Ohjunge, es wird nicht schlecht bezahlt, das kann ich Ihnen verraten. Um auf die Bevorzugtenliste zu kommen und Privilegien einzuheimsen, von denen in Spezialdemokratien Normalsterbliche nicht einmal träumen, weil sie 1) keine Ahnung haben von diesem Privilegien und 2) das Träumen langst aufgegeben haben, muss man nur ein bisschen seine Seele verkaufen. Und die eigene Identität aufgeben, falls nach dem Missioniertwerden noch Reste davon übriggeblieben sein sollten. Träumen ist selbstverständlich auch für die Missionare tabu. Und Liebe - vor allem Liebe. Nachdem sich erst herausstellte, dass ich wirklich ganz gern auf den Knien liege, aber eben nicht vor Hauptmann Beatty und sonst irgendwelchen Göttern und Halbgöttern, sondern vor süßen Schwesterchen, katapultierte ich mich innerhalb kürzester Zeit an die vorderste Stelle der Abschussliste.
Wo ich herkomme, lernt man am ersten Tag in jeder weiterführenden Schule, dass man sich vor Leuten, die einem paradiesische Zustände versprechen, lieber in acht nehmen sollte. Immerhin ging das noch nie gut; es wurde immer alles nur noch viel schlimmer, ganz egal wo, wann, wie und wer und alles. Und am allerschlimmsten endet es regelmäßig, wenn ausgewachsene Politiker sich hinstellen und anfangen, der Bevölkerung das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen.
Besonders Leute mit engem Horizont fahren natürlich darauf ab. Auf solche verlogenen Reden, meine ich. Ungefähr nach dem zehnten Mal geht ihnen vielleicht auf, dass man sie ein halbes Leben lang systematisch verarscht und betrogen hat, etwa in Wahlkampfansprachen, wenn die Politheuchler sich beim Wahlvolk einschmeicheln wollen und schleimen, was das Zeug hält. Etwa die Hälfte dieser Wähler bleibt dann am Wahltag zuhaus und gibt einen Dreck auf die Politik und alles andere, während die andere Hälfte es bis zum nächsten Wahltermin wieder verdrängt hat, verarscht worden zu sein. Sie wählen erneut ihre Sklavenhalter und alles läuft wie gehabt.
Damit die Leute schneller vergessen, richten die Politiker in der Zwischenzeit noch ein paar zusätzliche Fernsehprogramme ein und lassen den einen oder anderen neuen Freizeitpark aus dem Boden stampfen. Im Rahmen der Veränderungen a la „Fahrenheit 451“ ist Spezialdemokratien inoffizieller Weltmeister in dieser Disziplin. Am liebsten werden Orte bebaut, wo vorher irgendwelche Fabriken oder andere Industrieanlagen standen. Es wimmelt dort nur so von solchen Stellen, die dann als paradiesischer Spielplatz für die nicht länger durch Arbeit behinderte Bevölkerung eingerichtet werden. Die Symbolik macht natürlich jede Menge aus: Früher mussten die Leute an diesen Orten zwangsweise aufkreuzen‚ eben um zu arbeiten und alles, und jetzt zieht es sie ganz freiwillig dorthin, und sie bezahlen womöglich sogar noch Eintritt dafür. Das hätten sie sich früher nicht träumen lassen. In der alten Zeit, vor der Kulturrevolution.
Keine Ausbeutung mehr durch das alte System, sondern von morgens bis abends Fun. Und bei Bedarf auch die Nacht hindurch. Fun, Fun, Fun. Der Große Bruder hat den Finanzunterhalt übernommen. Und er zeigt sich auch ziemlich großzügig. Er zahlt für sämtliche Ausgaben - die Leute müssen ihm nur ihren Anspruch auf Mündigkeit zurückgeben, die die Verfassung der alten Bundesrepublik ihnen seit 1948/9 garantierte. Von wegen Menschenwürde und unantastbar inklusive das Recht auf Selbstbestimmung des Bürgers. Von einer Daseinsform als Sozialuntertan war darin jedenfalls nicht die Rede. (Ein Wirtschaftsmensch sprach in dieser Hinsicht einmal sogar von „offenem Strafvollzug“ – als Reaktion hierauf wurde er bald danach ermordet.)
Und jemand wie Ministerpräsident Wrzlbrmft war in der Verfassung auch nicht unbedingt vorgesehen. Der Chef der Landesregierung von Spezialdemokratien ging während seiner 20jährigen Amtszeit ständig herum und erzählte den Leuten Märchen. Er suggerierte der Bevölkerung, wie großartig es jedem im Musterbundesland gehen würde, und dass sich in Zukunft alles noch viel besser entwickeln sollte. Spezialdemokratien, hämmerte der alte Wrzlbrmft den Menschen ein, sei eben nichts weniger als das Paradies der kleinen Leute, und für die Zukunft versprach er ihnen noch erhebliche Steigerungsmöglichkeiten ihres kollektiven Glücks, denn der allgemeine gesellschaftliche Fortschritt sei absolut unaufhaltbar. Als einzige Bedingung für die Erfüllung der Versprechungen in seinen ständigen Sonntagsreden (in denen Old Wrzlbrmft auch noch gern mit Bibelzitaten um sich warf, um der naiv gehaltenen Bevölkerung weiszumachen, seine Erkenntnisse kämen exklusiv zu ihm von höchster Stelle), forderte der amateurtheaterbegabte oberste Kleinbürger des Musterlandes jedes Mal nur seine Wiederwahl als wesentliche Symbolfigur für das System. Und die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung tat ihm natürlich den Gefallen, weil sie sich an den gemütlichen Märchenonkel gewöhnt hatten. Und schließlich richtete er ihnen diese vielen schönen neuen Spielplätze ein. Old Wrzlbrmft kam zu seinem Job, weil sein Vorgänger nach einem der üblichen Finanzskandale zurücktreten musste. Die spezialdemokratische Partei war unter Wrzlbrmfts Vorgänger schon ein dutzend Jahre an der Macht, und in dieser Zeit sammelten sich dermaßen viele Leichen im Keller, dass sich irgendwann nicht mehr alles vertuschen ließ - der Bankenskandal war einfach eine Nummer zu groß, um ihn auch noch unter den Teppich kehren zu können. Man musste wenigstens nach außen die Form wahren und den Chef der Landesregierung austauschen. So kam nach allem was offiziell in Erfahrung zu bringen war, Old Wrzlbrmft ins Amt. Anscheinend hatte er sich dadurch qualifiziert, indem er vorher mit Realschulabschluss nichts weniger als den Wissenschaftsminister von Spezialdemokratien mimte. Aus spezialdemokratischer Sicht ist so eine Qualifikation ideal. Der Feuerwehrhauptmann Beatty aus „Fahrenheit 451“, als Pate oder Spiritus rector des fortschrittlichen neuen Gesellschaftsmodells, steht jedenfalls voll und ganz dahinter. Und dass Old Wrzlbrmft, sobald er in der Öffentlichkeit auftrat, mit dieser talentierten Märchenonkel-Show brillierte, erwies sich vom praktischen Effekt her auch nicht grade als Nachteil. Ohjunge, das sowieso schon bigotte Volk liebte ihn, immerhin war er einer von ihnen. Und sie, also die Gesellschaft, die neuen Mustermenschen, entwickelten sich immer mehr so verdreht, wie die eigentlichen Drahtzieher in der DDR, für die Old Wrzlbrmft den idealen Strohmann abgab, es beabsichtigten. Und für mich sollte beim Spezialdemokratischen Rundfunk also auch etwas dabei abfallen - ein paar Krumen unterm Tisch. Alle Beteiligten setzten automatisch voraus, ich würde natürlich auch sofort gierig hinterher springen. Nur dass sie sich in dieser Hinsicht alle gründlich täuschten.
Mit seiner idiotensicheren Taktik brachte Old Wrzlbrmft es glattweg fertig, sage und schreibe zwanzig Jahre lang im Amt zu bleiben. Im Verlauf dieser Zeit blieb logischerweise kaum ein Stein auf dem anderen. Ich meine, der Rechtsstaat und die Verfassung und alles, was die Väter des demokratischen Systems in der alten westdeutschen Republik seit Ende der vierziger Jahre geschaffen hatten, wurde dermaßen ausgehölt - eben entkernt -‚ bis fast nur noch bloße Fassaden übrig blieben. Der alte Potemkin hätte sich großartig ausgekannt und zurechtgefunden, und die jüngeren Funktionäre der Partei, etwa die Kulturleute‚ die gar nichts anderes mehr kannten als ihre Scheinwelt, wussten auch ganz hervorragend Bescheid - nur ich leider nicht.
Okay - und nachdem schließlich die Berliner Mauer gefallen war, wurde Spezialdemokratien ganz offiziell als Musterbeispiel für die Bundesrepublik gehandelt. Als erstes gründeten Spezialdemokratien und das Kernland der alten DDR, Brandenburg, ihre Länderpartnerschaft, um zu retten, was sich noch retten ließ. Die spezialdemokratischen Landes- und Kommunalpolitiker waren so-und-so lange mit dem Hut in der Hand in der alten DDR und vor allem in Ost-Berlin herumgelaufen, darum ließ sich eine ganze Menge von dem, was die alte DDR ausgemacht hatte, in Sicherheit bringen. Besonders die Anleitungen, wie die DDR zu betreiben war - die Betriebsanleitungen in den Köpfen. Und keineswegs nur in den Köpfen von Politikern.
Читать дальше