Nein, ich erzählte ihm nicht, wie sehr ich diesen Mann geliebt hatte. Auch nicht, dass er mich schlug und demütigte und neben mir andere Frauen hatte. Wir lebten ungefähr ein Jahr zusammen. Vielleicht war ich ihm sogar hörig gewesen. Jedoch durch seinen Gefängnisaufenthalt bekam ich den nötigen Abstand, um diesen Mann zu verlassen. Viel später erfuhr ich, dass dieser Mann meine Tochter missbraucht hatte. Lange haben mich Schuldgefühle heimgesucht obwohl dieser Missbrauch in einer Zeit stattfand, in der ich im Krankenhaus war und ich es wirklich nicht mitbekommen konnte. Dass dieser Mann meine Tochter mit einer Waffe bedrohte und sie damit zum Schweigen brachte, erfuhr ich erst Jahre später.
„Wie war es mit deinem dritten Mann?“ fragte er weiter. „Ich würde sagen, wir haben uns auseinander entwickelt. Oder anders ausgedrückt, ich habe mich von ihm wegentwickelt. Wir waren 14 Jahre verheiratet. Dies war meine beste und längste Beziehung, die ich hatte. Wir haben heute noch losen Kontakt.“ „Das ist schön“, sagte Jo. „Ich habe zu meiner Exfrau auch noch losen Kontakt. Man hat sich ja mal geliebt.“ „Wie lange warst du verheiratet?“ fragte ich. „20 Jahre. Wir hatten eine sehr gute Ehe und auch eine wunderbare Sexualität.“ So genau wollte ich es nun auch wieder nicht wissen. Da gab es bei Jo keine Grenzen, wie ich schon öfter bei ihm erlebt hatte. „Warum war denn deine Ehe vorbei, wenn sie so schön war?“ Er wand sich ein bisschen. „Na ja, da gab es andere Frauen. Aber ich habe mich geändert; Menschen ändern sich im Laufe der Jahre, “ setzte er hektisch hinterher. Er muss meinen entsetzten Blick gesehen haben. Wie lange wird es dauern, bis es neben mir andere Frauen gibt?
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Mutti sagte zum kleinen Mädchen: „Hole Papa zum Mittagessen, er ist bei der Nachbarin.“ Ich hüpfte über die Straße zur Nachbarin. Papa und die Frau hielten sich im Arm. Als ich eintrat, ließen sie sich schnell los. Das kleine Mädchen war noch nicht mal sechs Jahre alt und konnte die Situation nicht einordnen. Also wurde es schnell wieder vergessen.
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Es war Samstag. Wir wollten gemeinsam bei mir das Wochenende verbringen. Jo wollte noch mit einer jungen Frau reden und mich danach besuchen. Ich wartete mit dem Mittag auf ihn. Die Kaffeezeit nahte und bald war es Zeit zu Abend zu essen. Um 21 Uhr entschied ich wütend ins Bett zu gehen und ihn nicht mehr herein zu lassen. Gegen 23 Uhr klingelte es an meiner Tür. Ich zog meinen Morgenmantel an und öffnete entgegen meiner Entscheidung doch die Tür. Frostig ließ ich ihn ein. Strahlend nahm Jo mich in den Arm. Ich wand mich heraus und setzte mich im Wohnzimmer auf das Sofa. „Was ist los?“ fragte er erstaunt. Fassungslos sah ich ihn an. Dann stand ich auf und legte los: „Du hast dich den ganzen Tag damit aufgehalten, einer Person ein bestimmtes Thema mitzuteilen. Diese Frau muss ja so interessant für dich gewesen sein, dass du vergessen hast, dass ich auf dich warte. Das wenigste, was ich erwartet habe, ist, dass du mich anrufst. Und bevor du mich mit deinen therapeutischen Fragen wieder auskillst: Ist das ein Benehmen eines Mannes in deinem Alter, mich Stunde um Stunde warten zu lassen, während du mit einer hübschen jungen Frau den Tag verbringst?“ Jo ging aufgeregt im Wohnzimmer auf und ab. „Mir ist schlecht, fast kotzübel. Diese Frau muss so interessant für mich gewesen sein, dass ich vergessen habe, dass du auf mich wartest?“ wiederholte er zynisch. „Das impliziert, dass du erwartet hast, dass ich sage, ach, du hast erwartet, dass ich dich anrufe. Es impliziert weiter, dass du diesen Satz als auskillen erlebst, des Weiteren, das du diesem Auskillen vorbauen musst in diesem Kampf, der für dich so eine Art kalter Krieg zu sein scheint. Du sprichst aber aus deinem Modell. Und dein eisiger Ton und die eisige Stimmung, die hier zu spüren ist, entsteht nur aus dem, was in deiner Fantasie entstanden ist.“
Müde setzte ich mich wieder aufs Sofa. Nun schlug mein Sarkasmus wieder zu. „Stell dir vor, du bist es, der sich Stunde um Stunde darauf freut, dass seine Partnerin wohl irgendwann mal auftauchen wird. Natürlich weißt du, wie attraktiv der Mann ist, mit dem sie sich trifft. Aber das stört dich ja nicht, denn du hast absolutes Vertrauen und bist nach Stunden glücklich, sie in die Arme schließen zu können.“
Nun stemmte Jo die Hände in die Hüften: „Na, das ist ja nun Sarkasmus pur. Ich kenne den Film nicht, der da bei dir ablief, aber deine Befürchtungen hast du zumindest angedeutet. Das fehlende Vertrauen, dann der Film-Wechsel zu dem wieder sarkastischen Ton.“ Er holte tief Luft: „Dein innerer Film bringt dich zur Weißglut, nicht mein Handeln. Und dann unterstellst du mir noch, das ich dich bisher mit therapeutischen Fragen ausgekillt habe!“
Fassungslos schaute ich mir diesen Mann an. Konnte das wirklich angehen, dass ihm nicht klar war, wie unwürdig er mit mir umging? Ich bat ihn zu gehen.
Jo kam zu mir auf das Sofa. Er nahm meine Hand und sagte mit leiser einschmeichelnder Stimme: „Das Modell des anderen kennen zu lernen, bedeutet für mich etwas Liebevolles. Interesse an dem zu haben, was beim Anderen im Inneren abläuft, um Verständnis dafür entwickeln zu können. Das ist es, was ich eigentlich gemeint habe. Und wir beide haben jeder nur ein Modell aber nie die Wirklichkeit. Hör auf mit der Feindseligkeit und Kälte und lass uns in Ruhe darüber reden.“ Bettelnd sah er mir in die Augen.
Müde schaute ich ihn an. „Ja, lass uns in Ruhe darüber reden. Aber nicht mehr heute. Ich kann nicht mehr.“ Wir haben das Thema nie wieder angeschnitten. Jedoch von der jungen Frau hörte ich später, dass sie gemeinsam essen waren und Jo sie unverschämt angebaggert hat.
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Ich saß verträumt neben Jo auf dem Sofa. Es war Sommer und ziemlich heiß. Leise schnurrte der Ventilator im Hintergrund.
Zärtlich strich Jo über meine Beine und sagte: „Wie schön, dass du nicht rasiert bist. Nilgün hat ihre Beine immer rasiert. Das piekste dann, wenn wir miteinander im Bett waren.“ Irritiert schaute ich ihn an. Schon öfter hatte er mich mit meiner Vorgängerin verglichen. Das mochte ich nicht so gerne. Ich zog meine Beine zurück und erwachte frustriert aus meinem Traum. Fragend und irritiert schaute er mich an. Sarkastisch sagte ich: „Es freut mich sehr, dass es mal etwas gibt, was du an mir magst. Nilgün war jünger, hatte größere Brüste und war besser im Bett als ich. Nur ihre Beine pieksten.“ Irritiert schaute Jo mich an. Mit meinem Sarkasmus konnte er schwer umgehen. Ihm war nie bewusst, dass unter meinem Sarkasmus ein tiefer Schmerz lag.
Er umfasste mit beiden Händen meine Brüste. „Du hast die schönsten Brüste, die ich je in der Hand hatte.“ Fast hätte ich ihm eine geknallt. Ich biss die Zähne zusammen und drehte mich um. „Was ist denn nun schon wieder?“ fragte Jo. „Nichts“, sagte ich bissig und floh in die Küche.
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Das kleine Mädchen zog sich um. Während es das Hemd auszog kam Papa ins Kinderzimmer. Er umfasste die Brüste und sagte: „Sieh mal an, da kommen schon kleine Knospen.“ Starr hielt ich das aus. Die Unwirklichkeit seiner abendlichen Besuche wurde ins Tageslicht gezerrt.
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Abends, als wir gemeinsam im Wohnzimmer saßen, sprach ich ihn auf seine Erzählungen über seine Verflossenen an und sagte ihm, dass ich langsam keine Lust mehr habe, mir immer wieder sein stundenlanges Gejammer anzuhören. Er setzte sich auf und erwiderte: „Wenn ich „stundenlang“ von der Vergangenheit rede, was zum Teil sehr schmerzhafte Rückblicke sind, wenn man die eigenen Fehler anschaut und was nun vorbei ist und ich nun – Gott sei Dank – bei meiner Partnerin Glück und Geborgenheit erleben darf und ich mich so wohl fühle bei ihr und soviel Vertrauen habe, dass ich ihr dies anvertrauen kann, und das Gefühl habe, verstanden zu werden dann sage ich der Partnerin damit, dass ich ihr vertraue. Ich vertraue mich ihr an!“ betonte er mit schmerzendem Blick.
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