»Ja, die bin ich. Was können wir für Sie tun?«
»Ich komme im Auftrag der Forstverwaltung. Mein Vorgesetzter bittet Sie höflichst, ihm die Ehre Ihres Besuches zu erweisen.«
Die beiden Angesprochenen wechselten einen erstaunten Blick und Dr. van Houten fragte: »Wir fühlen uns sehr geehrt, aber könnten Sie mir den Grund dieser Einladung nennen?«
Der Bote wirkte sichtlich verlegen. »Tut mir leid, ich erhielt lediglich den Auftrag, Sie abzuholen. Man teilte mir nicht mit, dass Sie nicht darüber informiert sind.«
»Der Forstverwaltung unterstehen auch alle Nationalparks in Indonesien«, erklärte Deborah an den Doktor gewandt. »Es wäre wahrscheinlich klug, die Einladung anzunehmen, wir können jede Unterstützung brauchen.«
»Na gut, wie Sie meinen, Sie sind die Expertin.« Van Houten wandte sich an den höflich abwartenden Uniformträger: »In Ordnung, wir kommen gerne mit Ihnen, aber bitte gewähren Sie uns noch eine Viertelstunde, um uns umzuziehen und frisch zu machen. Wir treffen uns dann in der Lobby, ok?«
Erleichtert nickte der Beamte und schritt aus dem Speisesaal.
»Seltsam, dass man sich so für uns interessiert«, bemerkte Deborah. »Aber ich glaube nicht, dass man uns Steine in den Weg legen will. Normalerweise benötigt man keine besondere Genehmigung für einen solchen Trip, wie wir ihn planen. Wir stellen ganz normale Nationalparkbesucher dar, die halt speziellere Ziele verfolgen. Aber schon interessant, woher die überhaupt davon wissen …«
Kurze Zeit später verließen Alex van Houten und Deborah in Begleitung des Überbringers der Einladung das Hotel in Richtung eines bereitstehenden Wagens, auf dessen Fahrertür das Emblem der Forstverwaltung prangte: ein stilisierter Baum auf kreisrundem rotem Hintergrund. Während der Indonesier sich ans Steuer setzte, nahm das Paar auf der Rückbank Platz. Im Verlauf der Fahrt durch das nächtliche Padang redeten sie kaum miteinander, und auch der Fahrer hüllte sich in Schweigen. Schließlich stoppte das Fahrzeug vor einem schmucklosen Bürogebäude in einem Randbezirk der Stadt.
Das Gebäude schien völlig verlassen, aber ihr Chauffeur zückte einen Schlüssel, sperrte das gläserne Portal auf und bedeutete ihnen, ihm in die dunkle Eingangshalle zu folgen, wo im nächsten Augenblick automatisch die Deckenbeleuchtung aufflammte. Vor den Fahrstühlen angelangt, drückte ihr Begleiter den Knopf, um eine Kabine zu aktivieren. Verwundert wandte sich Deborah ihm zu.
»Machen Sie und Ihr Chef oft derart lange Überstunden?«
»Kommt schon mal vor«, kommentierte der Mann mit einem Achselzucken. »Als sein persönlicher Assistent bin ich Kummer gewohnt. Mein Vorgesetzter nimmt seine Pflichten sehr ernst, und das Gleiche verlangt er auch von seinen Leuten.« Im Aufzug drückte der Assistent neben dem Logo der Forstverwaltung die Taste für den vierten Stock. Oben angekommen durchquerten sie einen kahlen Korridor und gelangten schließlich zu einer Tür, an die der Beamte klopfte.
»Herein!«, ertönte eine Stimme, worauf ihr Begleiter die Tür öffnete und zur Seite trat, um Dr. van Houten und Deborah Einlass zu gewähren. Das sich ihnen nun präsentierende geräumige Büro unterschied sich angenehm von der nüchtern sterilen Atmosphäre des restlichen Gebäudes: Den Parkettboden bedeckten hier dicke, farbenfrohe Teppiche, die den Besuchern das Gefühl gaben, über weiches Moos zu schreiten. Die mit Bambus verkleideten Wände schmückten überdies alle möglichen Gegenstände, die einem Volkskundemuseum alle Ehre gemacht hätten. Ein gewaltiges Bücherregal nahm die gesamte Wand hinter dem riesigen Schreibtisch ein.
»Ah, Dr. Lindsey und Dr. van Houten! Ich freue mich außerordentlich, Sie im Namen der Nationalparkverwaltung willkommen zu heißen!« Der Mann, der bislang hinter dem Schreibtisch saß, stand auf und umrundete das ausladende Möbelstück, um seine Gäste zu begrüßen. Er war klein, aber von massigem Körperbau und entblößte ein beeindruckendes Gebiss, als er lächelnd näher trat, um zuerst Deborah und dann dem Doktor herzlich die Hand zu schütteln.
»Mein Name ist Bima Setiawan, und ich bin sowohl für die Nationalparks hier in Sumatra, als auch in Kalimantan verantwortlich.«
»Sehr erfreut!«, antwortete Dr. van Houten. »Allerdings erstaunt es uns sehr, dass Sie von unserer kleinen Expedition wissen. Wie kommt das?«
»Ach wissen Sie, wir verzeichnen zwar fast eine Million Einwohner im Großraum Padang, aber die Innenstadt entspricht manchmal noch immer einem Dorf. Die Ankunft eines bekannten Anthropologen, dem auf einer Nachbarinsel der in den letzten Jahren vielleicht wichtigste Fund eines Frühmenschen gelang, spricht sich eben herum. Und wenn er zudem in Begleitung der reizenden Dr. Lindsey auftritt, einer Expertin für unsere Tigerpopulation im hiesigen Nationalpark – und bekanntermaßen auf der Jagd nach dem Orang Pendek – dann lässt sich ja leicht eins und eins zusammenreimen. Wollen wir uns nicht setzen?«
»Sie haben Kenntnis von den Begegnungen mit Urwaldmenschen? Was halten Sie persönlich davon?«, erkundigte sich der Doktor.
Bima Setiawan geleitete seine Gäste zu einer niedrigen Rattan-Sitzgruppe in einer Ecke des Raumes, wo er ihnen bedeutete, Platz zu nehmen.
»Tatsächlich ist das einer der beiden Gründe, weshalb ich Sie eingeladen habe. Ohne Ihnen nahe treten zu wollen, Dr. Lindsey, aber meine Ranger sind im Nationalpark tagaus, tagein mit den vielfältigsten Aufgaben unterwegs: Verhinderung illegaler Rodungen, Auffinden und Verhaftung von Wilderern oder oft auch nur Einsammeln verirrter Touristen. Keiner von ihnen – und ich betone: wirklich kein Einziger – ist bis zum jetzigen Zeitpunkt jemals über einen Affenmenschen gestolpert! Was auch immer Ihnen damals vor Augen kam, ich bin davon überzeugt, dass es in diesem Gebiet nicht mehr existiert. Ich sage Ihnen das nur, um Ihnen von vornherein eine Enttäuschung – und unnötige Kosten – zu ersparen.«
»Diese Argumente habe ich mit Dr. Lindsey auch schon erörtert, aber wir sind uns durchaus bewusst, dass solch eine Suche natürlich immer auch die Möglichkeit des Scheiterns beinhaltet. Trotzdem würde es im Falle eines Erfolges eine derart großartige Entdeckung für die Wissenschaft darstellen, dass es das Risiko einfach wert ist.«
Bima Setiawan seufzte. »Ich erwartete, ehrlich gesagt, keine andere Antwort von Ihnen. Daher bleibt mir nichts anders übrig, als Ihnen auch meinen zweiten Vorbehalt gegenüber Ihrem Unterfangen mitzuteilen.« Vorgebeugt verschränkte er die Finger auf dem kleinen Tisch, während sein Gesicht einen sorgenvollen Ausdruck annahm. Offensichtlich schien er zu überlegen, wie er beginnen sollte. »Wie Sie sicherlich wissen, ist Indonesien ein vorwiegend muslimisch geprägtes Land, wobei wir jahrelang in der Welt nahezu als Musterbeispiel für ein aufgeklärtes, modernes Verhältnis zum Islam galten. Trotzdem gibt es starke Unterschiede im Religionsverständnis der Bevölkerung. Auf der bevölkerungsreichsten Insel Java zum Beispiel wird eine striktere Form des Islam praktiziert, während auf Sumatra eher tolerantere Ansichten üblich sind. Trotzdem haben wir selbst hier Gebiete, wo man nach der Scharia lebt. Beispielsweise wurde in der Provinz Aceh vor einigen Jahren das islamische Strafrecht eingeführt, das unter anderem Steinigung im Fall von Ehebruch vorsieht. Der radikale Islam findet also auch hier immer mehr Anhänger.«
»Auch diese Tatsache ist uns bekannt, Mister Setiawan, aber … was hat das mit unserer geplanten Expedition zu tun?«
»Leider sehr viel. Radikale Muslime lehnen – wie übrigens auch manche christlichen Strömungen – die Evolutionslehre strikt ab. Und Sie, Dr. van Houten, gedenken sich auf den Weg zu machen, um einen lebendigen Beweis der Abstammung des Menschen zu finden und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das wäre ganz und gar nicht im Sinne dieser islamistischen Gruppierungen, die dadurch einen Verlust ihrer Glaubwürdigkeit zu befürchten hätten.«
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