Plötzlich überkam Marianne eine, alle ihre guten Vorsätze, sorgsam überlegten, gedanklich durchgespielten Vorsichtsmaßnahmen, über den Haufen werfende Eingebung. Die musste sie loswerden. Konnte sich nicht dagegen wehren, zu sehr drängte sie ihr Inneres dazu:
>Fahr zu mir hinunter, stell dich wieder vorne bei der Linde hin, da ist am ehesten ein freier Platz um diese Zeit. Wir können zum Inn hinaus spazieren, da bläst fast nie der Föhn. Später bei mir etwas trinken. Ich kann dir auch Kaffee anbieten, eine halbe Nussschnecke ist auch noch übrig. <
Fügte sie gekünstelt scherzhaft, hinzu.
WOW, damit hatte Marianne selbst nicht gerechnet. War über ihre plötzliche Courage total geschockt. Waren das ihre Worte gewesen, echt ihre? Nein, sie hatte nur laut gedacht. Nur ihre Gedanken, die sich verselbständigt, in deutlich hörbare Silben verwandelt, zu Worten gefügt hatten. Die ihren Empfänger erreichten, allzu klar und deutlich sogar.
Horst strahle sie an, bremste ab, wendete und fuhr talwärts.
Der Parkplatz direkt unter der Linde, war auch heute frei. Händchen haltend schlenderten sie den schmalen Fußweg zum Fluss hinüber, wanderten ein Stück am Ufer entlang. Horst hielt ihre Hand, half ihr beim Klettern über die Böschungssteine, auf eine Sandbank hinunter. Er hob flache Steine auf, schleuderte sie ins Wasser. Sie sah ihm dabei versonnen zu. Hier am Ufer war es tatsächlich windstill, die ersten Gräser trieben hier an der Sonnenseite bereits aus der Erde. Einer der seltenen schwarzen Kormorane suchte am gegenüberliegenden Ufer essbares zwischen den Steinen. Sie waren vollkommen alleine hier unten, direkt am Wasser. Keine Spaziergänger, keine Schnüffelhunde, keine schreienden Kinder mit ihren genervten Mamas. Nur das leise blubbern des Wassers, wenn es die Steine umspülte, war zu vernehmen…
Nach etwas über einer halben Stunde, meinte Horst halb verlegen, er wäre am Verdursten. Sie fragte nicht, nach was genau er am Verdursten wäre. Schweigend, ohne ein einziges Wort zu sprechen, gingen sie, eng umschlungen denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Bogen kurz vor der Linde rechts ab, über einen Grünstreifen in Richtung Haustüre. Marianne schloss auf, holte den Lift aus dem dritten Stock herunter, drückte die vier. Die Tür schloss sich, Horst sie gleichzeitig fest in seine Arme.
Vor ihrer Wohnung zogen sie ihre Schuhe aus. Sie sperrte ihr kleines Reich auf, zum ersten Mal öffnete sie es für ihn. Tasche und Jacke legte sie auf dem Highboard ab, er hing sein Sakko in der Garderobe über einen Bügel. Sie ging voraus ins Wohnzimmer, zog die schweren, rötlichen, blickdichten Vorhänge vor Balkontüre und Blumenfenster zu. Auf ihre Frage, ob er etwas zu Mittag gegessen hatte oder Durst hatte, bat er sie um ein Glas Leitungswasser. Sie ließ das Wasser aus der Leitung laufen bis es kalt genug war, füllte ihm ein Glas damit an.
Horst trank es auf einen Zug leer.
Sie hatte sich auf ihrer Couch niedergelassen. Ihren linken Fuß angezogen, unter den rechten gelegt, streckte ihm ihre Hand entgegen. Er nahm sie in den Arm, streichelte über ihren Rücken, schmuste mit ihrem Nacken, drückte ihren Wuschelkopf an sich. Zwischen gestammelten Liebeserklärungen küssten sie sich. Von Minute zu Minute immer intensiver, immer drängender liebkoste er sie. Sie hatte ihre Arme um seinen Nacken gelegt, hielt ihre Hände ineinander verschränkt. Bald hatte Horst den letzten Mittwoch total vergessen, griff mit beiden Händen nach ihren Brüsten. Ein leiser Laut kam aus ihrem Mund, aber sie schob seine Hände nicht weg, wie beim letzten Mal. Griff sich an den Rücken, öffnete den Verschluss, im gleichen Zug ihre Jeans. Dann überließ sie sich ganz seinem Mund und seinen Händen. Horst war fast von Sinnen als er ihre Bracht in seinen Händen hielt. Diese festen, voll erblühten Rosen mit ihren, dunklen, großen Knospen, hätten jeder Zwanzigjährigen alle Ehre gemacht. Ihre samtig seidige Haut, ihr makelloser Körper, ihre wunderschönen Beine, Horst war nur noch gelebtes Verlangen, unbändiges Verlangen nach einer wirklich betörenden Frau, der schönsten Frau die er jemals besitzen sollte…
Marianne begann sich aufzulösen. Verwandelte sich in weiche, in allen Neonfarben leuchtende Bälle, die durch die Luft flogen, zirkulierten, engere und weitere Kreise bildeten, aufstiegen, wieder herabsanken, sich um sich selbst drehten, immer schneller, immer rasender, bis sie sich zu einem einzigen großen leuchtenden Ball vereinigten, einem explodierenden Feuerball. Dem unvergleichbar schönsten Erlebnis, das für sie kaum noch vorstellbar, vollkommen unbeschreiblich war, gemeinsam mit Horst, als untrennbare Einheit mit ihrem Horst…
Langsam bildete sich aus dem feurigen Ball wieder ihr zuckender Körper heraus, war in seine Arme gesunken, der sie umschlungen hielt und liebkoste. Ihren ganzen, zitternden, heißen Körper küsste. Die folgenden Höhepunkte verliefen ähnlich unbeschreiblich. Jeder einzelne für sich vollständig unglaublich, berauschend, unwirklich, vollkommen erfüllend, überirdisch farbenprächtig und traumhaft schön.
Das innere Beben dieser ersten, innigen Stunden blieb ihr erhalten. Es blieb sehr, sehr lange in ihr präsent. Jahre später noch in ihren Gedanken lebendig, jederzeit wieder herzuholen, sooft sie daran denken wollte, und sie wollte oft daran denken, sehr oft sogar…
Als Horst nach 20 Uhr unendlich schwer, letztendlich aber rasch ging, war sein Traum von Siena in Erfüllung gegangen. Die Wirklichkeit hatte seine schönsten Wunschgedanken um Welten übertroffen. Marianne hatte sich, nackt wie sie war, auf ihr Couchbett gelegt, eine Hand zwischen ihre fast krampfhaft zusammengepressten Beine gedrückt, die andere auf ihre heiße Stirn gelegt. Ihr einziger Gedanke – ich dusche mich nie wieder, ganz bestimmt nicht!
Ich will Horst an mir, auf mir und in mir spüren, für immer…
Jahr der Veränderungen
Der, ich dusche-mich-nie-wieder-Vorsatz, hielt genau von Mittwoch 20 Uhr bis Donnerstag 6 Uhr 30. Dann siegte Mariannes Logik über ihre Gefühle. Stellte sich lange unter angenehm warmes, sanft rieselndes Wasser. Schloss ihre Augen und erlebte den gestrigen Nachmittag gleich wieder live. Mit Nachdruck stieg sie aus der Dusche, trocknete sich ab, zog frische Unterwäsche an. Für heute hatte sie weiß gewählt, nicht ihre schwarze Lieblingsfarbe. Schlüpfte in eine braune Cordhose, streifte ein lachsfarbiges Poloshirt über und marschierte in die Küche. Es gab zum Kaffee Toastbrot, Butter und Himbeermarmelade. Kurz trat sie auf den Balkon hinaus. Der Morgen war kühl, diesig, fast nebelig, aber es regnete nicht.
Wartete sehnsüchtig auf ein SMS oder einen Anruf von Horst, seit gestern ihrem Horst. Während sie den letzten Bissen Toast mit Kaffee hinunterspülte, rief er endlich an.
>Marianne Liebes, wie hast du geschlafen? Ich gar nicht, meine Gedanken waren die ganze Zeit bei dir, nur bei dir allein. An was anderes, als an unseren gestrigen Nachmittag zu denken, war mir nicht möglich, echt nicht. Du bist so himmlisch, die hingebungsvollste und einfühlsamste Frau der Welt. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so verliebt, wirklich total verliebt, wie jetzt in dich. <
Marianne war über seine beschwörenden Liebesbeteuerungen restlos glücklich, sagte ihm das auch. Mehrmals hintereinander, immer mit anderen Wortkombinationen. Es brach vollkommen von selbst aus ihr heraus. Ihr Herz hatte sich ihm geöffnet und sprudelte wie ein Brunnen. Auch ihre gestrigen Höhepunktgefühle verschwieg sie nicht. Spätestens in der Mittagspause würde sie sich melden, ihm wenigstens ein SMS senden, versprach sie eilig, musste dringend zum Bus laufen. Das Telefongespräch zu beenden, hatte wegen Horsts Liebesschwüre, einige schöne Minuten länger gedauert, sie in Zugzwang gebracht. Einhändig stellte sie das Frühstücksgeschirr in die Spüle, packte ihre Handtasche, schlüpfte in die Schuhe, klemmte ihre Jacke unter den Arm und rannte los. Ausnahmsweise war der Bus heute nur mäßig besetzt. Es musste wohl schulfrei sein, er war halb leer. Sie besetzte einen Einzelsitz am Fenster. Sofort waren ihre Gedanken bei ihm. In Gedanken sah sie ihn vor sich, versuchte ein Bild von ihm aus dem Gedächtnis zu zeichnen.
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