Gehorsam zog ich mich an. Silke half mir mit den Schnürungen und Reißverschlüssen. Es gab keinen Spiegel in dieser improvisierten Garderobe, aber der Blick an mir hinunter zeigte mir, dass ich sehr aufreizend aussah – wenn man eine Schwäche für Fetischmode hatte. Wir waren gerade fertig, als ein junger, schlaksiger Mann unter der Tür erschien. „Können wir?“ Ich nickte und stakste ihm auf meinen Plateaus hinterher. Annette folgte mir, im Arm die Haarspray-Dose und ein Täschchen mit Utensilien zum Nachschminken.
Es ging schräg über den Gang in einen großen Raum, der zumindest vernünftig ausgeleuchtet war. Hier erwartete mich ein Set: eine medizinische Liege und ein Blechschrank auf Rollen, daneben ein Tisch mit verschiedenen Utensilien: Verbandscheren, ein Stethoskop, sogar eine große Spritze.
Ein Typ mit pockennarbigem Gesicht kam mir entgegen, im Mundwinkel eine Zigarette, an der eine Aschesäule hing.
„Marc Ray“, stellte er sich mit amerikanischem Akzent vor. „Ich fotografiere dich heute. Du siehst gorgeous aus.“
„Danke“, sagte ich. Der schlaksige Junge war offenbar Assistent und Beleuchter, denn er machte sich sofort an der Technik zu schaffen. Zuletzt lernte ich meinen Shooting-Partner kennen: ein junger, tätowierter Kerl, den man in ein Punkrock-Outfit gesteckt hatte. Er hatte halblange, dunkle Haare und einen muskulösen, rasierten Oberkörper unter einem ärmellosen, zerrissenen Netzshirt.
„Hi“, sagte er. „Ich bin Animal.“
„Freut mich“, log ich. Er war hübsch, aber ich hasste ihn. Ich wusste nicht, warum. Hoffentlich musste ich keine Leidenschaft mit ihm spielen. Marc Ray hängte sich seine Kamera um.
„Und los geht’s. Setz dich auf die Liege, Animal. Und jetzt zieh Anna zu dir runter.“ Animal ging in Pose, packte mich an den Schultern und zog mich auf sich. Ich stemmte meine Hand unter sein Kinn und drehte mich weg zur Kamera. Ich wollte nicht, dass der Kerl mich anfasste. Gleichzeitig lief mir eine brutale Erregung wie rotes Feuer durch die Adern. Ich hätte mich an seinem Blut berauschen können. Ich rief die Wölfin zur Ordnung und spielte weiter mit, kletterte über Animal und stieß ihn rücklings auf die Liege. Ich packte ihn an seinem Netzshirt, dass die Nähte krachten, und zog ihn zu mir hoch. Als er meine Taille umfasste, spürte ich seinen warmen Atem in meinem Gesicht und hätte am liebsten gekotzt. Ich presste meine Hand gegen sein Gesicht und bog den Rücken durch, und die ganze Zeit wurde ich von dem Klick, Klick der Kamera begleitet.
„Gib's mir ruhig“, keuchte Animal. „Ich stehe da drauf.“
„Maul halten“, zischte ich und versuchte, von seinem Schoß zu klettern, aber er hielt mich fest und presste mich an sich. Unter seiner engen Lederhose spürte ich seine Erektion.
„Gorgeous!“, rief Marc Ray. „Give me passion!“ Ich packte zu, rammte meine Fingernägel in Animals Brustwarzen, die sich durch das Netzshirt geschoben hatten, und drehte. Animal brüllte auf, und ich sprang von seinem Schoß.
„Entschuldigung“, sagte ich mädchenhaft. „Ich glaube, ich brauche eine Pause.“ Marc Ray nickte und zündete sich eine neue Zigarette an. Das protzige, mit Swarovski-Steinen besetzte Feuerzeug warf er auf das Tischchen neben den Laptop. Dann scrollte er durch die Bilder, die bisher entstanden waren, und beriet sich mit seinem Assistenten. Inzwischen schminkte Annette mich nach und verpasste mir eine neue Ladung Haarspray. Animal massierte mit verzerrtem Gesicht seine Brust und funkelte böse in meine Richtung.
„Gut“, sagte Marc Ray nach ein paar Minuten. „Sind schöne Fotos dabei. Jetzt nochmal eine andere Kulisse.“
Im hinteren Bereich zog er eine lange, breite Schublade auf, die in die Wand eingelassen war. Sie fasste genau einen Menschen. Er ließ die Beleuchtung anpassen und dirigierte uns dann in die Ecke. Mir hängte er das Stethoskop um, und Animal schnappte sich die Spritze. Aus der Nähe sah ich, dass die Spritze sogar eine echte Nadel hatte. Eine goldgelbe Flüssigkeit war aufgezogen, für Nahaufnahmen vermutlich, wenn eine Attrappe auffallen würde.
„Ich lege mich da nicht rein“, stellte ich klar. „Ich habe Platzangst.“
„Keine Sorge“, sagte Marc Ray. „Wir haben ganz andere Pläne mit dir.“ Er lächelte ein falsches Lächeln und nahm die Kamera vor das Gesicht. Ich hob die Arme über den Kopf und hängte mich an den Rand der Schubladenöffnung, posierte mit Blick über die Schulter, spielte mit dem Stethoskop, hielt mir das flache silberne Ende an die eigene Brust und versuchte, Doktorspielchen-Erotik aufkommen zu lassen. Dann kam Animal wieder dazu. Er bewegte sich auf allen Vieren auf die Bahre, die Spritze zwischen den Zähnen. Ich schlang ihm das Stethoskop um den Hals und zog seinen Kopf zu mir. Als ich bemerkte, dass seine Augen plötzlich grün leuchteten, war es bereits zu spät. Er wuchs in meinen Armen, seine Haut riss auf, Fell drängte nach außen. Er stöhnte auf, und während sein Gesicht zerbrach und sich zu dem eines grotesken halb menschlichen Monsters neu ordnete, holte er aus und rammte mir die Spritze in den Arm. Er drückte ab, und fast gleichzeitig begann meine Sicht zu verschwimmen. Mein Körper fühlte sich an, als hätte jemand einen schweren Sack darüber geworfen. Mein Mund wurde trocken. Die gelbe Substanz rauschte durch meine Adern und ließ mein Herz stolpern. Ich wurde schwach.
Dann war da plötzlich die Wölfin in mir. Sie riss mich hoch und verlieh mir Kraft. Mit einem gewaltigen Ruck stieß ich Animal von mir und kam auf die Füße.
War ich in einem Traum? Alles fühlte sich beängstigend real, aber nicht wirklich greifbar an. Ich beobachtete mich selbst, wie ich durch den Raum stolperte. Animal kam mir hinterher. Seine Kleidung hing in Fetzen an ihm. Er bewegte sich schwerfällig, aber schnell auf zwei kräftigen Hinterbeinen. Seine Arme hingen ihm bis in die Kniekehlen und endeten in messerscharfen, langen Krallen. Sein hübsches, nichtssagendes Modelgesicht war verschwunden. Aus grünen Augen blitzte er mich an. Von seinen Fängen troff der Geifer, und in einem grotesken Grinsen entblößte er seine gelben Fangzähne.
Ich torkelte. Das Zeug aus der Spritze wischte mir das Gehirn aus dem Schädel. Ich hielt mich am Tisch fest, um nicht zu stürzen. Der Raum um mich verformte sich, als wären die Wände aus Wachs. Langsam öffneten sich die anderen Schubladen in der Wand. Sie waren voller Schatten, und so konnte ich nicht sehen, ob jemand darin lag, doch die Schatten griffen nach mir und versuchten, mich auf den Boden zu ziehen.
Animal war nur noch Schritte von mir entfernt. Marc Ray sprang auf mich zu, ein irres Lachen im Gesicht, und ich stieß ihn weg. Ich war noch stark, das merkte ich, als er durch den Raum flog und krachend auf der Untersuchungsliege landete. Eine Frau schrie mit schriller Stimme. Das musste Annette sein. Ich sprang mit einem unsicheren Satz zu ihr und riss ihr die Haarspraydose aus der Hand, die sie immer noch umklammert hielt. Feuerzeug. Wo war das verfluchte Feuerzeug? Ich ließ mich auf die Knie fallen. Der kalte, nasse Betonboden saugte an meiner Haut. Schatten schlängelten sich auf mich zu. Graffittigesichter schaukelten in mein Sichtfeld und verhöhnten mich mit zahnlosen Altmännermündern. Dann erschien Animal brüllend über mir, die Klauen nach mir ausgestreckt. Ich ließ mich auf den Rücken fallen und trat mit aller Kraft und meinen schweren Plateauabsätzen nach ihm. Ich traf ihn ins Gemächt, und er krümmte sich heulend zusammen. Ich rollte herum. Da blitzte etwas matt unter dem Tisch. Ich streckte meine Hand danach aus und bekam es zu fassen. Im gleichen Augenblick stellte jemand seinen Absatz auf meine Hand. Ich schrie. „Gorgeous“, rief Marc Ray mit schriller Stimme und fotografierte zu mir hinunter. Ich schnellte in die Höhe, packte den Riemen seiner Kamera und zerrte mit aller Kraft daran. Marc Ray verlor das Gleichgewicht und stürzte nach vorne auf mich drauf. Ich boxte ihn hart in die Magengrube und wand mich unter ihm hervor. Dann riss ich das Feuerzeug an mich und ließ die Hölle los.
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