng.
„Und wissen Sie, ich hätte die Geschichte lieber in der Gegenwart erzählt, den Gefängniskram weglassen und die Logiklöcher etwas kleiner gehalten.“
„Was für Logiklöcher denn?“, fragte der Autor.
„Na, ich überfalle das Restaurant und zack in der nächsten Szene war ich schon zwei Jahre mit meiner Angreiferin zusammen? Und arbeite im selben Restaurant?“
„Und?“, platzte es aus Litsek unverständnisvoll heraus.
„Das ergibt keinen Sinn“, sagte Merlan. „Warum sitze ich nicht für den Überfall im Gefängnis?“
„Dann hätte ich dich ja nicht für den Kindesmord in den Knast gehen lassen.“
„Habe ich das Kind wirklich ermordet?“, fragte Merlan und schaute zwischen Agent und Autor hin und her. Achteck Fuldas schaute zu seinem Klienten Litsek.
„Was?“, sagte der immer noch patzig. „Schaut mich nicht so an, bin ich hier das große Orakel?“, fragte er und tippte weiter die Geschichte in den Laptop. 2„Na gut, ich gestehe“, sagte der Autor und warf die Hände in die Luft. „Ich lese die Vorlage von Kapitel zu Kapitel und schreibe dann immer mein eigenes.“
„Warum sind wir hier?“, fragte Merlan.
„Weil dieses Kapitel im Original recht lahmarschig und doof war. Daher habe ich gedacht, ich hebe das Niveau etwas an und bringe mich samt meines vorzüglichen Agenten ins Spiel.“
„Danke, mein Lieber“, sagte der und legte sich die Hand auf die Brust. „Wollen wir fortfahren?“
„Aber sicher, mein Freund, hier sind meine Ideen für weitere Projekte.“
„Wie bitte?“, sagte Merlan entsetzt. „Ich will Antworten!“
„Liebes“, sagte Bastian tuntig, „du spielst hier nicht die erste Flöte.“
„Ach nein? Ich bin der Hauptcharakter!“
„Bist du dir da sicher?“, fragte der Agent und schaute Merlan fragend an.
„Moment, ich habe eine Idee“, sagte der Autor und tippte etwas in den Laptop.
Merlans Kopf wurde schwer, so schwer, dass er ihm in den Nacken fiel. Wie er ihn wieder nach vorne richtete, sah er zwei Männer, die er in seinem Leben noch nie gesehen hatte. Er würde gleich einer Konversation beiwohnen, an die er sich später nicht erinnern würde. Er hielt während des gesamten Gesprächs die Klappe und brachte nur einmal frische Getränke an den Tisch, damit der Agent und der Autor nicht durstig sein mussten.
Litsek hörte auf zu tippen, er drehte den Laptop zu seinem Agenten um, damit der lesen konnte, was er gerade geschrieben hatte.
„… beiwohnen … Klappe …“, murmelte der beim Lesen.
„Ich hasse es, wenn du das tust“, sagte Litsek genervt.
„… Getränke …“, der Agent schaute auf, die Hände an der Tastatur des Laptops. „Etwas zu trinken wäre wunderbar, Merlan“, sagte er an den Trickbetrüger gewandt, der außerdem ein Gefängnisinsasse war sowie ein potenzieller Kindermörder, mit Sicherheit aber ein vergesslicher Unsympath, nur ein Werkzeug seines Herrn und Meis…
Litsek entriss seinem Agenten den Laptop. „Gibt das her, du Klotaucher“, sagte er und grinste.
„Ich kann einfach nicht widerstehen, mich zu verewigen. Also Basti, was gibt es, was hast du dir überlegt? Amazon hat angefragt zwecks Ideen für eine Serie. Zehn Folgen, kleines Budget.“
„Hier ist Idee Nummer eins.“
Merlan stand vom Tisch auf und ging hinter die Theke an die Bar, um ein paar Getränke zu holen.
„Das Ganze spielt in Amerika. Die Indianer erobern das Land zurück, verbünden sich mit den Afroamerikanern und etablieren eine völlig neue Kultur. Die Weißbrote werden gejagt wie Wildvieh. Die erste Staffel beschäftigt sich mit dem Aufstieg der neuen Kultur. Schlachten, Widerstand und viel Drama. Der Untergang des weißen Mannes in den USA.“
„Klingt nett, aber woher sollen plötzlich die ganzen Indianer kommen? Es gibt doch kaum mehr welche.“
„Die haben doch die ganzen Kasinos dort drüben. Das ganze Geld haben sie genutzt, um heimlich eine gigantische Klon-Armee zu schaffen.“
„Klone? Klingt eher wie Science-Fiction.
„Na ein bisschen ist es das auch.“
„So wie The Man in the High Castle?“
„Quasi, man könnte es damit bewerben. Und die Idee ist frisch, nicht ausgelutscht. Hast du so was schon mal gehört?“
„Nicht wirklich … Was hast du sonst noch?“
„Ein Mann wird eingefroren, wacht wieder auf und befindet sich auf einem Planeten, der von Amazonen beherrscht wird. Er glaubt, er ist noch auf der Erde, doch am Ende stellt sich heraus, er wurde von seiner Familie an ein paar Aliens verkauft, die ihn in ein Videospiel gesperrt haben.“
„Äh“, machte Achteck Fuldas, „vielleicht ein wenig zu abgedreht …“
„O.K., ich kann auch sachte …“
Merlan kam wieder, stellte dem Agenten einen Kaffee hin und dem Autor eine Vanille Cola Zero.
„Danke“, sagten beide. Merlan nahm wieder Platz und wohnte der Unterhaltung bei wie ein Sklave, dem das Sprechen nicht erlaubt war.
„Wikinger reisen durch ein Portal in eine andere Zeit und treffen auf Steinzeitmenschen, deren Kultur sie erheblich voranbringen. Sie etablieren eine beherrschende Weltmacht, wenden den Asteroiden ab, der die Dinosaurier zerstört hat, und am Ende von Staffel eins verschwinden sie, weil sie ja jetzt quasi ihre eigene Existenz verhindert haben. Die Dinosaurier beherrschen die Welt. Tragen lustig aussehende Kleidung, fahren riesige Autos. Staffel zwei wäre dann eine Sitcom oder eine halb-pornografische Horrorserie.“
Achteck Fuldas hob mahnend den Finger. „Hat uns Avengers Endgame nicht gelehrt, dass eine Timeline besteht und nicht erlischt, wenn man etwas verändert, sondern eine neue Timeline erschafft?“
„Ach Fuldi, Zeit ist, was du daraus machst. Das ganze Zeitgefüge hat sich jemand ausgedacht, genau wie die Bibel.“
„Ho ho ho“, sagte er und schaute sich um. „Vorsichtig mit solchen Anschuldigungen. Wir wollen doch nicht den Marktanteil deiner gläubigen Leser verlieren. Geld ist Geld, Basti, vergraul mir die Leute nicht.“
„Oh, recht hast du. Das streichen wir dann wohl mal lieber …“, sagte Litsek, markierte die blasphemische Textstelle und hämmerte auf die Löschen-Taste an seinem Laptop.
„Das ist alles ein wenig zu abgefahren …“, sagte der Agent und seufzte.
„Du willst es einfach? Hab ich auch im Programm. Eine Comedy-Show über einen Autor und seinen Agenten, die versuchen, nach gescheiterten Beziehungen und ohne jegliches Einkommen wieder auf die Beine zu kommen. Sie ziehen zusammen. Endlich kommt etwas Neues zustande, doch Liebe und alte Feindschaften drohen, ihr neues Filmprojekt zu zerstören.“
„Eine Sitcom?“
„Oder was ist damit: Ein kleiner Bär, der einen fliegenden Freund hat, mit dem er Abenteuer erlebt? Kunterbunt und süß. Zeichentrick.“
„Eine Kinderserie? Ich bezweifle, dass jemand dich einspannt, um Kinder zu unterhalten.“
„Hey“, sagte Litsek und wies gestikulierend alle Schuld von sich, „solange sie mich nicht kennen, verkaufst du mich eben als das, was ich sein sollte, oder? Das ist dein Job.“
Читать дальше