Gleichwohl er damit rechnete, fuhr sich Akym aufgekratzt übers stoppelkurz geschorene Haar. »Gut, dann können wir uns um das Wohlbefinden der Soter kümmern.« Sein vernebelter Blick schweifte über die angezeigten technischen Werte vom alternativen Antrieb. »Prima! Besser konnte der Probeflug nicht sein.« Indessen er dies bemerkte, klopfte er dem Piloten anerkennend auf die Schulter.
Fibs wiederum wiegte den Kopf hin und her. »Sire ihr Lob speichere ich erst ab, wenn die Außenhaut beim Dimensionssprung keinen Schaden erlitt.« Seine Finger huschten dazu über die Armaturenkonsole, auf dem Button: Bestätigen, hielten sie inne.
Vor ihm auf dem Display flogen im Weltraum unzählige, gleichsam getarnte fliegende Sensoren, sie scannten die Soter Außenhaut. Und noch bevor Akyms Nase wieder den Drang verspürte abzutauchen, lag das Scan Ergebnis vor: ›Keine Schäden vorhanden.‹
Die Mitteilung ließ beide, wie zwei überdrehte unreife Knaben aufspringen, jubeln und hüpfen.
»Dann nichts wie weg von hier!«, befahl Akym mit aufgedrehter Stimme, »Kurs zum Eridani Alpha System aufnehmen«, ergänzte er mit erzwungener stimmlicher Disziplin. »Tarnung beibehalten. Alternatives Antriebssystem. Sol fünf.«
»Aye Sire.«
Sekunden später war um der Soter eine stabile Bend Blase aufgebaut, sie verzerrte vor dem Shuttle die Raumzeit. Hinter der Blase streckt sie sich wieder.
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(Die Verzerrung erzeugt neben einer Weg verkürzenden Krümmung auch einen Zeittunnel. Dadurch beträgt die Reisezeit vom Startpunkt bis zum Zielpunkt fünf Erden Stunden. Ohne die Raumkrümmung dauert die Reise neunhundertzwanzig Jahre.
Im Soter selbst läuft die normale Zeit weiter.)
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Noch bevor die Bend Blase aufgebaut war, überkam Akym ein weiterer Anfall. Zitternd stand er auf, und mit Handzeichen gab er zu verstehen, dass er gedenkt, dem starkem Verlangen nachzugeben.–
* *
Vier Stunden später. Der Flug verlief störungsfrei, daher gönnte sich Fibs ein Vergnügen, der besonderen Art. Er hatte sich dazu entspannt im Pilotensessel zurückgelehnt, die Füße ruhten auf der Ablage über der Armatur, und mit weit aufgerissenen Augen genoss er die grandiose Aussicht der vorbeihuschenden Sternenstreifen. Erst der Citraa (Computer) Hinweis: ›Vor uns liegt das verstrahlte Ugari System‹, lenkte die Aufmerksamkeit von der Cockpit Frontscheibe wieder auf das vor ihm angezeigte. Allen Warnungen zum Trotz wählte er auf dem virtuellen Display den Button S T P Raum-Zeit-Weg. Damit erhielt er Zugriff auf den Bend Faktor ...
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(Der Bend Faktor ist die Einheit, mit welchem die vierdimensionale Raumzeit um das Shuttle gekrümmt wird. Durch jene Krümmung bewegte sich die zu überwindende Entfernung zwischen Bend Blase und Zielpunkt aufeinander zu. Was im entferntesten, mit einem Weg verkürzenden Tunnel durch einen Berg, statt darüber oder drum herum, vergleichbar ist.
Der Bend Faktor wird in Sol, Überlichtgeschwindigkeit angegeben. Das Bergungs-Shuttle Soter, es gehört zur 'Sprint Klasse', kann mit normalen Shumerer Standard Antrieb maximal mit Sol vierzig den Raum krümmen. Das alternative Antriebssystem schafft maximal Sol neun.)
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Nachdem Fibs den S T P-Button aktivierte, öffnete sich ein Dialogfenster. Dort erhöhte er auf der stufenlosen Sol Skala die Raumkrümmung von drei auf vier Sol. Den rasanten Anstieg gab die uralte Shumerer Antriebstechnik ungedämpft ans Cockpit weiter. Fibs sind jene kraftvollen Vibrationen seit Ewigkeiten vertraut. Die Geräuschharmonien, aller Antriebskomponenten, ließen sein makelloses Gesicht, welches jetzt nach einem dreißigjährigen Shumerer Menschen aussah, freudig strahlen. Er – der Maschineningenieur hatte wie immer gute Arbeit geleistet. Obwohl Fibs wusste, dass er seinen Akustiksensoren vertrauen konnte, überprüfte er in der Trennwand auf den antiken Flachmonitoren alle relevanten Werte. Bevor er zurückging, überflog er noch die vom alternativen Antriebssystem. Sein Nicken bestätigte, alles läuft optimal. Dessen ungeachtet ertönte unvermutet ein schrilles Warnsignal dazu leuchtete auf dem Hud ein Button rot.
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(Im Hud – Head-up-display sind alle wichtigen Informationen direkt im Sichtfeld des Piloten dargestellt.
Das virtuelle Bild wird in einer Projektionseinheit erzeugt.)
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Als Fibs erkannte, um welchen Button es sich handelt, aktivierte er ein weiteres Hud. Ein Lidschlag genügte ihm, um das darauf angezeigte Echtzeit Szenarium zu erfassen. Sein Interesse galt den am Horizont angezeigten dutzenden scharfen Weltraumminen. Sie sahen wie kleine Asteroidensplittern aus.
An der vordersten Minenlinie stand die Zeit bis zum Kontakt. Von der Distanzanzeige schwenkte seine gelangweilte Mimik über die Armatur, bei der Borduhr stoppte der Blick. An seinen zuckenden Augenbewegungen konnte man sehen, dass er etwas berechnet. Es kümmerte ihm nicht, dass die tödliche Gefahr immer näher rückte. Selbst als auf dem Hud weitere rote Warnbuttons blinkten, blieb er gelassen, und mit Ruhe in den Fingern aktivierte er das normale Wecksignal vom Alkoven. Als es lauter wurde, schlug Fibs den Kragen vom Overall lässig nach oben. Ebenso führte er dort seine linke Hand zum Hemdknopf großen Interface Sensor. Kurz vom Sensorkontakt nahmen die Finger eine Lauerstellung ein. Erst als sein Boss das Wecksignal abstellte, berichtete Fibs mit neutraler Stimme: »Sire, wir erreichen in Kürze das Minenfeld.«
Das Wecksignal schleuderte Akyms vernebelten Geist schlagartig ins reale Leben. » Minenfeld «, murmelte er rammdösig. So nach und nach realisierte er, was das Wort bedeutet. Letztendlich überfiel ihm von einem Moment zum anderen Unbehagen. Was nicht dem Wort entsprang, sondern sie sind nicht mehr weit vom Rettungsraumschiff Concordia α (alpha) U P, dem Zielpunkt ihrer Reise.
An Bord gab es gleich zwei Gründe, die ihm die Unruhe in den Geist trieben. Zum einem lag es an seinem Sohn, der kommt nach über drei Jahren wieder ins reale Leben zurück. Und zum anderen wartete dort ein delikater Nasenkitzel mit bittersüßen Beigeschmack. Jener wurde durch einen ahl pii erzeugt. Der ahl pii ist ein Pheromon, das aus allen Hautporen, Speichel und Haaren entsteigt. In dem vorliegenden Fall entsprang es dem blutjungen sowie bildhübschen Aditt Shumerer Mischling Adrian Sawon. Seitdem das Energiebündel reift, steckte sein körpereigener Duft Akyms zweites ich in Brand. Was daran lag, weil er gleichfalls ein Aditt ist und sein ahl pii bis ins Detail mit dem von Adrian harmoniert.
Ein Löschen des leidenschaftlichen Flächenbrandes ist durchaus machbar, allerdings im Moment war es unerwünscht. Somit blieb Akym dem verführerischen Jüngling kampflos ausgeliefert.
Nur allzu gern möchte er das Gewissen von der Last befreien. Bloß zum jetzigen Zeitpunkt versteht es weder Adrian noch seine Familie. Ihm blieb nichts anderes übrig als zu schweigen. Damit er weiterhin das gut gehütete Geheimnis wahren konnte, nahm er einen Enzym Blocker. Was ihm allerdings Sorgen machte, war: › was passiert, wenn ich es einmal vergesse zu injizieren, und wenn ich vielleicht noch mit ihrem Speichel in Berührung komme.‹
Auf das Vergnügen wollte Akym gern verzichten! Er akzeptiert den Schutzbefohlenen bedingungslos mit all den Launen und Eigenarten. Dennoch will er niemals mit Adrian eine feste Partnerschaft eingehen. Folglich hat er nicht das Bedürfnis sich auf ihn – dem Auserwählten – zu prägen.
Akyms tiefe Gefühle gelten alleinig seinem Capac Shumerer Ehegatten Narel. Bei ihm – einem Aditt – jedoch lag das Problem, denn seine Gattung kann die ahl pii nicht Verschmelzen.
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Bisher verabreichte sich Akym den Blocker stets pünktlich. Aber unter Zeitdruck oder war es nur Aufregung, vergaß er es. Das Vorkommnis geschah am Vorabend vor Adrians Reise zum Rettungsraumschiff Concordia α U P, auf dem Planeten Advenu in der Stadt Sinu i, im Hause Camden.
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