Heute bezeichnet der Begriff meist eine plötzliche, willkürliche, nicht provozierte Gewaltattacke mit erheblich fremdzerstörerischem Verhalten mit darauffolgender Erinnerungslosigkeit und Erschöpfung und teilweisen Umschlag in selbstzerstörerische Reaktionen. Täter, die in einer solchen Ausnahmesituation Straftaten begehen können, nennt man Amokläufer oder auch Amokschützen, falls sie Schusswaffen gebrauchen, oder Amokfahrer, falls sie Fahrzeuge einsetzen.
Als Definition hört sich diese Information so an:
Im DSM-IV |1|wird Amok in den Rubriken Dissoziative Störungen und Störungen der Impulskontrolle aufgeführt, im Glossar kulturabhängiger Syndrome wird Amok als „eine dissoziative Episode, die durch eine Periode des Grübelns charakterisiert ist, auf die ein Ausbruch gewalttätigen, aggressiven oder menschengefährdenden Verhaltens folgt, das sich auf Personen und Objekte richtet“ definiert.
Ähnlich, wie der DSM-IV, sieht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Amok als kulturspezifische psychische Störung. Im Gegensatz zum DSM-IV empfiehlt das ICD-10 die Einordnung des Amok in das bestehende System unter Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen im Kapitel 6 (F68.8). Amok wird im Anhang II zum ICD-10 (Forschung und Praxis) für Indonesien und Malaysia aufgeführt und wie folgt beschrieben: „Eine willkürliche, anscheinend nicht provozierte Episode mörderischen oder erheblich destruktiven Verhaltens, gefolgt von Amnesie oder Erschöpfung. Viele Episoden gipfeln im Suizid“ (S.207).
Diese Definition der WHO wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung jedoch mittlerweile als unzureichend wahrgenommen. Es gilt heute als empirisch abgesichert, dass eine Vielzahl der Taten nicht impulsiv stattfindet, sondern oft sogar über mehrere Jahre hinweg detailliert durch die Täter geplant wurde. Um Gewalthandlungen wie beispielsweise in Erfurt oder Emsdetten zu erklären, wird folgende Neudefinition vorgeschlagen: „Bei einem Amoklauf handelt es sich um die (versuchte) Tötung mehrer Personen durch einen einzelnen, bei der Tat körperlich anwesenden Täter mit (potenziell) tödlichen Waffen innerhalb eines Tatereignisses ohne Abkühlungsperiode, das zumindest teilweise im öffentlichen Raum stattfindet.
Soweit zum wissenschaftlichen Ansatz der Erklärung.
Der Amoklauf von Erfurt ereignete sich am Vormittag des 26. April 2002 am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt. Dabei erschoss der 19-jährige Robert Steinhäuser zwölf Lehrer, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten. Anschließend tötete er sich selbst. Der sogenannte Amoklauf mit 17 Todesopfern war der erste durch einen Schüler verübte Amoklauf an einer Schule in Deutschland.
Wenn unter einer Amoktat jedoch eine spontane, ungeplante Tat verstanden wird, ist der Amoklauf von Erfurt wie alle derartigen Taten keine Amoktat.
Die Tat fand am Tag der letzten schriftlichen Abiturprüfungen statt. Robert Steinhäuser betrat wahrscheinlich gegen 10.45 Uhr unmaskiert die Schule, seine Waffen und die Munition trug er zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Sporttasche oder seinem Rucksack. Er begab sich in die Herrentoilette im Erdgeschoss und wechselte dort einen Teil seiner Kleidung – unter anderem zog er sich eine schwarze Gesichtsmaske über den Kopf. In der Toilette ließ er seine Jacke (mit Geldbörse inklusive Papiere), seine Sporttasche, seinen Rucksack, Munition und einige andere Gegenstände zurück. Er bewaffnete sich mit den weiter unten beschriebenen Waffen und nahm befüllte Magazine für die Pistole sowie einige Patronen für die Pumpgun mit.
Von der Toilette aus machte sich Steinhäuser auf den Weg ins Sekretariat. Dort erschoss er die stellvertretende Schuldirektorin und die Sekretärin. Im Nebenzimmer befand sich die Direktorin, dieser Raum wurde von Steinhäuser nicht betreten. Die Zwischentür war zu diesem Zeitpunkt noch unverschlossen, erst als die Direktorin wegen des Lärms nachsah und die Leichen entdeckte – Steinhäuser hatte den Raum bereits wieder verlassen –, schloss sie sich in ihrem Büro ein und alarmierte den Rettungsdienst.
Nach dem Verlassen des Sekretariats begab sich Steinhäuser über die Treppe in den ersten Stock. Noch auf der Treppe schoss er einem Lehrer, der gerade einen Vorbereitungsraum aufschließen wollte, mehrfach in den Rücken. Im ersten Stock angekommen, begab er sich zielstrebig in den Raum 105 und erschoss dort vor den Augen der Schüler den anwesenden Lehrer. Durch die Schüsse auf dem Gang alarmiert, wollte der Lehrer aus dem gegenüberliegenden Klassenzimmer nachsehen, was passiert war, und betrat den Gang, wo er von Steinhäuser mit mehreren Schüssen niedergestreckt wurde.
Der Täter machte sich dann auf den Weg in den zweiten Stock. Dort betrat er zuerst den leeren Raum 206, dann den Raum 205, in dem sich nur wenige Schüler befanden, schoss dort allerdings nicht. Nun durchquerte er den Flur in Richtung Nord-Treppenhaus und feuerte fünfmal auf eine Lehrerin. Dann betrat er den Raum 211 und gab – wiederum vor den Augen der Schüler – fünf Schüsse auf die anwesende Lehrerin ab. Sein nächster Weg führte Steinhäuser in das gegenüberliegende Klassenzimmer 208, auf die dortige Lehrerin (welche in Größe und jugendlicher Gestalt den umstehenden Schülerinnen ähnelte) schoss der Täter allerdings nicht.
Steinhäuser begab sich jetzt auf den Weg in den dritten Stock, wo er in Raum 307 eine weitere Lehrerin erschoss. Hier wechselte er zum ersten Mal das Magazin seiner Waffe. Wieder auf dem Flur begegnete er einer Lehrerin, die sich nach dem Krach erkundigen wollte. Sie wurde von Steinhäuser jedoch ignoriert. Danach erschoss er eine unterrichtende Referendarin in Raum 304/310 sowie eine weitere Lehrerin auf dem Flur. Kurz danach wurde Steinhäuser zum ersten Mal identifiziert, denn eine Schülerin erkannte ihn trotz der Gesichtsmaske. Auf dem Weg Steinhäusers zur Südtreppe erschoss er noch einen Lehrer.
Steinhäuser begab sich nun wieder in das südliche zweite Obergeschoss. Die Situation war nun aber anders, die meisten Schüler wussten bereits von den Geschehnissen, viele waren auch bereits geflüchtet. Der Täter traf hier nun erstmals auf verschlossene und verbarrikadierte Klassenzimmer. Dennoch fand Steinhäuser auch hier Opfer; er schoss mehrmals auf eine fliehende Lehrerin. Diese fiel vornüber durch eine halbgeöffnete Tür, Steinhäuser stieg über sie hinweg und gab aus der anderen Richtung noch einen weiteren Schuss auf die liegende Frau ab. Der Täter wechselte nun zum zweiten Mal das Magazin. Im Raum 208 hatte sich die jugendlich aussehende Lehrerin, die vorher von Steinhäuser verschont worden war, mit ihrer Klasse eingeschlossen. Steinhäuser versuchte, den Raum zu betreten; nachdem dies misslang, schoss er in schneller Schussfolge achtmal durch die geschlossene Tür. Hierbei wurden zwei Schüler tödlich getroffen.
Robert Steinhäuser ging nun ins erste Obergeschoss, wo er einen Schuss durch die Tür zu einem WC abgab. Der Schuss blieb im Rucksack eines Schülers stecken, der vor einem Waschbecken stand.
Steinhäuser begab sich nun auf den Schulhof. Dort erschoss er eine Lehrerin, die sich um die Evakuierung der Schüler gekümmert und sie immer wieder zum Verlassen des Schulgeländes angetrieben hatte. Steinhäuser wechselte nun sein Magazin zum dritten und letzten Mal. Zu diesem Zeitpunkt traf auch das erste Polizeiauto an der Schule ein. Robert Steinhäuser eröffnete das Feuer auf die Polizisten. Einer der Polizisten schoss einmal zurück. Bei diesem Schusswechsel wurde niemand getroffen. Daraufhin begab sich Steinhäuser sehr zügig in das erste Obergeschoss und erschoss einen Polizisten durch ein Fenster.
Vor dem Raum 111 traf Steinhäuser auf den Lehrer Rainer Heise. Der Täter hatte seine Gesichtsmaske bereits abgenommen, so konnte ihn der Lehrer als Robert Steinhäuser erkennen. Dem Lehrer war zumindest im Ansatz der Umfang der Geschehnisse der letzten Minuten bewusst. Ihm war auch klar, dass er den Amokläufer direkt vor sich hatte. Er sagte zu Steinhäuser: „Du kannst mich jetzt erschießen“ und schaute ihm dabei in die Augen. Dieser senkte jedoch die Waffe und sagte: „Herr Heise, für heute reicht’s“. Heise forderte Steinhäuser auf, für ein Gespräch in den nächstliegenden Raum (Raum 111, Materialraum Kunst) zu kommen, Steinhäuser folgte der Aufforderung, ging auf die geöffnete Tür zu und wurde daraufhin von Heise in den Raum gestoßen und darin eingesperrt. Kurz darauf erschoss sich Steinhäuser selbst, der Schuss wurde von einem Polizisten gehört.
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