Chapter №2 ∞ Die Fahrt zum Acer Creek
„Ach wie ich es liebe, mit meiner alten Mercedes-Maschine zu fahren. Was glaubst du Bubi, wie alt mein Flitzer wohl sein mag?“ Ich wusste nicht so recht, konnte schlecht das Alter des Wagens abschätzen, also antwortete ich: „So wie der Motor röhrt, könnte es schon 20 Jahre alt sein oder?“ Grandpa lachte. „Er ist so alt wie du, ich habe mir es ein paar Tage nach deiner Geburt gekauft.“ „Mal schauen, wer länger lebt, das Auto oder ich.“ erwiderte ich mit einem zwinkernden Auge. Im Affekt dachte ich mir, dass Autos aber nur materielle Dinge seien, welche ja nicht mit einem Leben eines Menschen gleichzusetzen sind und entschuldigte mich bei Alph für meine Aussage. Dieser schaute mich verwundert an und sagte, er habe den Spaß schon verstanden. Beths Vater, also mein Urgroßvater, der Richard hieß, sagte ihm immer, dass das wichtigste im Leben der Spaß und der Humor sei. „Glücklich ist, wer nie verlor, im Kampf des Lebens, den Humor.“ Grandpa zitierte Richards Worte und fragte mich: „Bubi, verstehst du das? Verstehst du, was im Leben wichtig ist?“ Ich wollte antworten, doch er sprach weiter: „Alles Geld der Welt, große Macht oder hohes Ansehen bringt dir auf lange Sicht nichts. Die ganzen schlauen Politiker, Weltstars oder Millionäre werden genauso einmal von hier gehen müssen, wie wir zwei auch und wie es deine Grandma schon tat.“ Es herrschte kurze Stille. Er setzte seine Assoziationen fort: „Du musst Spaß haben, wann immer sich die Möglichkeit erübrigt. Die schweren Momente im Leben gehen genauso vorüber, wie die leichten auch. Genieße sie alle.“
Ich lachte gerade heraus, nicht verspottend oder böse gemeint, sondern vor Freude und Zustimmung. Ich ergänzte Alphs Argumente: „Und weißt du, was das aller allerwichtigste ist, bei der ganzen Geschichte? Jeder Mensch kommt mit nichts auf diese Welt und jeder Mensch geht mit nichts von dieser Welt. Vor Gott sind wir alle gleich, habe ich Recht Grandpa?“ Grandpa nickte, tätschelte mir auf die Schulter und sagte: „Ja wahrhaftig, du hast Recht, du bist ein ganz besonderer, wundervoller Junge, ich habe dich lieb.“ Ich klopfte Alph auf den Schenkel, und sagte ihm, dass ich ihn auch liebhabe. Wir fuhren schon etwa zehn Minuten auf dem Highway, es begann ein wenig zu nieseln und man konnte parallel zum Verlauf der Road die fünf Acer Falls beobachten. Wie sie ins Wasser schlugen, mit einer Gewalt und einem Aufprall, aber sich dann im weiteren Verlauf des Flusses beruhigten, eine wahre Naturschönheit. Überall waren Menschen zu sehen, junge und alte, die sich zum Barbecue versammelten oder eine Party feierten, Familien mit Kindern, die zelteten oder Park Ranger, die sich um das Naturschutzgebiet der Acer Falls kümmerten. Vor allem nachts zog es viele Menschen an die Wasserfälle, denn diese hatten etwas Idyllisches, etwas ganz einzigartiges. Die Wasserfälle waren wenig beleuchtet, viele brachten Taschenlampen mit. An der einen oder anderen Stelle hing auch eine Lichterkette, doch das galt eher als eine Seltenheit. Nichtsdestotrotz ein perfekter Ort, um in sich zu kehren, sich selbst zu finden, die Stille zu genießen oder eben ein Buch voller Erinnerungen aufzuschlagen. Ich kannte die fünf Acer Falls in und auswendig, ich war während meiner High-School Zeit auf vielen Partys nahe der Wasserfälle und des Red-Lake Manor ist nun mal auch nicht allzu weit von den Acer Falls entfernt. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass es einen sechsten Wasserfall gäbe, den nur sehr wenige kannten, mein Grandpa inbegriffen. Ich war sehr gespannt und lächelte Alph oft an. Ich schaute total begeistert aus dem Fenster, all die tollen Sterne am Nachthimmel leuchten nur für uns beide. Wir würden gleich über die Acer Falls Bridge fahren, unter der alle fünf Acer Falls Flussläufe in einander münden und zu einem großen Fluss zusammenschmelzen, der dann in den großen Lake Michigan mündet. Die Sicht war schlecht, es regnete immer stärker, etwa eine Viertel Meile vor uns schlug ein riesiger Blitz ein und das Wasser spritzte vor der Brücke nach oben. Auf einmal legte Alph eine Vollbremsung hin. Ich erschrak und der Sicherheitsgurt seines Mercedes presste sich gegen meine Brust. Mein Herz klopfte, was ist passiert? Viele Gedanken flogen mir durch den Kopf. War etwa ein Hirsch oder ein Reh über die Road gelaufen und Grandpa musste gezwungenermaßen bremsen? Die Zeit dehnte sich, mir kam auf einmal alles in Zeitlupe vor. Ich sah Alph an. Er hatte seine Augen und seinen Mund sperrangelweit geöffnet und schaute abwechselnd aus der Windschutzscheibe und auf mich. Als ich mit meinen Gedanken wieder zurück in der Realität, im Mercedes vor der Acer Falls Bridge war, fragte ich: „Aaalph, Grandpa… was, was ist los? Was ist passiert? Warum hast du eine Vollbremsung gemacht?“ Er sagte nichts und zeigte nur aus dem Fenster heraus auf die Brücke. Seine Hand zitterte sehr und seine Stimme stotterte: „Daa, ddddaa, siehst du das?“ Ich war schockiert und konnte es nicht fassen. Auf der Brücke stand eine junge Frau und es sah schwer danach aus, als hatte sie die Intention, herunter zu springen. Ich schaute Grandpa fragen an: „Was machen wir jetzt? Die Frau will springen. Und das bei diesem Unwetter.“ Alph sagte: Bleib du hinter mir, ich werde mit ihr reden. Es ist noch nichts verloren, wir könnten ein Menschenleben retten.“ Ich war damit einverstanden und folgte ihm sehr behutsam. Als wir aus dem Auto ausstiegen, von der Traufe in den Regen und zur Leitplanke der Brücke liefen, schrie die junge Frau: „Bleiben Sie weg! Wenn Sie näherkommen, dann… dann spring ich… dann ist alles vorbei.“ Grandpa sagte aus dem Affekt zur Frau: „Okay wir bleiben stehen, aber hören Sie mir wenigstens zu!
Mein Name ist Alphonsus, Sie dürfen aber auch gerne Alph zu mir sagen und ich komme vom Red-Lake Manor, etwa zehn Meilen von hier entfernt. Das hinter mir ist mein Enkel. Wie ist Ihr Name?“ Die Frau schaute meinen Grandpa verwundert an und antwortete mit zitternder Stimme: „Ich… Ich heiße Elisabeth, kommen Sie mir nicht zu nahe!“ Grandpa rief ganz laut: „Elisabeth… Beth so hieß auch meine Frau, nur sie ist leider Anfang dieses Jahres verstorben. Warum stehen Sie auf der Brücke bei diesem Unwetter, warum wollen Sie springen?“ Die Frau sagte nichts. Alph ergänzte: „Bitte reden Sie mit mir, ich verstehe Sie und will ihnen helfen!“ Elisabeth zog ihren Mantel aus: „Sehen Sie das? Ich bin schwanger, aber ich bin zu jung für ein Kind. Meine Eltern lehnen mich ab. Ich sehe keinen Sinn mehr, das Leben fortzusetzen.“ Jetzt beobachtete ich, wie Grandpa eine Gesprächshaltung annahm, welche wir in Psychologie bei meinem Lieblingslehrer Mister Hague kennenlernten. Nur wusste ich nicht, woher er diese erlernt hatte, aber das wollte ich noch herausfinden. Er bemühte sich um das Aktive Zuhören und das tiefgehende Verstehenden des Problemträgers. Alph fragte: „Sie sind schwanger und können die Last mit der Geburt und Erziehung des Kindes nicht tragen, Sie fühlen sich überfordert und ihre Eltern geben Ihnen keinen Rückhalt?“ Die Frau nickte, ihre Angespanntheit über den ganzen Körper nahm ab und sie senkte ihre Bereitschaft zum Springen. „Ja ich weiß einfach nicht mehr weiter, niemand kann mir helfen, ich bin nutzlos.“ Grandpa agierte schnell und erwiderte: „Sie sehen also keinen anderen Ausweg, als den Tod, weil Sie sich hilflos, verloren und unbedeutend finden. Aber Sie haben doch noch ein ungeborenes Kind? Dieses wird niemals die Pracht unserer schönen Welt, unserer tollen Gegend hier in Acer Falls kennenlernen. Kinder sind unsere Zukunft und nur durch sie können wir uns zu besseren Menschen machen und von ihnen lernen. Ich möchte nicht, dass ein Mensch sein Leben so einfach wegwirft und obendrein noch einem anderen Lebewesen das Leben nimmt, bevor es überhaupt geboren wird. Vertrauen Sie mir, ich helfe Ihnen. Kommen Sie jetzt erst mal da weg, bitte! Da muss es doch ganz schön kalt und windig sein.“ Die Frau setzte den ersten Fuß auf den Boden, zog ihren Oberkörper über die Leitplanke und stand mit beiden Füßen wieder auf der inneren Seite der Brücke. Alph sagte, er bleibe wie ausgemacht auf seiner Position stehen und bat Elisabeth langsam zu ihm rüber zu kommen. Sie vertraute ihm, lief langsamen Schrittes und ganz ängstlich auf ihn zu. „Haben Sie vielleicht eine Decke? Ich friere und ich bin komplett durchnässt und ich will nicht, dass mein Kind auch friert.“ Ich war fasziniert, es schien so verblüffend, wie Grandpa die Frau umstimmte, nur, weil er einerseits ihre Sichtweise in eigenen Worten wiederholte, jedoch auch andererseits die Gefühlswahrnehmungen frei und offen interpretierte. Die Frau bedankte sich bei uns. Sie sagte zu mir, ich habe einen großartigen Grandpa und daraufhin bat sie Alph einen Krankenwagen zu rufen. Dies tat er sofort, er rannte zu seinem Auto und zog sein Mobiltelefon heraus, welches er so gut wie nie benutzt, aber immer bei sich trug. Hastig schaltete er es an: „Ahhhh der Akkumulator ist noch vollgeladen!“ Er freut sich und wählte 911 und erklärte uns nebenher, warum der Notruf der Vereinigten Staaten 911 ist. Psalm 91,1 besagt, dass der Mensch unter Gottes Schutz steht und unter dem Schatten des Allmächtigen kein Leid zu verspüren braucht. In meinen 13 Jahren Schullaufbahn hatte ich solch eine Erklärung noch nie gehört, jedoch klang diese sehr plausibel und ich strahlte über das ganze Gesicht und mir wurde innerlich sehr warm bei dem Gefühl daran, dass wir zwei Menschenleben gerettet haben. Ich öffnete den Kofferraum, um mich hineinzusetzen, Elisabeth platzierte sich neben mich. Ich zog mir auch eine Decke über, denn auch ich war sehr durchnässt. Sie zitterte von Kopf bis Fuß und ihr liefen Tränen an den Wangen herunter. Ich streckte meine Arme in ihre Richtung aus, „ddd… darf ich?“ Sie nickte mit einem Lächeln und ich nahm sie in den Arm. Sie machte sich schwere Vorwürfe:
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