27.6.11: Kanal (Niederlande)
Heute zeigt mein Thermometer 35°C im Schatten, in der Sonne 45°C! Natürlich muss ich zumeist in der Sonne fahren. Da macht es auch nichts, dass ich abends auf dem Campingplatz nur kalt duschen kann, da mir eine 50 Cent Münze fehlt. Wegen der Hitze habe ich schon um 16 Uhr mein Tagwerk beendet und mich im Zelt ausgeruht. Die Niederländer, die ich heute traf, sprachen weniger Deutsch als erwartet. Niederländisch hört sich an wie Plattdeutsch (Niederdeutsch). Mit der Sprache bin ich aufgewachsen und so spreche ich die Leute manchmal auf Plattdeutsch an, - das verstehen sie aber auch nicht. Auf die Frage, ob er Deutsch spreche, antwortete der alte Platzwart empört: „Ick bin Holländer!“ Meist werden die Unterhaltungen auf Englisch geführt.
Abends ballen sich riesige schwarze Wolken zusammen und es wird frühzeitig dunkel. Ich sitze in der netten Kneipe des Campingplatzes und führe mein Tagebuch. Alle warten nach dem übermäßig heißen Tag auf den Regen, - es donnert schon in der Ferne. Schon heute Mittag hat man mich vor dem drohenden Unwetter gewarnt. Um 21:30 Uhr herrschen immer noch 32°C. Als ich ein Glas Bier bestelle, fragt die Frau, ob ich eine Flache oder ein Glas mit „Fass an“ möchte und einen „eiskalt Genever“. Jetzt rauscht der Regen endlich, die Blitze zucken ziemlich nah und es donnert gewaltig. Die Zeltleinen habe ich noch nachgespannt und die Heringe tiefer geschlagen. Die Leute, mit denen ich an der Tür hinaus in den Regen schaue, sind ziemlich gesprächig und erklären mir die neue Fahrradweg-Beschreibung, die es in den Niederlanden seit vier Jahren gibt. An Knotenpunkten sind Übersichtskarten aufgestellt und jede Fahrradroute trägt eine Nummer. Schildern mit diesen Nummern folgt man von einem Knotenpunkt zum nächsten, wo man sich die nächste nummerierte Route aussucht. Es sind aber sehr gewundene, kurze Wege. Meistens folge ich anderen Wegweisern für Überlandrouten.
Nun wird am Eingang zum Campingplatz ein Willkommensplakat aufgehängt. Nach zehn Monaten soll die Tochter des Hauses aus England zurückkommen, sie hat dort im Hotel gearbeitet. Jemand stellt mir ein kleines Glas aus Plastik hin, gefüllt mit einer Art Pflaumenwein und einer Sahnehaube und bedeutet mir, es in einem Zug auszutrinken. Zwei große Koffer werden hereingetragen und das Licht gelöscht. Mit großem Jubel wird die Tochter empfangen. Alle trinken Sahne-Schnaps zur Begrüßung. Ich ziehe mich ins Zelt zurück.
Auf dem Weg nach Nijmegen ( Nimwegen ) überquere ich zuerst den Lek und dann den Waal , die Mündungsflüsse des Rheins, und wenig später die Maas, - genauso „deutsch“ wie die Memel , die ich letztes Jahr auf dem Weg nach St. Petersburg überquerte (Wiebers, 2014). Ein frischer Nordwest-Wind ist aufgekommen. Das gestrige Gewitter hat stark abgekühlt und es herrschen nur noch 17°C. Ein frischer Seitenwind weht aus Nordwest.
29.6.11: Der Waal (Niederlande)
Ich lerne etwas Niederländisch: Fietser = Fahrradfahrer, Bromfietser = Moped, fietsen = Fahrradfahren, Rennfietser, Fietspad = Fahrradweg, Fietsnetwerk, Fietsverhur = Fahrradverleih. Erstaunlicher Weise trägt kein „Fietser“ einen Helm, auch die Kinder nicht, selbst „Rennfietser“ nur selten! Fehlt ein abgetrennter „Fietspad“, so sind auf der Straße links und rechts breite Streifen für die „Fietser“ abgeteilt und farbig markiert. Sie nehmen den größten Teil der Straße ein, - toll!
29.6.11: „Fietspad“ (Niederlande)
Den Marktplatz in Nijmegen umstehen alte und neue Giebelhäuser. Auf dem Platz liegt ein umgekippter Lastwagen. Ich vermute schon einen Unfall, bis man mir erzählt, dass alles für einen Fototermin arrangiert wurde. Eine nette Stadt, aber ich hatte mehr erwartet, - wahrscheinlich ist viel im Krieg zerstört worden. Die Brücke von Arnheim kommt mir in den Sinn, - die war in der Nähe.
Das Land ist kreuz und quer von Kanälen, Flüssen und Grachten durchzogen. Überall malerische alte Brücken oder moderne Klappbrücken, vor denen ich des Öfteren pausieren darf, bis die Schiffe durchgefahren sind. Im hübschen Hertogenbosch werden riesige Flussschiffe auf engen Kanälen manövriert, sie passen kaum aneinander vorbei. Auch hier läuten die Glockenspiele der Turmuhren ihre Melodien. Das Land ist sehr dicht besiedelt, kaum habe ich eine Ortschaft verlassen, beginnt schon die nächste. Ohne die „Fietspads“ wäre es schwierig voranzukommen. Als ich mittags einen Imbiss besuche, stelle ich zu meinem Erstaunen fest, dass die Currywurst hier unbekannt ist, - trotz der Ostindischen Kolonien, die Holland einmal hatte! Später lerne ich aus dem Buch „Die Erfindung der Currywurst“ (Timm, 1993), dass es sich dabei um ein urdeutsches Gericht handelt. So muss ich mich mit Pommes Frites und Bratwurst bescheiden. Der Campingplatz in Cromvoirt gewährt mir mit 5€ einen Sonderpreis, aber auch sonst habe ich bisher höchstens 10€ pro Nacht gezahlt,
29.6.11: In Hertogenbosch (Niederlande)
Zersplitterte Chausseebäume erinnern an das starke Gewitter vorgestern. Neben den perfekten Fahrradwegen gibt es natürlich überall „Fietsenstallinge“, Parkhäuser für Fahrräder. Massen von Radfahrern sind unterwegs. Auch Großeinkäufe werden mit dem Fahrrad erledigt. Jedes Rad trägt riesige Radtaschen links und rechts, einige Räder haben auch ein Gestell für eine Bierkiste vor dem Lenker. Mich erstaunt, dass auch neue Fahrräder oft altmodische Trommelbremsen am Vorderrad haben. Über Tilburg geht es nach Breda, einem gemütlicher Ort mit alter Festungsanlage und historischen Schiffen. Auf dem „Groten Markt“ vor der „Groten Kerk“ zieht mich die Werbung eines Lokals an: „Bijons geen Bediening, Dat scheelt in de Prijzen!“ Ich spreche Plattdeutsch und verstehe daher sofort: „Bei uns keine Bedienung, das macht sich in den Preisen bemerkbar!“ Das Gebimmel der Turmuhren nimmt kein Ende. In Roosendaal spielt eine Turmuhr sogar den „Entertainer“ (Joplin, 2008) zur vollen Stunde! Heute ist es mit 22°C wieder wärmer, aber ein auffrischender Wind weist auf die nahe Nordsee hin.
30.6.11: Breda (Niederlande)
In Bergen op Zoom erreiche ich die Osterschelde . Warum ich hier 14,50€ für den Campingplatz zahlen muss, bleibt unklar. Vielleicht zur Strafe, weil ich mein Zelt schon aufgebaut hatte, bevor die Herrin des Platzes kam. Forsch weist sie mich an, mit dem Zelt umzuziehen. Zur Entschädigung gibt es eine gedruckte, klare Anweisung zum Verschließen der Dusche: „Doer opslot, Klink omhook, Draiknop naa rechts draiien!“
Nachts kommt Wind mit Regen auf und gegen 6 Uhr geht ein starkes Gewitter nieder. Aber als ich um 8 Uhr aufstehe, scheint die Sonne und im steifen Nordwestwind trocknet das Zelt im Nu. Hinter dem breiten Kanal der „ Schelde-Rijnverbinding “ beginnt die weite Osterschelde. Landschaft und Gegenwind erinnern mich an Nordfriesland : baumlose, gerade Straßen und Deiche. In Krabbendijke zeigt sich die erste Windmühle. Auf einer Fahrradfähre überquere ich die Westerschelde von Vlissingen nach Breskens. Die Fähre bietet sogar einen „Oplaadpunkt“ für Pedelecs, mit denen viele ältere Niederländer unterwegs sind. Die Westerschelde wurde - im Gegensatz zu den anderen Mündungen - im Rahmen des Rhein-Maas-Schelde-Delta-Projektes nicht gegen die Nordsee abgedämmt. „ Anlass des Deltaprojektes war die Flutkatastrophe von 1953 , bei der im Flussdelta im Süden der Niederlande 1835 Menschen und über 200.000 Tiere ums Leben kamen. Es war die größte niederländische Sturmflutkatastrophe seit der Elisabethenflut 1421“ (Wikipedia, 2014).
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