"Ach, Blödsinn."
Niko war das offensichtlich unangenehm. Marion wollte jetzt mehr wissen, was meine Eltern machten, wie lange ich bleiben würde, wie es mir in Berlin gefiel...
Niko schien das nicht zu gefallen.
Er sagte nichts, lächelte nicht mehr, saß nur da, mit verschränkten Armen.
"Das muss sie dir nicht sagen"!
Marion fuhr zusammen. Das passte nicht, bisher war doch alles so harmonisch, nett abgelaufen. Ein junges Ehepaar unterhielt sich nett.
Doch Marion ließe sich nicht beirren, lächelte mich schief an und fragte: Was machst du hier nochmal genau"?
"Hat sie doch eben alles schon mal erzählt: Sie macht hier Straßenmusik mit ihrer Freundin.
Willst du es vielleicht noch schriftlich haben?" Ich nahm mir fest vor, zu gehen, sofort zu gehen.
Und dann kam da dieser Freund von Niko.
Er sagte was Witziges, Niko sagte was Witziges, ich lachte.
Er sah mich an, ich sah ihn an, wir lachten gemeinsam.
Nur ein ganz kurzer Augenblick.
Marion hatte das gesehen, Marion sah alles, Marion gefiel das nicht.
Sie musterte mich kritisch, dann ihn, dann wieder mich, zog die Augenbrauen hoch.
Ich nahm meine Tasche. "Vielen Dank, ich muss jetzt wirklich gehen.“
Und ich schwöre, ich wäre gegangen, wirklich.
Wenn da nicht dieser Freund von Niko gekommen wäre. Eigentlich habe ich keinen Sinn für Witze, das meiste finde ich langweilig und unlustig. Doch Niko hatte einen Humor, den ich verstand.
Er versuchte niemanden zu beeindrucken, er sagte Dinge, die eine Situation, Menschen, genau erfassten, sein Humor feierte den Untergang und entlarvte so die Schönheit, die da lauert, wo langweilige Menschen die Langeweile vermuten.
Bei ihm hatte ich nicht das Gefühl, aufzublicken, zu bewundern. Ich teilte, ich gehörte dazu. Und deshalb musste ich bleiben, konnte nicht gehen.
Und nur weil er mich ansieht und lacht und ich ihn ansehe und lache, mustert mich Marion kritisch, zieht die Augenbrauen hoch.
Zeit zu gehen, dahin wo es keine bösen Blicke gibt. Zeit, für Wladis Dach.
Milosch hielt mal wieder eine seiner Reden. "Wer bin ich denn, dass mir irgendwas oder irgendwer Angst macht. Weißte, Renalein, du musst immer denken,
ich“, sagte er dann, „ich bin alles. Danach kommt nichts. Dann die Anderen unter mir.
Ich bin der, um den sich alles dreht".
Wladi schüttelte nur den Kopf. "Allmachtsphantasien des kleinen Mannes, sehr schön, sehr schön."
Manchmal redete er von Erfurt, unzusammenhängend. Ich hätte gern mehr erfahren, doch Wladi redete nie klar. Er hatte Unvorstellbares erlebt. "In der Dunkelzelle siehst du alles deutlicher, wenn sie dir verwirrende Fragen stellen, musst du auch verwirren", sowas in der Art.
Ratschläge, Lebensweisheiten. Ich habe Wladi noch nie eine Frage stellen hören.
Manchmal zeigte er uns alte Fotos. Er hatte lange Haare gehabt, bunte Hemden und Hüte getragen. In seiner Punk Phase, zerschlissene Nietenjacken. Er hatte eine New Wave Band gehabt: "Schattenspiel", Theater gespielt, immer alles ausgesprochen, was ihm gerade so einfiel. Ein Bürgerrechtler war er nicht, nur Einer, der an die Freiheit glaubte und die, erklärte er uns, komme von Gott. Wenn Wladi von Gott redete, konnte ich etwas damit anfangen.
Wladi sagte, die Kirche war damals ein subversiver Haufen, Underground.
Doch jetzt fühlte er sich nicht mehr wohl dort, saß mit Apdi und Cem vor dem Haus und spielte Karten, oder organisierte private Gebetssessions in seiner Wohnung.
Auf den Fotos war auch Niko zu sehen. Auch er trug lange Haare, einen Zopf.
"Er hat sich nichts getraut" sagte Wladi. Saß immer nur Zuhause rum und hat Joy Division gehört. Ist stundenlang durch die Stadt gelaufen und hat geträumt, immer nur geträumt.
Wollte Sänger werden, Schriftsteller, Dozent. Du musst mal was tun, hab ich ihm gesagt.
Ich muss gar nichts, nur sterben, hat er dann gesagt."
Wladi schüttelte den Kopf. "Und was ist jetzt aus ihm geworden? Taxifahrer, an der Garderobe arbeiten, wie n Student..." Er schlug sich mit der Hand vor den Kopf.
"Aber du sagst doch immer, man soll seine Träume nicht leben", sagte Milosch jetzt, direkt wie immer.
"Das hab ich nie gesagt. Ihr müsst mal zuhören wenn ich rede. Sowas wie meine Träume von der großen, weiten Welt", er zeigte auf seine Weltkarte an der Wand, die über seinem Sofa hing und auf der er all die Orte angekreuzt hatte, die er gern sehen würde, "Ja, natürlich. Aber wenns um deine eigene, ureigene Aufgabe in dieser Welt geht, die sich der Schöpfer höchstpersönlich für dich ausgedacht hat...”
Wladi fuchtelte wild mit den Händen herum, Schweißperlen standen
auf seiner Stirn, in seinen Augen der Ausdruck eines irren Heiligen.
„Wladi...komm zum Punkt!“, sagte Milosch.
„Faden verloren. Na, egal. Jedenfalls das Gefühl am frühen Morgen...
was man da fühlt, ist real.“
Ich dachte an die erste Nacht in Berlin, an den Morgen und das Gefühl der Stärke,
die Gewissheit.
„Was da passiert, was man da denkt, ist wahr. Das muss man tun, alles unterordnen.
Du musst das tun, was richtig ist, was du tun musst in dieser Welt.
Du“,wendete er sich an mich, „musst singen und Songs schreiben.
Und du“, sagte er zu Milosch, „musst auch deine Texte schreiben.
Ihr habts in euch Kinder, verschwendet es nicht. If you don´t catch the thought
it disappears, there is nothing to compare it, time wasted."
„Wasted", sagte Milosch, als wir in der U-Bahn saßen, "wir sind wasted."
Immer wenn er ein neues Wort entdeckte, wiederholte er es, das kannte ich schon.
"Sind wir wasted?" fragte ich ihn.
Ich sah unser Spiegelbild im Fenster: dreckig, übernächtigt,
Augenringe.
Wasted, das trifft es irgendwie.
"Er hat Recht“, sagte Milosch. "Wir müssen was tun. Ne Lesung organisieren, oder ein Konzert oder..."
Die einzige Sünde ist die Verschwendung der Morgendämmerung.
Und dafür gibt es keine Vergebung.
„Hallo." Diese Stimme kannte ich.
Etwas in mir wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt.
Er kam zur Tür, er fragte nach mir.
Ich zuckte zusammen. Da stand wirklich Niko, in der Wohnung, die für mich in den letzten 3 Wochen zu einem Zuhause geworden war. Er stand da, mit seinem schwarzen T-Shirt, unsicher, fragend.
„Was machst du denn hier?"
„Christoph hatte keine Zeit. Deine Eltern haben angerufen. Sie wollen dich abholen."
„Was? Wann denn?"
„Nächste Woche."
„Ok, danke. Nett, dass du extra vorbeikommst."
„Wie gesagt, Christoph hat mich darum gebeten. Außerdem soll ich Milosch den Termin für den Familientag sagen. Und es lag sowieso auf dem Weg. Wo ist Milosch eigentlich?" Er blickte sich nervös um.
„Willst du was trinken?" sagte ich, nur um ihn zu ärgern. Er sah mich an, als hätte ich etwas sehr Merkwürdiges gesagt. Dieser irritierte Nikoblick, es war schwer, sich nicht von dieser Kälte und Distanz abschrecken zu lassen. „Arbeitest du heute auch im Viktoriapark? Da spielt doch so ne Band - Milosch wollte da hin, ich werd auch da sein."
„Ich weiß noch nicht. Mal sehn, vielleicht geh ich da hin."
„Woher kennst du Christoph?“
„Vom Studium. Wir waren gute Freunde."
Er schwieg. „Und warum erzählt dir Christoph...“
„Deine Eltern machen sich Sorgen. Sie haben ihn angerufen, als ich bei ihm zu Besuch war.“
„Seid ihr noch Freunde?“
„Na ja, ...er hat versprochen, mir beruflich weiterzuhelfen.“
„Ja, der tolle Christoph, der hat Connections.“
Niko grinste, schien langsam aufzutauen.
„Warum bist du von zuhause weggelaufen?“
„Ich bin nicht weggelaufen. Ich wollte mein eigenes Leben leben. Das geht in Erfurt nicht.“
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