Sabrinas Worte, nicht meine.
Aber auch wenn sie seltsame Vergleiche macht, mit einem hatte sie recht: So ein Dekolleté ist wirklich imstande zu zaubern. Zumindest Jans Blick zufolge.
Er wickelt eine meiner roten Locken um seinen Finger. Noch so eine gute Idee, das Haar heute offen zu tragen.
„Ich bin dafür, dass wir heute bei mir übernachten.“ Ich lächele vielsagend. „Ich habe deinen Lieblingswein gekauft und eine Lasagne im Ofen, die nur noch aufgewärmt werden muss.“
„Aber Neo“, beginnt er.
„Neos Lieblingsfutter steht schon lange im Schrank“, komme ich seinen Ausflüchten zuvor. „Wir müssen ihn nur noch abholen und einem gemütlichen Abend steht nichts mehr im Wege.“
Zwei winzige Falten schieben sich zwischen seine Augenbrauen, während er sich in seinem Sessel zurücklehnt und zur Leinwand starrt.
„Alles okay?“, frage ich.
„Eigentlich schon“, murmelt er. „Es ist nur …“
Ich kenne seine Antwort, bevor er weiterspricht.
„Kannst du sie nicht anrufen“, komme ich ihm zuvor, „und ihr sagen, dass sie Neo morgen besuchen kann?“
„Im Grunde schon, aber sie wollte heute noch zum Tierarzt und die Ohrentropfen für ihn abholen. Die braucht er heute Abend. Eine Dosis nimmt sie mit, der Rest bleibt bei uns.“
„Ohrentropfen“, wiederhole ich, während ich in die Popcorn-Tüte greife. „Verstehe.“
„Bist du sauer?“
„Du weißt, dass ich Neo liebe“, antworte ich diplomatisch. „Ich will, dass es ihm gut geht.“
„Das war keine Antwort auf meine Frage.“ In seinem Lächeln liegt der Hauch eines schlechten Gewissens.
„Und du weißt auch“, fahre ich fort, „dass es mir nicht zusteht, über die Abmachung zwischen dir und deiner Ex zu urteilen. Es ist nun mal euer gemeinsamer Hund und jeder Blinde sieht, wie sehr Neo nach wie vor an ihr hängt.“
„Das stimmt schon, aber was soll das heißen, es steht dir nicht zu, darüber zu urteilen?“ Er zieht meine Hand aus der Popcorntüte und umfasst sie liebevoll mit seinen Fingern. „Du bist immerhin meine Freundin und ich möchte nicht, dass du irgendetwas in dich hineinfrisst.“
Schweigend bemühe ich mich um ein Lächeln, das ihm einmal mehr meine Toleranz und Unkompliziertheit demonstrieren soll, doch vermutlich weiß er ohnehin, wie es in Wirklichkeit in mir aussieht. Drei Monate sind mehr als genügend Zeit, um eine Fassade zu durchschauen – besonders wenn ich diejenige bin, die entsprechende Fassade erschaffen hat. Und wenn es etwas gibt, das ich absolut nicht beherrsche, dann ist es das Vortäuschen falscher Tatsachen.
„Das mit Katja und mir ist schon fast ein Jahr her“, sagt er. „Und ich bin froh, dass wir es trotz der Trennung geschafft haben, einigermaßen vernünftig miteinander umzugehen.“
Ich nicke. „Mach dir keine Gedanken um mich. Ich verstehe das. Wirklich.“
Mühsam versuche ich, das rote Sommerkleid mit dem tiefen Ausschnitt aus meinem Kopf zu verbannen, das Katja beim letzten Mal getragen hat.
„Abgesehen davon hätte es auch alles ganz anders ablaufen können“, fährt Jan fort. „Ich bin einfach nur froh, dass Neo bei mir wohnt. Da nehme ich es lieber in Kauf, dass sie ihn alle paar Tage zum Spaziergang abholt.“
„Wirklich, Jan“, ich gebe mir jetzt etwas mehr Mühe mit meinem toleranten Lächeln, „es ist alles gut. Glaub mir. Ich hatte mich nur eben auf einen schönen Abend mit dir gefreut.“
„Der ja trotzdem stattfinden wird“, fällt er mir mit gewohntem Unschuldsblick ins Wort, „nur eben bei mir. Wir können den Wein und die Lasagne ja nachher noch abholen. Es sei denn, dir ist es lieber, Katja holt Neo in deiner Wohnung ab. Ich meine, wenn ich sie anrufe, dann würde sie vielleicht …“
„Nein nein.“ Allein der Gedanke, dass sie mit ihrem elfengleichen Gang durch meine Wohnung schwebt, beschert mir eine Gänsehaut. „Alles gut. Und jetzt lass uns lieber den Abend genießen, anstatt uns mit Banalitäten aufzuhalten.“
Banalitäten. Ein Wort, das Jan nur allzu gern in Bezug auf Themen wie diese verwendet. Und jetzt benutze ich es? Fange ich etwa an, ihm nach dem Mund zu reden?
Vermutlich sollte ich das Ganze wirklich etwas entspannter betrachten und mich stattdessen lieber darüber freuen, dass sie keine gemeinsamen Kinder haben. Andere teilen sich das Sorgerecht für ein Kind, bei Jan und seiner Ex ist es eben ein sibirischer Husky.
Na und?
Der Muskelprotz auf der Leinwand trägt gerade eine Frau aus einem brennenden Haus, die dankbar seinen Hals umklammert.
Was für ein Klischee, möchte ich brüllen und frage mich im selben Moment, ob ich damit mich oder den Film meine.
„Also habt ihr gestern schon wieder nicht bei dir geschlafen?“ Sabrina hebt einen Zehn-Kilo-Hundefuttersack in ihren Kofferraum. „Du hattest doch extra alles so schön hergerichtet, das Futter für Neo gekauft, die Duftkerzen.“
„Na ja, es hat sich halt anders ergeben.“ Ich schiebe eine Stiege Katzenfutter neben den Sack.
„Anders ergeben?“ Sabrina hebt skeptisch die Augenbrauen, während die kurzen Fransen ihrer blonden Haare in ihre Stirn fallen. Seufzend lässt sie sich auf die Kante des Kofferraums fallen.
„Warum musst eigentlich immer du die Einkäufe für das Tierheim erledigen?“, frage ich. „Ihr habt doch auch kräftige Männer dort, oder?“
„Jetzt lenk nicht ab, okay?“
„Ich lenke doch gar nicht ab.“ Ich setze mich neben sie. „Jan und ich hatten einen tollen Abend, das ist alles, worauf es ankommt.“
„Einen tollen Abend, den ihr wieder mal in seiner Wohnung verbracht habt, weil er auf diese Katja warten musste, richtig?“
„Sicher war sie da.“ Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. „Aber nur kurz. Sie hat den Hund abgeholt. Außerdem hatte sie Ohrentropfen dabei, die er brauchte.“
„Ohrentropfen, so so.“
„Kannst du bitte aufhören, so zu tun, als hättest du mich bei irgendetwas erwischt?“
„Hab ich ja auch. Nämlich dabei, wie du dir selbst etwas vormachst.“
„Ich mache mir nichts vor. Ich sage nur, wie es ist. Ganz neutral. Das ändert ja nichts daran, dass Jan und ich noch immer so verliebt sind wie am ersten Tag. Und das mit Katja, tja, das ist eben so – und zur Zeit nicht zu ändern.“
„Bloß zur Zeit?“
„Neo ist eben so was wie“, ich suche nach dem richtigen Wort, „ein Teilzeithund. Sie haben ihn sich angeschafft, als sie noch liiert waren, deshalb gehört er ihnen gemeinsam.“
„Solange es nur ein Teilzeit hund ist und keine Teilzeit küsse , die er morgens dieser Katja und abends dir gibt.“
„Kannst du bitte aufhören?“ Ich ramme ihr meinen Ellenbogen in die Hüfte.
„Nur ein Witz, Mausi.“
„Du sollst mich nicht immer Mausi nennen. Du bist gerade mal achtundzwanzig – nur ein Jahr älter als ich.“
„Mausi bleibt Mausi.“
„Können wir jetzt bitte das Thema wechseln und die Sachen ins Tierheim bringen?“
„Hey, hallo – Erde an Anna!“ Sabrinas Stirn legt sich in Falten. „Kannst du bitte mal für einen Moment aufhören, so zu tun, als wäre ich Jan? Ich bin's, dein Schwesterchen. Also bitte hör auf mit der Show und gib endlich zu, wie es wirklich in dir aussieht. Dein ewiges Verständnis für diese vollbusige Blondine aus seiner Vergangenheit fängt nämlich an zu nerven.“
„Willst du denn unbedingt, dass ich mich aufrege?“
„Du sollst die Sache nur nicht in dich hineinfressen.“
„Das hat Jan auch gesagt.“
„Siehst du? Weil er nämlich selbst merkt, was für eine beschissene Situation das ist.“
„So hat er das nicht gemeint.“
„Aber ich meine es so. Irgendwann muss das doch mal ein Ende haben. Soll diese Frau jetzt alle zwei Tage bei euch auftauchen? Das kann doch echt nicht ewig so weitergehen.“
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