„Tut mir leid, Taya. Ist alles nicht gut gelaufen.“
Sie trägt einen durchsichtigen Hauch von Nichts, der ihre vollen Brüste kaum verbirgt, und einen kurzen Rock, dazu aber keine Schuhe. Ihre Fußnägel und ihre Fingernägel sind rot lackiert. Irgendwie habe ich den Eindruck, als würde sie zum Inventar gehören. „Wohnst du hier?“, frage ich mit klappernden Zähnen.
Sie lacht, als sie die Wendeltreppe herunter kommt – langsam, lasziv, mit wiegenden Hüften. Sie ist eine atemberaubend schöne Frau. Fast schwarzes Haar, ein Puppengesicht und ein voller roter Mund. Dazu große Brüste und Beine bis zum Hals. Ich komme mir fad vor im Vergleich zu ihr mit meiner mädchenhaften Figur und den wüsten roten Haaren.
„Kein Mensch wohnt so, Taya“, antwortet sie. „Das solltest du doch wissen.“
„Wir warten dann unten … auf unsere Bezahlung“, meint mein Kidnapper und wirft mich auf das Sofa wie einen Sack Sojamehl.“
„Seth wird sich darum kümmern, sobald er das hier erledigt hat.“
Die beiden grinsen sich an und verschwinden wieder im Lastenaufzug. Ich bin mit Luana allein. Langsam kann ich meine Arme und Beine wieder bewegen, meine Zähne hören auf zu klappern, und mein Gehirn fängt wieder an zu arbeiten. „Seth … ist dein...?“
Sie setzt sich neben mich auf das Sofa – mit einer verführerisch weiblichen Bewegung.
„Seth ist mein Besitzer ...“, führt sie meinen Satz zu Ende aus.
Wunderbar! Hat Ash das nicht gewusst, als wir uns im Lighthouse getroffen haben? Zumindest kann ich mir jetzt denken, woher er von mir weiß.
Luana zieht eine silberne Dose aus ihrem Ausschnitt und öffnet sie. Mit dem rot lackierten Fingernagel nimmt sie ein weißes Pulver heraus, das sie mit einem kurzen Ruck in ihre Nase zieht.
Als sie meinen fragenden Blick sieht, lächelt sie. „Aufbaupräparate fürs Blut. Ist wichtig, wenn du Spender bist. Aber ...“, sie bedenkt mich mit einem mitleidigen Blick, „... für dich ist der Traum wohl hier zu Ende. Bedank dich bei deinem lieben Ash!“
Elegant schlägt sie ein schlankes nacktes Bein über das andere. Ich meine zu erkennen, dass sie keinen Slip unter dem kurzen Rock trägt. „Ich hoffe, du hast nicht wirklich auf Ash gesetzt … oder bist in Versuchung geraten, etwas für ihn zu empfinden.“ Sie forscht in meinem Gesicht nach der Antwort, lächelt dann, als hätte sie gerade eben die Bestätigung erhalten, dass es genauso ist.
„Warum bin ich hier?“, will ich von ihr wissen. Langsam rappele ich mich auf und setze mich aufrecht aufs Sofa – zwar gefesselt, aber zumindest liege ich so nicht mehr wie ein Beutestück herum. Ich bin froh, dass ich eine Leggins und einen Pullover trage und keine Pornoklamotten wie Luana.
Sie zieht die Brauen hoch. „Weißt du wirklich gar nichts?“
„N...Nein“, gebe ich zu und komme mir plötzlich furchtbar naiv vor. Ohne, dass ich es verhindern kann, brechen die angestauten Ängste der letzten Tage und Wochen über mich herein. Ich muss weinen. Luana steht auf und kommt mit einer Flasche Whiskey aus der gut gefüllten Bar zurück. Gnädig reicht sie mir ein Glas mit der goldbraunen Flüssigkeit. Ich lehne ab, weil ich glaube, dass es besser ist, einen klaren Kopf zu behalten.
Luana zuckt mit den Schultern und kippt den Whiskey selbst in einem Zug herunter.
„Wo ist Ash?“
„Oh, ich schätze unten im Tenfathers . Er weiß noch nicht, dass du hier bist.“
Sie nimmt meine Hand und tut so, als wolle sie mich trösten. „Ash hat dich in Schwierigkeiten gebracht, Taya. Natürlich nicht absichtlich … aber Ash ist – wie soll ich es ausdrücken – unbeherrscht. Ich wollte dich vor ihm warnen.“ Sie seufzt theatralisch. „Doch ich bin auch nur ein Mensch …“ Ich bemerke den Widerwillen, mit dem sie das Wort Mensch ausspricht.
„Und was passiert jetzt mit mir?“ Ich weiß nicht, ob ich die Antwort hören will.
„Das muss Seth entscheiden.“
„Und warum schlägst du dich auf Seths Seite?“
„Er hat er mir eine Menge dafür geboten.“ Ihre Augen zeigen das erste Mal etwas Freundlichkeit. Ich glaube nicht, dass Luana wirklich dieses Miststück ist, das sie vorgibt zu sein. Aber das ändert natürlich nichts daran, dass ich jetzt hier bin.
„Ich habe nichts gegen dich, Taya Bennett. Doch du bist meine Fahrkarte in die Freiheit.“
„Liebst du diesen Seth?“ Ich verstehe Luana einfach nicht.
Sie verzieht ihren dunkel geschminkten Mund zu einem spöttischen Lächeln, doch ich meine Wehmut und Schmerz darin zu erkennen. „Seth zu lieben wäre, als würde man einen Eisberg umarmen.“
Warum glaube ich ihr nicht? Ihre Augen sagen etwas anderes. Sie liebt ihn mindestens so sehr, wie ich Ash liebe; und ich habe das Gefühl, dass sie mir meine Gefühle zu Ash missgönnt.
„Du musst mich nicht verstehen, Taya. Vielleicht wirst du es eines Tages.“
Luana steht auf und geht zur Wendeltreppe.
„Wohin gehst du?“, frage ich sie. Ich kenne die Antwort, doch ich muss einfach fragen.
„Ich hole Seth“, antwortet sie lächelnd.
Er hat sturmgraue Augen und fast weißblondes Haar, das auf etwa drei Zentimeter Länge gestutzt ist. Als er die Treppe hinunterkommt, glaube ich, die Stufen müssten unter seinem Gewicht brechen. Er ist ein Hüne mit Muskelpaketen. Gegen ihn wirken die meisten Mutanten schmächtig. Seth erinnert mich an einen alten Film, den ich gesehen habe … über einen Boxer mit dem Namen Rocky Balboa, der einen noch viel größeren Boxer aus einem Land namens UDSSR besiegt. Blond, groß, breit … eine Kampfmaschine ohne erkennbare Gefühle in der Gesichtsmimik. An diesen blonden Boxer aus dem Film erinnert mich Seth.
Luana geht hinter ihm – obwohl sie viel üppiger und größer ist als ich, wirkt sie wie ein Püppchen.
„Das ist also Ashs neue Schlampe ...“ Er sieht Luana an, wie um sich Bestätigung von ihr zu holen. Luana nickt.
„Gar nicht sein Typ, oder? Stand Ash nicht immer auf üppige Frauen?“
„Kann sein“, gibt Luana einsilbig zu. Ich habe den Eindruck, dass zwischen den beiden eine negative Spannung herrscht.
Seth betrachtet mich ausgiebig, und ich fange wieder an zu zittern. Ash hatte recht, was seine Beschreibung von Seth angeht – der Typ wirkt auf mich wie ein Monstrum. Das Monstrum, das über ganz Daytown herrscht … Ein unangenehmer Gedanke.
„Weißt du, warum du hier bist?“
Ich schüttele den Kopf.
„Sie weiß gar nichts, Seth.“
„Halt dich da raus“, gibt er Luana bestimmt zu verstehen.
„Typisch für Ash“, wendet Seth sich wieder an mich. Er trägt schwarze, eng anliegende Thermowaxhosen, Stiefel und ein altes Armeeshirt in Camouflagefarben. Dieses alte Armeezeug ist zurzeit gleichermaßen bei Menschen und Mutanten in Mode – seit einige Lager mit Sachen entdeckt wurden, die aus der Zeit vor der Katastrophe stammen. Sogar Sid liebt seine Armeejacke – sie ist das Einzige, das er noch nicht versetzt hat.
„Ash beschäftigt sich mit Sachen, die ich nicht gern sehe. Er weiß das, und er tut es trotzdem. Und deshalb bist du hier.“
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