Fakt ist: Solange sie das nicht schaffen, haben sie einfach keine Chance‚ in ihrem Land, also in der Gesellschaft, eine normale Erwachsenenwelt aufzubauen. Wozu eben auch die absolute Verbindlichkeit rechtsstaatlicher Normen im Alltagsleben gehört. Man kann von Pseudoerwachsenen, die unter psychischen und sozialen Entwicklungsstörungen leiden, und zwar schon in der x-ten Generation, nicht erwarten, dass sie tatsächlich fähig sind, sachlich und möglichst objektiv zu reflektieren‚ was für einen Fall von zurückgebliebener Entwicklung sie darstellen.
Der gravierendste Fall von Zurückgebliebenheit war wohl Adolf Hitler. Ein Musterbeispiel für gestörte Entwicklung. Wie zu seiner Zeit üblich, kam auch Hitler als Kind und Jugendlicher, also in der prägenden Phase, nie ans seiner kleinen Welt heraus. Aus seinem Umfeld, meine ich - seinem sozio-kulturellen Mikrokosmos, wie man als Sozialwissenschaftler sagt. Also bekam er gleich eine doppelte Hemmung serviert, und das war eben auch sein Pech - und das der gesamten Welt: dass er, der kleine A.H.‚ sie leider nicht kennenlernen durfte - die große Welt.
Wie ich dagegen etwa. Ohjunge, bin ich vielleicht durch die Gegend gereicht worden, früher als kleiner Junge. Davon muss ich ihnen später noch etwas mehr erzählen. Jedenfalls: Was ich an Herumjetten zu viel hatte, blieb Jemandem wie A.H. komplett vorenthalten, und ich wette, wenn nur ein halbwegs vernünftiger Kopf in seiner Familie rechtzeitig auf die Idee gekommen wäre, dem kleinen A.H. einen Globus zu schenken, wäre ihm früh bewusst geworden, wie groß die Welt ist, und vor diesem erweiterten Horizont hätte er wahrscheinlich gar nicht erst die fixe Idee entwickeln können, sie überfallen und unterwerfen zu wollen.
Einer der Hauptgründe, warum die Deutschen heute die absoluten Weltmeister im Herumreisen sind, ist eben das unbewusste Motiv, endlich - ENDLICH - E N DLICH einen größeren, weiteren Horizont zu bekommen. Jeder weltreisende Deutsche möchte dem kleinen Adolf H.‚ den er insgeheim in sich herumträgt‚ ENDLICH einen größeren, weiteren Überblick verschaffen. Ich will verdammt hoffen, dass sie es in absehbarer Zeit schaffen. Richtig Sorgen machen müsste man sich wohl erst dann, wenn sie plötzlich anfangen würden‚ nur noch zu Haus herumzuhängen.
Natürlich ist Adolf H. und alles, was mit ihm direkt oder indirekt zusammenhängt, auch schuld daran, dass an diesem 23. April das Abholkommando vor der Tür stand und in bester Tradition brüllte: „Los mitkommen, der Wagen steht unten!“
Ich wünschte wirklich, mein Cousin Phil Baumgartner hätte damals dabei sein können. Er ist eben Professor für Psychologie drüben in den U.S.A. Möglicherweise haben sie schon von ihm gehört oder gelesen. Er hat vor Jahren dieses Buch herausgebracht „HEILT HITLER! DIE PATHOGENESE EINES SÜNDENBOCKS“.
Das Thema entdeckte er eigentlich nur durch Zufall. Ursprünglich war mein Cousin nur im Sex-Geschäft tätig. Das heißt, er therapierte Sexualneurotiker und Psychosen. In einer klassisch puritanischen Gesellschaft ist in dieser Hinsicht fast Jeder ein potenzieller Patient.
Prof Baumgartner verdiente sich mit der Arbeit in seiner Praxis am Central Park Süd so viele Meriten, dass man ihm eine Dozentur antrug. Und natürlich wegen seiner bekannten Bücher - dem zweiten, dem genannten Hitler-Buch, und dem, das er zuerst schrieb, und zwar über eine ziemlich perverse Tante: „DAS UNITY MIDFORD-SYNDROM“. Darin analysiert mein Cousin die Biographien von Frauen, die eigentlich nicht den geringsten Grund hätten, sich Sorgen machen zu müssen, was sie aber so langweilt, dass sie dem Ärger sozusagen hinterherlaufen.
Eben so wie diese Miss Unity Midford. Was sie nämlich machte, sie lief Adolf Hitler hinterher. Eine britische Adelige auf der verzweifelten Suche nach elementaren existentiellen Erlebnissen. Wie zum Beispiel Vergewaltigung oder pro Woche ein blaues Auge. Oder eine tägliche Tracht Prügel. Es ist einfach irre. Ich meine, mit ihnen, mit diesen Frauen. Mit Ausnahme meiner einzigen Freundin kommen sie mir alle ziemlich verdreht vor.
Natürlich ist es nur logisch, dass mein Cousin sich mit diesen Themen herumschlägt. Mit Psyche und Sex und allem. Er ist auch in London groß geworden, und da liegt der Stoff für Bücher wie das über Miss Midford sozusagen auf der Straße. Die britische Mittel- und Oberschicht ist männlicherseits so unglaublich schwul, dass die Frauen sich praktisch genötigt fühlen, sich in die Arme von Automechanikern oder Möbelpackern zu werfen. Oder sie laufen einfach einem Diktator hinterher. Wie eben Midford diesem Hitler.
Was meinen Cousin dazu brachte, sich näher mit Hitlers verdammter Biographie zu beschäftigen, und was er herausfand, läuft darauf hinaus, dass A. H. deshalb versuchte, die Welt in Schutt und Asche zu legen, weil er unter paranoid-halluzinatorischer Psychose litt. Einer Krankheit, die zum Formenkreis der Schizophrenie gehört und mit seiner Entwicklungsstörung zusammenhängt.
In „HEILT HITLER - DIE PATHOGENESE EINES SÜNDENBOCKS“ steht genau, wann der Ansatz zu dieser Symptomatik gesetzt wurde: Anfang des 20. Jahrhunderts, in Wien, an einer dieser typischen mitteleuropäischen Kunstakademien, deren Professoren ihr Leben lang nicht aus ihren Scheißwolkenkuckucksheimen herausgekommen sind. Hitler produzierte ja diese Zeichnungen.
Ich meine, ich verstehe absolut NICHTS von Malerei und allem, und außer den Bildern von Edward Hopper bedeutet mir diese ganze Kunst überhaupt nichts. Mir ist lediglich klar, dass ALLES SEHR RELATIV ist.
Ich meine all diese Bewertungen und Kategorisierungen in „KUNST“ oder in „NICHT KUNST“ und so weiter. Falls sie es genau wissen wollen, es zieht mir glatt die Schuhe aus, wenn ich mitkriege‚ nach welchen Kriterien da geurteilt wird. Und nicht zuletzt: WER da urteilt. Sollten Sie irgendwann Lust bekommen, einen Haufen aufgeblasener‚ besserwisserischer Schwindler zu erleben, dann besuchen Sie die Eröffnung einer Museumsausstellung. Oder sonst einen verdammten Kulturevent. Soll heißen, falls man Sie überhaupt einlässt. Am besten, Sie präsentieren sich schon vor dem Eingang als aufgeblasener besserwisserischer Schwindler, dann haben Sie bessere Karten. Unter Ihresgleichen fühlen diese Poser sich am sichersten.
Natürlich ließen diese Hofschranzen und eingebildeten Nullen mit ihrer Beamtenmentalität den jungen A. H. direkt gegen die Wand fahren. Vielleicht hatte er bei seinem Auftritt vor der Kommission auch nicht unbedingt die passenden Sachen an - er hätte vorher besser noch bei einem verdammten Kostümverleih vorbeigehen sollen, um sich entsprechend in Schale zu werfen. Kleider machen bekanntlich Leute. Dann wäre er womöglich akzeptiert worden und die Welt hätte nie von A.H. gehört.
Zwischen dieser vermeidbar gewesenen Abfuhr als Maler und den Jahren seiner schweren Traumatisierungen als Soldat des Kaisers im Ersten Weltkrieg lagen offensichtlich die Jahre, in denen sich schließlich seine Pathologie entwickelte.
Der Erste Weltkrieg konnte immerhin auch nur darum ausbrechen, weil die Herrscher in Europa und ihre Völker kaum eine Vorstellung davon besaßen, wie groß und kompliziert die Welt ist. Und das Leben darin. Falls jemand von Ihnen es vergessen haben sollte, stammte Hitler aus Braunau in Oberösterreich, und weil die Herrscher in Wien, die Habsburger, mit den Deutschen alliiert waren, wandten sie sich zusammen gegen den Rest der Welt, von dem sie nicht wussten, wie groß er war. Das muss einem aus heutiger Sicht schon alles sehr naiv vorkommen. Und jetzt stellen Sie sich vor, der kleine Gefreite Hitler gehörte mit dazu. Heute würde ein Fall wie seiner gleich bei der Musterungsstelle erkannt und auf der Stelle rausgefädelt. Man würde ihn entweder in eine Klinik einweisen oder ambulant behandeln. Jedenfalls könnte man ihn vernünftig therapieren.
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