Wadims und Annas Entschluss stand jedenfalls fest. Sie würden nicht zur Parade gehen und auch Marusha würde bei der Parade nicht mitmachen. Sie wollten ihre Aktivitäten unter freiem Himmel, sofern das möglich war, in den nächsten Tagen auf ein Minimum beschränken. Zumindest solange, bis es Klarheit gab, dass keine Gefahr für die Kiewer Bevölkerung bestand. Und diese Nachricht musste von ausländischen Behörden bestätigt werden.
Am nächsten Tag bat Anna, als sie ihre Tochter im Kindergarten abgab, um ein kurzes Gespräch mit der Kindergartenleiterin. Denn sie wollte, dass Marusha bis auf weiteres nicht draußen spielen sollte. Die Kindergartenleiterin zeigte Verständnis, denn diesen Wunsch hatten schon mehrere Eltern vor Anna ausgedrückt.
„Sie können beruhigt sein. Wir werden die Kinder nur im Kindergarten betreuen. Uns ist ja selber nicht wohl dabei, an der frischen Luft zu sein, wohlwissend, dass die Strahlenwerte möglicherweise extrem hoch liegen.“
Anna war zumindest in dieser Hinsicht beruhigt.
Neben den kurzen Nachrichten des russischen Nachrichtensenders gab es leider weiterhin keine Nachrichten in anderen Medien. Eine kurze Nachricht von einigen Zeilen über den Atomunfall hatte es in der Prawda, der größten Zeitung der Sowjetunion, gerade mal bis auf die dritte Seite „geschafft“.
Am Abend gab dann der sowjetische Gesundheitsminister eine kurze Weisung an die Bevölkerung um Tschernobyl: Alle sollten Fenster und Türen geschlossen halten, regelmäßig Jodtabletten in der vorgeschriebenen Dosierung zu sich nehmen und beim Betreten der eigenen Wohnung die Schuhe an einer feuchten Matte abtreten.
Wadim und Anna schüttelten ein weiteres Mal ihre Köpfe. Als ob jemand glaubte, dass man der Strahlung und die Auswirkung dieser durch solche lapidaren Maßnahmen unter Kontrolle bringen konnte und vor dem Eindringen in die eigenen vier Wände „aussperren“ konnte.
Die Maifeierlichkeiten in Kiew wurden wie erwartet nicht abgesagt. Um zu demonstrieren, wie harmlos die sowjetischen Behörden die Lage weiterhin einstuften, wurde sogar ein Politbüromitglied mitsamt Familie nach Kiew entsandt. Nach dem Motto: Wenn wir „unsere Leute“ dorthin schicken, wird die Lage schon nicht so schlimm sein.
Im Nachhinein sollte sich die „Nichtabsage“ dieser großen Parade und der weiteren Feierlichkeiten als einer der größten Fehler herausstellen, welchen die Behörden im Zusammenhang mit der Katastrophe gemacht hatten.
Am 2. Mai endlich gab es dann auch Nachrichten im Sowjetischen Fernsehen. Es wurden nun neben der schon evakuierten Stadt Prybjat alle Einwohner in einem Umkreis von 30 km um Tschernobyl evakuiert, was weiteren 130.000 Menschen entsprach.
Was Wadim und Anna aber noch mehr Angst einjagte, war die Feststellung der Wetterexperten, die berichteten, dass sich die Windrichtung von Südost nun auf Nord geändert hatte, was bedeutete, dass auch in Kiew in nächster Zeit mit erhöhten Strahlenwerte durch die radioaktive Wolke zu rechnen sei.
Wadim und Anna überlegten ernsthaft, aus der Stadt zu fliehen. Aber diese Pläne mussten beide leider schnell wieder „begraben“. Sämtliche Zug- und Flugtickets, um aus der Stadt zu kommen, waren für die nächsten Wochen ausgebucht. Und ein Auto besaßen sie leider auch nicht, was hieß, dass sie in Kiew mehr oder weniger „gefangen“ waren.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.