Als das Wasser ins Waschbecken plätscherte, dachte sie über den letzten Abend nach. Hoffentlich hatte ihr Kuss Helene nicht allzu sehr erschreckt. Gerade jetzt, wo die beiden eine Freundschaft aufbauten. Sie hatte das Gefühl ihr voll vertrauen zu können. Um nichts auf der Welt wollte sie einen Bruch riskieren. Barbara ärgerte sich sehr darüber, dass sie sich ihren Gefühlen spontan hingegeben hatte. Schuld war der gute Wein. Er hatte ihr, wie schon oft, die Hemmungen genommen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Helene allerdings hatte das Thema schon längst abgeschlossen. Irgendjemand, der sie möglicherweise überhaupt nicht kannte, fiel eine Entscheidung gegen sie. Dieser Mensch hatte ja keine Ahnung was er ihr damit antat. Die Therapeutin hatte sie soweit einmal aufgerichtet, dass sie den Selbstmordgedanken vorerst einmal abhakte.
Am Abend erzählte sie Barbara von der Absage. Die war total bestürzt. Nach einem langen Gespräch kehrte Helene wieder in ihre Gedanken zurück. Sie hatte schon so viel in ihrem Leben geschafft, warum zerbrach sie derart an diesem Anruf? Ja, es war ein Rückschlag, aber vielleicht nur, weil sie ihre ganze Zukunft davon abhängig machte.
Die Therapiestunden taten ihr gut. In den Gesprächen wurde klar, dass es noch zu früh war um an einen Job zu denken. Ein Misserfolg am Arbeitsplatz könnte sie nur noch mehr schwächen und ihr einen Rückschlag versetzen. Es war nicht gut, die Lebensfreude nur an eines zu knüpfen. Zuerst sollte Helene wieder die Schönheiten ohne Verpflichtungen finden. Musik und Natur sollten da gut helfen. Es wurden ihr daher lange Spaziergänge, Schaumbäder und Musikabende verordnet. Zuerst belächelte Helene die Vorschläge, doch bald bemerkte sie, dass es ihr gut tat.
Karl wurde zunehmend nervöser. Seine Exfrau legte entweder gleich wieder auf, wenn er anrief, oder sie hielt das Telefonat derart kurz, dass er nichts Neues über sie herausbekam. Selten hatte er die Möglichkeit ihr Selbstbewusstsein zu boykottieren. Er war überzeugt, dass sie ohne ihn nicht leben konnte, nichts alleine auf die Beine stellen konnte. Seine Selbstwahrnehmung war im Laufe der Jahre getrübt und sein Sexleben hob das Ego, höher als gut für ihn war. Karl vergaß, dass Helene einen großen Anteil bei der Gründung der Firma hatte und ebenso an deren Wachstum. Alleine wäre er beruflich nie so weit gekommen. Er veränderte die Vergangenheit durch Selbstmanipulation und bemerkte es nicht einmal. Genauso wenig fiel ihm das Schrumpfen seines Kontoguthabens auf. Die vielen Liebschaften kosteten eine Menge Geld. Immerhin gab er sich als angesehener Mann, da konnte er sich schlecht kleinlich benehmen. Ebenso erzählte er von seiner ungerechten und undankbaren Exfrau. Nur die engsten Vertrauten und langjährigen Mitarbeiter kannten die Wahrheit über das ursprünglich geglaubte Traumpaar.
Karl merkte seine zunehmende innere Unruhe. Es machte ihn wahnsinnig nicht zu wissen was Helene tat. Er musste etwas unternehmen.
Barbara wurde zu ihrem persönlichen Motivator. Sie baute Helene nahezu jeden Tag auf, indem über Helenes Erfolge bei der damaligen Firmengründung geredet wurde. Da Barbaras Fuß wieder in Ordnung war, bestand sie darauf, vier Mal die Woche mit ihrer Freundin einen Spaziergang zu unternehmen. Die frische Luft und die Sonnenstrahlen taten beiden gut.
Als Helene wieder einmal von einem Therapiegespräch nach Hause kam, bemerkte sie, dass ihre Wohnungstüre nicht verschlossen war. Hatte sie etwa vergessen abzusperren?
Kurz darauf erstarrte sie. Jemand war in ihre Wohnung eingebrochen und hinterließ sie in einem furchtbaren Zustand. Mit zittrigen Fingern wählte sie die Nummer der Polizei.
Die Beamten klopften an jede Türe im Stockwerk um die Nachbarn zu befragen, aber niemand wollte etwas von dem Einbruch bemerkt haben. Nicht einmal Barbara, die ansonsten sehr aufmerksam war, hatte etwas Ungewöhnliches gehört. Der Verbrecher hatte es in diesem Haus wohl leicht, denn der Lärmpegel war ziemlich hoch und so fügten sich die Einbruchsgeräusche wahrscheinlich dem ein.
Sowohl den Polizisten als auch Helene war unklar, weshalb gerade in ihre Wohnung eingebrochen wurde. Sie hatte keine Wertgegenstände, außer dem Fernseher und der war noch an seinen Platz. Meist hatten es die Täter in solchen Häusern auf elektronische Gegenstände abgesehen, doch hier schien nichts zu fehlen. Es sah fast aus, als hätte der Einbrecher etwas Bestimmtes gesucht. Der Inhalt von Kommoden und Kästen befanden sich verstreut am Boden. Geschirr und Bilder wurden mutwillig zerbrochen. Wer hatte es auf Helene abgesehen?
Barbara nahm ihre Freundin in den Arm.
Helene hatte Angst, lieber wäre es ihr gewesen, wenn es die Einbrecher auf Wertgegenstände abgesehen hätten.
Am nächsten Tag half Barbara ihr bei den Aufräumarbeiten. Vom Geschirr blieb kaum etwas übrig, was noch zu verwenden war. Sogar die Bekleidung war zum Teil kaputt. So wie es schien, war der Einbrecher voller Zorn gewesen. Das neue Schloss an der Türe beruhigte Helene nicht wirklich, denn es war genauso leicht zum Aufbrechen wie das zuvor.
Barbara fühlte mit ihrer Freundin mit, versuchte sie auf andere Gedanken zu bringen und verbrachte nun noch mehr Zeit mit ihr. Aber jedes Mal, wenn Helene das Haus betrat kam ihre Angst wieder hoch, ob erneut die Türe aufgebrochen sein könnte. Nachts erschrak sie bei jedem noch so kleinen Geräusch. Sie bereute, nicht um einen angemessenen Teil bei der Scheidung gekämpft zu haben, jetzt könnte sie das Geld gut für eine andere Wohnung brauchen. Karl nutzte damals schamlos ihre seelische Verfassung aus. Niemals hätte sie gedacht, dass er sich zu einem derartigen Ekel entwickeln würde.
Als Karl sich telefonisch wieder einmal meldete, wollte er sein Bedauern über den Einbruch bei Helene ausdrücken, doch woher wusste er überhaupt davon?
Er bot ihr im Zuge dessen doch tatsächlich an, dass sie wieder bei ihm einziehen könnte. Was dachte er sich blos dabei? Niemals zog Helene dies in Betracht.
Karl glaubte wirklich daran, Helene könnte eines Tages wieder an seiner Seite stehen und die Mutter für seine außerehelichen Kinder spielen.
Helene unterrichtete die Polizei von ihrem Verdacht, Karl könnte hinter den Einbruch stecken. Bei dem Gedanken an seine eigene Exfrau huschte den Beamten ein grinsen über die Lippen. Niemals würde er sie wieder zurückhaben wollen. Helene bemerkte seine Skepsis, hoffte aber trotzdem darauf, ernst genommen zu werden.
Die Angst in der eigenen Wohnung brachte sie in den Wahnsinn. Selbst auf der Straße drehte sie sich ständig um, weil sie an einen Verfolger dachte. Jeder, der sie auch nur kurz ansah, war verdächtig. So konnte es nicht weiter gehen.
Die Ärztin verschrieb ihr Schlaftabletten. Anscheinend dachte sie, dass der Schlafentzug ihre Phantasie übertrieben anregte. In Helenes Wohngegend wurde oft eingebrochen, auch wenn es ein wenig seltsam war, dass nichts gestohlen wurde, so glaubte die Therapeutin nicht an einen gezielt persönlichen Akt. Wahrscheinlich war die Wahl der Wohnung nur Zufall. Ein paar Jugendliche, die sich gegenseitig mit Vandalismus beeindrucken wollten.
Die Schlaftablette wirkte rasch. Helene schlief tief und fest, doch brauchte es ein paar Tage. bis sie sich daran gewöhnte. Anfangs taumelte sie und hätte 24 Stunden durchschlafen können. Diese Nebenwirkungen verschwanden aber bald.
Barbara kümmerte sich unterdessen ums Kochen. Helene vergaß meist etwas zu essen, also brachte sie ihr täglich etwas hinüber, damit ihre Freundin wieder zu Kräften kam.
Wenn Helene wieder einmal teilnahmslos vor sich hinstarrte, zerrte Barbara sie von der Couch und ging mit ihr an die frische Luft.
Die Polizei hatte noch keine Neuigkeiten was den oder die Einbrecher betraf. Der Kommissar machte auch keine großen Hoffnungen, dass sie den Fall je abschließen konnten.
Читать дальше