Bernd Oei
Gustave Flaubert: Goldenes Meer
Grenzgänger zwischen Philosophie und Poesie, Band 3
Bernd Oei
Gustave Flaubert
Das goldene Meer
Literaturwissenschaft
„Wenn ich lebe, bin ich nur Narr, wenn ich schreibe, bin ich ein Gott.“
Flaubert an Sand, September, 1869
Impressum
Texte: © 2021 Copyright by Bernd Oei
Umschlag: © 2021Copyright by Belinda Helmert
Verantwortlich
für den Inhalt: Bernd Oei
Malerstr. 63
28207 Bremen
kontakt@berndoei.de
Inhalt
Prolog: Versuch einer Annäherung 7
I. Flaubert und seine Zeit 10
I. 1. Ein Grenzgänger – Analogien zu Camus 10
I. 2. Sartre: Flaubert - der Idiot der Familie 16
I. 3. Nietzsches Flaubert-Rezeption 27
II. Der Schriftsteller Flaubert 36
II. 1. Das Herz eines Irren – Mémoires d´un fou 36
II. 2. Flaubertismus 48
II. 3. Briefwechsel mit Louise Colet 56
II. 4. Briefwechsel mit George Sand 69
II. 5. Briefwechsel mit Iwan Turgenjew 78
III. Flauberts Romane 90
III. 1. Die Schule des Herzens 90
III. 2. Madame Bovary 108
III. 3. Salambô - Die Orientreisen 147
III. 4. Die Erziehung des Gefühls 170
III. 5.Die Versuchung des Heiligen Antonius 212
III. 6. Bouvard und Pécuchet 236
IV. Erzählungen : Trois Contes 268
IV. 1. Ein schlichtes Herz 268
IV. 2. Die Legende vom Heiligem Julian 287
IV. 3. Herodias 296
Epilog 317
Literaturverzeichnis 320
1 Prolog: Versuch einer Annäherung
Zu den Grenzgängern zwischen philosophischen Anspruch und poetischer Verarbeitung zählt zweifellos der vielleicht größte Stilist des 19. Jahrhunderts, Gustave Flaubert. Mit seinem Stil wird eine künstlerische Reaktion auf die Märzrevolution ersichtlich, ein autopoietisches Konzept der Moderne, das unter dem Phänomen der Tod des Autors 1(Blanchot) eine neue Rezeptionsästhetik begründet. Exemplarisch veranschaulicht dies „Bouvard und Pécuchet“, ein philosophisches Experiment, das die zeitgenössische Wissenschaft belletristisch verarbeitet und hinterfragt. Die omnipräsente Stellung der Desillusionierung als Leitmotiv Flauberts ́ wirft erkenntnistheoretische Fragen auf und führt ihn über die phänomenologische Methode zum Genre des philosophischen Romans, der als Vorbild u.a. für Proust, Malraux und Camus diente.
Kaum ein Schriftsteller investiert mit ähnlich viel Aufwand Recherchen für einen Roman. Echt zu sein ging Flaubert über alles. Beispiellos erscheint die Akribie für einen perfekten Satz. Obschon Flaubert keinem Beruf nachging, schrieb er ein verhältnismäßig überschaubares Werk, klein gegenüber denen von Balzac, Zola oder Hugo, das allerdings seinen Fingerabdruck hinterließ. Für die meisten seiner Werke benötigte er durchschnittlich sieben Jahre.
Auf das Publikum bzw. seinen Geschmack verzichtete Flaubert freiwillig. Er sah sich allein dem Anspruch seiner Ästhetik verpflichtet und wirkte in diesem Sinn als erster Prophet der l´art pour l´art , zeitgleich mit seinem lyrischen Pendant Baudelaire, mit dem ihm nicht nur ein Prozess um die Sittenwidrigkeit ihrer Literatur und eine lose Freundschaft verband, sondern vor allem die gleiche ästhetische Gesinnung, die das Tor der literarischen Moderne aufstieß.
Die zwei Orientreisen für „Salambô“ und die lange Genesis des Ehedramas und Sittengemäldes „Madame Bovary“ verdeutlichen den Bildungsaufwand und die Vielzahl an Querverweisen auf den Kanon der Poesie und Philosophie.
Der Roman „Die Erziehung des Herzens“ zeigt, wie sehr die politischen Umstände das Konzept des Schreibens verändern und die Form der Karikatur zeitigen. Das mehrfach umgestaltete Lesedrama „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ als Flauberts persönliches Lebensthema bewegt sich im Grenzbereich von poetischem, religiösem und philosophischem Diskurs: ohne entsprechende Vorkenntnisse bleibt sie unverständlich. 2Paradigmatisch steht der Antonius für ein eigenes Genre: das handlungsarme Drama, dessen Leitmotiv die Kraft der Illusion an sich ist. Für genau das hält Flaubert auch die Religion: eine kreative vergoldete Blase.
Der Großteil der Arbeit beruht auf textinterner Werkinterpretation, ergänzt durch biografisches Material (Briefe und Tagebuchnotizen), hauptsächlich in seiner Korrespondenz mit Sand 3, Colet und Turgenjew. Die Romane bieten Vergleiche an mit seinen Vorgängern Stendhal und Balzac und seinen Nachfolgern Zola Maupassant und Roth.
Nietzsche sprach vom Fruchtbarwerden des Hasses auf die Bourgeoisie, der nicht konstruktiv zu werden vermag. 4Thomas Mann unterschied prinzipiell Romane, die etwas über das Leben des Autors aussagen, weil sie vorwiegend von Selbstdarstellung getragen sind, von jenen, die wenig über den Autor verraten und stattdessen ein Kaleidoskop der Zeit sind, wozu er Flaubert zählte.
„Moderne“ ist eine unpräzise Terminologie; paradoxerweise fühlten sich ihre wichtigsten Vertreter nicht wohl in ihr und müssten daher als Kritiker der Moderne bezeichnet werden, zumal Flaubert zu konservativen Ansichten neigte, obgleich er stilistisch mit zahlreichen Tabus brach. Seine immer wieder zitierte Selbstaussage: Madame Bovary c´est moi entbehrt nicht der tragischen Ironie, da ihr Schöpfer ein erklärter Feind der Emanzipation war und Sentimentalität verachtete. Begrifflich aber steht seine Literatur zwischen dem Realismus Balzacs, dem Psychologismus Stendhals und dem Naturalismus Zolas. Daher hat man, hierin Kafka vergleichbar, einen eigenen Gattungsbegriff erfunden: den Flaubertismus. Denn der Traum spielt die dominante Rolle in seiner Kunst und er währt mitunter über seine Entzauberung hinaus.
Zu den prägenden Begegnungen Flauberts, die ihn träumen ließen, gehörte auch Elisa Foucault (Madame Schlésinger), die als Frauenideal wesensbestimmend und leitmotivisch sein gesamtes Werk bestimmte, indem sie die innere Realität des Autoren besetzte. Illusionen erweisen sich in seinem Werk als realer und dauerhafter als die objektive Wirklichkeit. Flaubert: „ Man muß sich daran gewöhnen, in den Menschen um uns herum nur Bücher zu sehen .“ 5
Zu den Grenzgängern zwischen Philosophie und Literatur gehört auch Rilke, der sich zu Flaubert bekannte: „ Sie lesen Balzac. Ich habe mich immer an Flaubert gehalten. So las ich eine wunderbare frischere Fassung der Education Sentimentale, die mit dem späteren Roman kaum etwas gemein hat... unbesonnenes Herzwesen kommt darin nur in köstlicher Übersetzung vor.“6 Dem Zitat ist zu entnehmen, dass Rilke beide Versionen von „Die Erziehung des Gefühls“ kannte: um die Versionen leichter unterscheidbar zu machen, wird die erste Version „Die Erziehung des Herzens“ tituliert.
Wie für alle großen Stilisten gilt: Flaubert zu übersetzen ist nahezu unmöglich, seine Virtuosität geht immer verloren. Flaubert selbst rezipierte - vorwiegend antike Literatur - im Original, weil er um den substanziellen Einfluss der Grammatik wusste. Lesen bedeutet ihm, „ Literatur machen “. Walter Benjamin sah sich durch seine Übersetzung Prousts zur Auseinandersetzung mit Flaubert genötigt; er merkte in seinen „Literarischen Notizen“ an, Flaubert habe neben Baudelaire das Konzept des Flaneurs und Voyeurs wie kein anderer umgesetzt und die „ Verwichenheit der Naivität “ von dem Autoren genommen. Analog kommentierte Theodor Adorno, Flaubert wäre von „ unverwelkter Aktualität“. Sartre unterschied in den Dienst der konkreten Veränderung der Gesellschaft stellen ( littérature engagée ) von jener Flauberts indifferenten Haltung ( littérature desengagée) , die sich in purem Ästhetizismus verliere und ohne gesellschaftlichen Wert bleibe, im Gegensatz zu Victor Hugo.
Sartre irrte, denn mit Flaubert setzte ein Bewusstsein dafür ein, dass sie sich keinesfalls ideologisieren lassen dürfe. Hugo schreibt über die Wissenschaft, Flaubert, der ihn einen Dilettanten heißt, schreibt mit wissenschaftlicher Akribie. Hugo macht Verlag und Verleger und dem Publikum zuliebe zahlreiche Kompromisse - Flaubert weigert sich, nur einen Satz für den Erfolg zu ändern - „ nicht ein Komma “, schreibt er seinem Verleger Michel Lévy. Für die Autonomie der Kunst nimmt er Scheitern billigend in Kauf: eine solche Haltung ist politisch, auch wenn sie keine Partei ergreift.
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