„Das Opfer ist noch mal bewegt worden.“
Reitschuster sah ihn an. „Woran erkennst du so etwas?“, fragte er erstaunt.
„An den Grashalmen. Die Halme unter der Leiche sind richtig platt gedrückt, wobei diese“, er zeigte auf die linke Seite des Opfers, „sich wieder etwas aufgerichtet haben, weil der Druck nachgelassen hat. Das Gras in der Umgebung steht beinahe senkrecht.“
„Das ist mir auch aufgefallen, nur habe ich es nicht erwähnt“, schmunzelte er.
In Reitschusters Kopf begann es zu schaffen. „Dann haben wir es wahrscheinlich mit zwei Tätern zu tun“, sagte Reitschuster mehr zu sich selbst. Er fuhr sich durch sein Haar. Eine Angewohnheit, welche er schon seit der Schulzeit hatte. Immer wenn er sich konzentrieren musste, fuhr er sich durch die Haare. Er war froh darüber, mit 48 Jahren noch so volles Haar zu haben. Stone hatte nicht so viel Glück, da er- obwohl zwei Jahre jünger- eine mächtige Tonsur als Haupthaar trug.
„Das musst du selbst herausfinden, mein lieber Bär. Ich kann nur Fakten sammeln!“, sagte Stone und klopfte seinem Kollegen aufmunternd auf die rechte Schulter.
Reitschuster sah sich um. Wo war der Jogger? An der Polizeiabsperrung sah er Polizeiobermeister Schaller, der gerade die Schaulustigen befragte. „Guten Morgen, Schaller“, rief er hinüber. „Wo ist denn dein Jogger?“ Schaller grüßte seinen Chef aus der Ferne. Er übergab seine Dienstgeschäfte an einen Kollegen, um dann schnellen Schrittes zu Reitschuster zu eilen.
Etwas außer Atem sagte Schaller: „Den habe ich nach Hause geschickt, nachdem ich seine Personalien überprüft hatte. Er arbeitet in Ichenhausen bei der Stadt. Soll ich dir die Daten vorlesen?“
„Nein! Gib sie mir später!“ Reitschuster ging zu Stone zurück. „Was habt ihr noch? Hatte der Tote etwas dabei?“ Er sah das Spurensicherungsteam aufmerksam an. „Kein Handy, keinen Hausschlüssel oder Autoschlüssel, keine Geldbörse, nichts Persönliches“, meinte Pfeiffer, ein Mitarbeiter von Dr. Wallenstein.
„Dann könnte es Raubmord gewesen sein.“ Er dachte kurz nach. „Auffällige Tätowierungen oder Narben?“
„Nein, nichts dergleichen“, sagte Stone. Seine Klamotten, alles vom Feinsten, überlegte Reitschuster. Neueste Markenkleidung und Laufschuhe.
Nichts, was man so einfach in der Kaufhalle oder bei Woolworth kaufen kann. Da kamen hier auf dem Lande vielleicht vier oder fünf Geschäfte infrage.
Reitschuster sinnierte, während Schaller das Absperrband öffnete, um das Fahrzeug eines beauftragten Bestattungsunternehmens durchzulassen.
„Brauchst du uns noch?“, fragte Stone. Reitschuster schaute nachdenklich in die Richtung des Fahrzeugs. „Checkt ihn durch und versucht, etwas über seine Klamotten herauszufinden. Scheint, dass das unsere einzige Spur ist.“
„Machen wir Bär, du kannst dich auf uns verlassen!“, sagte Wallenstein. Die Spurensicherung rückte ab. Der Tote wurde eingesargt und in die Gerichtsmedizin Memmingen überstellt.
Reitschuster dachte nach. Seit Wochen wartete er nun auf einen neuen Partner. Seine Kollegin Kriminalkommissarin Samantha Berger war nach der Geburt ihrer Tochter in Elternzeit. Sie machte ihre Arbeit sehr gut und sie kamen prima miteinander aus. Sie war eine schillernde Persönlichkeit, die immer für einen Scherz zu haben war. Samantha war die perfekte Ergänzung zu Reitschuster. Oft war sie etwas spontan, da musste er sie bremsen, damit sie nicht über das Ziel hinaus schoss. Als sie vor vier Jahren aus dem fernen Rosenheim in seine Abteilung versetzt worden war, waren die beiden nicht sofort ein Team gewesen. Aber das hatte sich schnell geändert, denn sie brachte die richtige Würze in das Team der Kripo Krumbach. Sie hinterfragte vieles und war oft auf Konfrontation aus. Samantha war 33 Jahre alt, sehr sexy und wenn jemand auf rothaarige Frauen stand, war sie ein echter Hingucker. Auch sie durchlief annähernd die gleiche Ausbildung wie Reitschuster bis auf die Führungslehrgänge. Er spürte schon länger, dass ihr etwas fehlte. Sie ließ sich nach Krumbach versetzen, weil ihr Mann eine lukrative Stelle im Management einer Flugzeugbaufirma in Mindelheim bekam.
Dies war vor sechs Jahren gewesen. Beide hatten keine Lust mehr auf eine Wochenendbeziehung und so kam es zur Versetzung nach Krumbach.
Der Polizeipräsident der Polizeiinspektion Kempten hatte Reitschuster nun schon vor Wochen einen neuen Partner zugesichert. Er wusste gar nicht mehr, wann er das letzte Mal so richtig ausgeschlafen hatte. Die Arbeit wuchs ihm allmählich über den Kopf. Seine Abteilung fiel mehr und mehr auseinander. Krankheit, Urlaub, Lehrgänge und Elternzeit trugen dazu bei, dass der Leiter ständig auf die Piste geschickt wurde. Polizeiobermeister Schaller machte schon seit Jahren hervorragende Arbeit. Schaller war vor fünfzehn Jahren Polizist geworden. Nach der Polizeischule war er eine Zeit lang bei der Bereitschaftspolizei München. Danach ging es nach Aichach, bis er vor sechs Jahren zu Reitschuster aufs Kommissariat gekommen war. Vor kurzem hatte er sich als Seiteneinsteiger für den gehobenen Dienst beworben. Er war ledig und wohnte in Krumbach. Wenn er nicht als Polizist unterwegs war, spielte er gerne Schafkopf. Dann traf man sich im Kupferdächle, aß und trank dazu. Ein weiteres Hobby war das Angeln, da konnte Christian Schaller so richtig runterkommen von seinem teilweise stressigen Beruf.
Reitschuster ging zu seinem Auto, als er bei Schaller vorbei kam. „Schaller, du sorgst dafür, dass hier alles korrekt abgewickelt wird. Danach meldest du dich bei mir im Büro.“
„Alles klar. Mache ich bis später“, sagte Schaller. Reitschuster stieg in sein Auto und fuhr ins Präsidium nach Krumbach. Er dachte an den Fall und wie man am besten vorging. Ein Mord hier im verträumten Schwabenländle kam nicht alle Tage vor. Er legte einen kurzen Stopp beim Kaiserbäck ein und besorgte ein paar süße Stückle. Am Präsidium stellte er sein Auto ab und ging in seine Abteilung. Es war nun vier Uhr und das Gebäude war menschenleer. Im Vorzimmer setzte er Kaffee auf und ging in sein Büro. Dort nahm er an seinem Schreibtisch Platz und schrieb seinen Einsatzbericht. Nachdem er den Bericht verfasst hatte, wartete er auf Kollegen Schaller.
Es verging eine halbe Stunde, bis sich Polizeiobermeister Schaller bei ihm meldete. Als er Schaller sah, ging er ihm entgegen.
„Na Schaller! Alles erledigt?“, fragte Reitschuster und schenkte seinem Kollegen einen Kaffee ein. Nun gab er ihm die Tasse und bot ihm ein süßes Stückle an.
„Der ist zwar nicht so gut, wie der Kaffee von Kollegin Wimmer, erfüllt aber seinen Zweck. Ich kann dann besser denken. Geht es dir da auch so?“, lächelte er Schaller an. Dieser nahm sich ein süßes Stückle und antwortete.
„Den Tatort haben wir wieder freigegeben. Danke dir für Kaffee und Kuchen, ja auch ich kann nicht gut mit leerem Magen denken“, grinste Schaller und biss herzhaft zu.
Sie gingen in Reitschusters Büro. Beide setzten sich und Reitschuster begann: „Schaller, wie du weißt, ist Samantha Berger in Elternzeit. Deshalb brauche ich schnellstens Ersatz. Die versprochene Unterstützung der Personalstelle ist zwar im Zulauf, doch wann sie hier eintrifft, ist mehr als fraglich. Deshalb möchte ich, dass du mein Assistent bist. Was hältst du davon?“
Schaller strahlte über das ganze Gesicht. Etwas verlegen sagte er: „Ja, vielen Dank! Das wirst du sicher nicht bereuen. Aber was wird der Polizeipräsident davon halten?“
Reitschuster gab ihm ein Handzeichen: „Den lass mal getrost meine Sorge sein. Schließlich hast du dich für den gehobenen Dienst beworben.“
Beide erhoben sich wieder und Reitschuster gab Schaller die Hand: „Willkommen im Team der Kripo Krumbach.“ Schaller bedankte sich nochmals: „Danke dir für dein Vertrauen. Wäre das dann alles? Ich möchte nämlich nicht unhöflich sein, aber ich wollte noch zum Angeln.“ Reitschuster lachte: „Na da möchte ich dich nicht aufhalten vielleicht beißen sie bei Dunkelheit nicht mehr. Petri Heil, wir sehen uns dann Montag.“
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