Neben dem Toten fängt ein Handy an, die Nationalhymne der Telekom zu spielen.
»Genau!«, ruft Flash so laut, dass Aja zusammenfährt. »Wir machen was mit Musik. Du kommst aus einer musikalischen Familie.«
»Ich betrete eine Bühne nur tot. Anschauungsmaterial für Medizinstudenten. Aber nur, wenn sie nicht mit meinem Zwölffingerdarm Flaschendrehen spielen.«
»Wenn Lissa uns hier drin sehen würde! Ist bestimmt nicht ihre Vorstellung von trendiger Samstagabendunterhaltung.«
»Du stellst dir also Lissa vor. Danke, keine Details.«
Das Telefon meldet sich wieder. Aja geht seitwärts wie eine Krabbe hinüber, um ja den Toten nicht sehen zu müssen.
»Hallo?«, meldet sich eine Frau.
»Mein Beileid«, sagt Aja. »Er hat nicht gelitten. Seine letzten Worte galten Ihnen. Sagen Sie ihr, dass ich sie immer lieben werde. O-Ton.«
»Ich dachte, ich hätte mein Handy in der Pathologie vergessen. Ich bin Doktor Rohde. Wer sind Sie?«
»Ihr schlimmster Kunstfehler. Ich lebe noch. Das wird ein Nachspiel haben. Sie hören von meinen Anwälten, Frau Doktor Rohde. Auf Wiedersehen.«
Sie legt auf. Jetzt fühlt sie sich besser.
»Du bist echt abgefahren«, sagt Flash. Aja nimmt es mal als Kompliment.
»Manchmal wäre ich gerne in. Macht dein Leben leichter.«
»Es macht dein Leben wie jedes andere.«
»Muss nicht das Schlechteste sein«, sagt Aja und ist selbst erstaunt darüber. Sie begegnet Flashs Blick. »Was stimmt mit meiner Weste nicht? Die habe ich aus dem neuen Rotkreuz-Container drüben in Lichtental gezogen, Eins-A-Ware, okay?«
»Mir gefällt sie.« Er sieht aus, als meinte er das ernst. Er ist komplett strange drauf.
»Dann haben wir beide das gleiche Problem«, sagt sie und sie lachen miteinander, was sich ziemlich groovy anfühlt. Aja meint sogar, dass Meister Tod hier ein bisschen grinst. »Wir sollten echt einen Ratgeber lesen. Wie man in ist.«
»Diese ganzen Ratgeber, die passen doch nie.«
»Stimmt«, sagt sie, »den müsste man schon selber schreiben.«
Sie sehen sich an. Es ist nur ein Klick! , aber hallt lauter als ein Donner durch Ajas Kopf. Und, um das klarzustellen, mit Gefühlen hat dieses Klick! nichts zu tun, was hier klickt, ist bloß eine gemeinsame Idee, nichts weiter. Okay? Gut. Weiterlesen.
» Reinkommen für Draußensitzer «, sagt Aja. »Was hältst du davon?«
»Nicht schlecht.«
»Warte! Aufwärmen für Heizpilz-User .«
»Besser. Klingt aber irgendwie nicht ... nicht in genug.«
»Ich hab’s: Insein für Outsider. «
Klick! Klick! Klick! Klick!
»Geile Idee«, ruft Flash. »Oder sagt ein Insider fett ?«
»Gut«, sagt sie, »gut geht immer.« Das Projekt wird ihr helfen, Tizian anzulanden, irgendwie. Das Projekt ist nur ein trojanisches Pferd für ihre Liebe. Der Haken: Sie will dieses Projekt nicht machen, sie will nichts wissen vom Insein und vom Outsein. Sie will einfach nur sie sein – und mit Ti sein.
»Das wird richtig gut«, sagt sie mit breitem Grinsen. Eine breite Lüge. Und Flash, der grundehrliche Flash, der eine Lüge nicht mal erkennen würde, wenn sie ihm aus einer Gewitterwolke vor die Sneakers klatscht, dieser Flash sagt mit dem falschesten Lächeln seit Erfindung der Schönheitschirurgie: »Das wird richtig, richtig, richtig gut.« Drei Lügen zum Preis von einer.
Insein für Outsider ?
Sie können einpacken: Mit dem Abzug runter ins Verderben.
Aber unten, vor dem Einschlag, wartet Tizian und fängt sie auf.
Beinneid und ein Tsunami auf dem Schulklo
»Gehet hin und tuet so!« Mit einer Segensgeste gibt Herr Sarytchew Ajas und Flashs Projekt das Okay und schickt sie hinaus auf den Schulhof der Hoffnungslosigkeit. Amen, Bruder.
»Die haben mein Rad geklaut«, sagt Aja. Sie kickt eine leere Dose Red Bullshit weg. Die Dose purzelt in eine Gruppe spielender Fünftklässler.
»Oh, tut mir leid.« Flash dackelt neben ihr her.
»War bestimmt auch Schicksal.«
»Bei unserem Projekt komme ich mir vor wie ein Fake«, sagt er. »Wir haben doch beide nicht mehr Lust drauf als die da.« Er deutet zu einer Gruppe Abi-Anwärter, die auf dem Gras unter den drei alten Linden chillen.
»Kein Inder verlangt von uns, dass wir die Sache mit Leidenschaft hinter uns bringen – fix rein, fix raus, erledigt.«
Sie geht schneller, um ihn loszuwerden, aber Flash hält Schritt.
»Heute ist schon Montag«, sagt er. »Wir haben keine zwei Wochen mehr.«
Aja biegt abrupt um die Ecke der Sporthalle – und rennt volle Kanne in Lissa. Autsch! Papier segelt durch die Luft.
Lissa reibt sich die Stirn und lächelt ihr Mona-Lissa-Lächeln, unergründlich. Sie und Hanna und Clara heben ihre Modezeitschriften und Kataloge auf. Flash, der Verräter, hilft ihnen. Warum aber fühlt sie sich schuldiger an dem Zusammenstoß als Lissa?
»Tizian«, sagt Lissa, »meint, deinem Dad geht es besser.«
»Wenn er das meint, wird es wohl stimmen.«
»Gratuliere zum Projekt«, sagt Lissa. »Ein würdiges Team mehr, gegen das wir antreten.« Wenn sie wüsste, was ihr Projekt ist!
»Am besten gebt ihr gleich auf«, sagt Aja.
»Ist eure einzige Chance, hm?«, kontert Hanna. Ihr rosa Top ist so eng, man kann die Preisschilder an ihren Silikonkissen lesen.
»Unser Projektleiter frisst Hanna aus der Hand«, sagt die dritte Nudel in der Hühnersuppe, Barbie Clara. Obwohl es Mittag ist, ist der Schatten ihrer Beine lang genug, um Aja darin frösteln zu lassen. »Worum geht es bei euch? Wieder um Survival im Wald wie bei deinem letzten«, Clara gähnt theatralisch und segnet Gänsefüßchen in die Luft, »Vortrag?«
»He, seid nett zu euren Wettbewerbern«, sagt Lissa. Mit ihren Kulleraugen fängt sie Flash wie ein Reh in einem Suchscheinwerfer. »Ihr macht was mit Gewitter und Blitzen, hab ich Recht? Wo Flash doch eine Koryphäe auf dem Gebiet ist.«
Aja bleibt der Atem weg. Woher weiß die von Flashs kranker Leidenschaft?
»Genau«, sagt Aja. »Wir brauchen noch Versuchskaninchen. Wie wär’s, Clara, du lockst bestimmt sogar mitten im Buchenwald die Blitze an.«
»Immerhin locke ich überhaupt was an.« Sie lässt ihren Blick über Aja gleiten wie einen spöttischen Scanner. »Während du hoffst, dass deine Abfallcouture die Jungs von ihrem traurigen Inhalt ablenkt.«
»Aja ist bloß beinneidisch«, sagt Hanna.
»Ich finde Ajas Beine okay«, sagt Flash und errötet bis hinter Kapstadt, als sich vier Augenpaare auf ihn richten.
»Ich kann meine Beine selbst verteidigen«, sagt Aja. »Und dich gehen sie gar nichts an, klar?«
»Mein lieber Sarytchew hat ganze Arbeit als Amor geleistet«, sagt Hanna und lacht und Clara auch, obwohl die sichtlich keinen Plan hat, wer oder was Amor ist.
»Nun ist aber gut.« Lissa klatscht in die Hände wie die Erzieherin in einem Kindergarten. »Wenn wir euch helfen können, gebt Bescheid.« Sie seufzt. »Ihr könnt die Sache ja ganz relaxt angehen. Von uns erwartet jeder, dass wir gewinnen. Wenn wir nur Zweiter werden, sind wir gesellschaftlich tot. Wir sind das Bayern München der Projektwoche.« Diese Tussi macht Aja fertig. Wie kann man gleichzeitig so nett klingen und so hintertrieben sein? »Außerdem«, fährt Lissa wie beiläufig fort, »will ich gewinnen.«
»Und Lissa«, sagt Clara, »kriegt immer, was sie will. Ciao, Ciao.«
Die Hühner flattern davon.
»Sie könnte uns bestimmt helfen mit unserem Ratgeber«, sagt Flash und wedelt mit einer vergessenen Modezeitschrift.
»Spricht da Hirn oder Hose?« Aja reißt ihm das Heft aus der Hand, versenkt es im nächsten Papierkorb und stapft zu ihrer Ecke hinter den Hortensien, wo sie in den Pausen ihre Ruhe hat. Heute knutschen dort zwei frühreife Sechstklässler.
Читать дальше