Seufzend wandte sich Belothar ab. »Lasst uns nicht weiter darüber reden«, knurrte er missbilligend.
»Belothar, ich fürchte …«, versuchte Lutek unsicher einzuwenden, wurde aber von abwehrenden wedelnden Händen des Monarchen unterbrochen.
»Nein! Sagt nichts! Sonst schlägt es mir noch auf den Magen. Möchte jemand von dem Eintopf probieren. Ich habe einen Mordshunger.« Mit diesen Worten stiefelte er davon.
Ob es ein Scherz werden sollte, konnte Celena nicht herauskristallisieren. Und wenn, konnte sie ihrem Weggefährten nicht böse sein. Solange Belothar sich seine lahmen Witze erhielt, solange wusste sie, dass er nicht verzweifelte. Das war eben die Art des Jungkönigs mit Dingen klarzukommen. Dieser Mann, der davonstapfte, war mehr alleine, denn alle anderen. Selbst dann, wenn er ab und zu unsichere Blicke zu Sebyll warf. Hingegen sie wusste ihren Ruhepol stets an ihrer Seite.
Schwesterliche Fürsorge erfasste ihr Herz, als sie hinter den Regenten herblickte. Sie mochte alles verloren haben. Belothar aber hatte nie etwas sein Eigen nennen können. Stattdessen verlor er stets, was er in seiner Reichweite glaubte, denn ob all seiner Schwächen, war dieser Mann voller Liebe.
* * *
An der Schulter Luteks angelehnt, verfolgte Celena aufmerksam, ebenso wie ihr Geliebter, das Treiben in der alten Ruine. Ihre Gedanken waren nicht mehr als ein wirrer Haufen an Ideen, die keinen fassbaren Zusammenhang ergeben wollten.
Unweit von ihnen saß Belothar. Seine Blicke ruhten auf Sebyll. Celena bemerkte, wie er nachsinnend innehielt und sich seine Brauen zusammenzogen. Es schien, als müsse er innerlich schwere Entscheidungen treffen. Vielleicht waren es Entscheidungen, gleich einem steinernen Koloss, der ihm den Weg versperrte.
Ihre Blicke wanderten weiter. Irgendwo zwischen den anderen kauerte sicherlich der struppige Hund, der unbeeindruckt von allem Geschehen vor sich hin schlief. Niemand ahnte, wer tatsächlich die Fellnase war, welcher allabendlich sich Futter von den Hütern zusammen stibitzte.
Unwillkürlich musste sie innerlich lächeln.
»Es führt zu nichts«, ließ Lutek plötzlich verlauten.
»Was?« Celena schaute ihn erstaunt von der Seite an.
»Nachzudenken! Es führt im Augenblick zu nichts«, mahnte Lutek sie.
»Woher willst du wissen, was und ob ich nachdenke?«
»Ich kann es fühlen«, lachte er leise. »Zumindest fühle ich sie als ungeordneten Reigen von Menschen, die versuchen, im Takt der Musik zu tanzen. Jedoch nicht von rechts und links unterscheiden können.«
Der kaum zu bannende Akzent in Luteks Worten war unschwer herauszuhören.
»Sehr poetisch«, lächelte Celena.
Er antwortete ihr nicht. Stattdessen schob er seine Geliebte sanft von sich und erhob sich. Sachte ergriff er die Ihrige und zog sie zu sich in die Höhe. Etwas widerspenstig und irritiert folgte Celena der Aufforderung.
»Was soll das werden?«
»Es ist nichts Schlimmes! Ich möchte dir was geben und du gibst mir etwas«, antwortete der Fuchshaarige schmunzelnd. »Es ist mehr als ewige Dankbarkeit und Freundschaft. Du weißt, wovon ich spreche.«
Er griff zu einem kleinen Beutel, den er an seinen Schwertgürtel festgeknotet hatte.
»Oh, ich verstehe! Bin ich dir gefällig, dann werde ich nicht sterben.«
Spitzbübisch kräuselten sich die Lippen Luteks, als er in den Beutel griff.
»In etwa. Allerdings werde ich dir Wundervolles geben. Anschließend wirst du mir einen Gefallen erweisen. Doch vorher schließ deine Augen.«
Celenas Seelenfenster blinzelten ihn fragend an. Nach kurzem Zögern folgte sie seiner Anweisung. Sie senkte die Lider. Im nächsten Moment verspürte sie die Schärfe einer kalten Spitze an ihrem Hals. Ihr Atem wurde schneller, das Schlagen ihres Herzens heftiger. Sie mochte es nicht zugeben, nicht hier vor all den anderen um sie herum, doch es war erregend. Jeder noch so kleine Muskel spannte sich an, jedes Härchen an ihrem Körper stellte sich auf und ihre Lippen begannen zu beben.
Es war nicht die scharfkantige Spitze eines Dolches, was sie zuerst vermutete. Es war der Fingernagel von Luteks Zeigefinger, welcher über ihre Kehle hinauf zum Kinn bis hin zu ihren Lippen strich. Kurzweilig verharrte die Fingerkuppe, bevor sie zärtlich über den Amorbogen fuhr.
»Öffnen«, wies er raunend an. Sie tat es.
»Mit dem hier ist es wie im Leben. Du weißt nicht, was dich als Nächstes erwartet. Koste davon, bevor es zu spät sein könnte«, hauchte Luteks Stimme in ihr Ohr.
Sie war bereit. So bereit sie für eine ungewisse Zukunft sein konnte. Was immer ihr Geliebter ihr in den Mund legen würde, mochte sie mit sattem Lebensmut erfüllen oder zu Tode verdammen. Sie war bereit, denn ihm vertraute sie und er konnte ihr vertrauen. Sie hatte ihn nie hintergangen, nie benutzt und sich Hingabe, Leidenschaft und immerwährende Liebe verdient.
Celena fühlte, wie er etwas in den Mund legte, während seine Finger weiterhin ihre Lippen liebkosten und beinahe nicht loslassen wollten. Und sie kostete ihre Zukunft.
»So soll es denn sein. Nun ist es zu spät. Zu spät! Dein Glaube, dein Vertrauen soll belohnt sein«, flüsterte Lutek.
Die junge Frau öffnete ihre Augen. Sie blickte direkt in das strahlende Blau des Osgosaianers. Vorsichtig schloss sie ihren Mund und erlebte den süßen Geschmack einer braunen Gebäckkugel. Genüsslich kaute sie die süße Überraschung hinunter.
»Ich bin nicht diejenige, die dich verfluchte«, sagte sie nach dem letzten Krümel, den sie hinunterschluckte. »Ich bin nicht Malaine. Was immer sie einst zu dir sagte, ich werde dich niemals …«
»… verraten«, sagte Lutek jenes Wort, welches sie nicht aussprechen wollte.
Sie nickte. »Niemals! Denn du hast mich gerettet.«
»Und du hast mich gerettet. Es gibt Geschichten über solche Liebe. Geschrieben von Menschen und Göttern gleichermaßen. Ich habe sie regelrecht in mich hineingesogen, als ich noch klein war. Nie dachte ich, sie könnten wahr werden. Wie konnten wir jemals annehmen, dass sie unwahr sind? Es ist …«
»Es ist der Glaube, der uns fehlt«, bestätigte Celena. »Malaine hatte nie wirklich an dich geglaubt, sonst hätte sie dich nicht verraten. Wilna hatte befürchtet, möge ihre Seele Frieden finden, es könnte zwischen uns beiden genauso enden.«
Versonnen strich sich Lutek über seine Haare. »Doch sie hatte gemerkt, dass sie falsch lag.« Er lächelte. »Du hast mir etwas gegeben, das ich glaubte, verloren zu haben. Vertrauen und Glaube. Ist das nicht seltsam? Mir, der ich vorgab, derart unerschütterlich zu glauben.«
Er seufzte auf. »Oh, hört diesen osgosainischen Spion, wie er um den heißen Brei herumredet. Wie ein dummes unerfahrenes, verliebtes Kind.«
Er ergriff Celenas Hand. »Und nun, nachdem ich dir etwas gab, bist du an der Reihe.«
Er zog die Adelige mit sich in Richtung einer kleinen steinernen Plattform. Dort angekommen legte er ihre Hand auf seine Hüfte und die Seinige fand den Weg zu ihrer Schulter. Ungeachtet der Blicke der anderen und ungeachtet dessen, was sich Schreckliches bis vor zwei Tagen zutrug, begann Lutek langsam seine Füße zu bewegen.
Ihre Beine, ihr ganzer Körper folgten der Bewegung einer unhörbaren Melodie. Ohne sich darum zu kümmern, dass man ihnen zuschaute, erhob sich unvermittelt Luteks Stimme. Er sang.
Auf dem steinernen Untergrund wiegten sich die beiden im Rhythmus der so fremden und doch vertrauten Gesangsmelodie. Nach einer Weile stimmte Celena leise in den Gesang Luteks mit ein, während sie ihre Tanzbewegungen mit langsamen Schritten fortsetzten.
Der Tanz, der langsam begann, wurde schneller und fließender. Wie zwei einstmals ruhig nebeneinander herplätschernde Bäche, die nun zu einem reißenden Fluss wurden. Sie verschmolzen zu einem einzigen Gewässer aus anmutiger Leidenschaft und wirbelnder Liebe. Gemeinsam flossen sie durch Täler und über Gestein dahin. Ihre Spuren im Boden der Historie und Zeiten hinterlassend, ließen sie sich nicht von Felsen und Dämmen aufhalten. Bis Lutek hinter Celena glitt und seine Arme um ihre Brust schlang. Er atmete schwer.
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