Lenning dachte gar nicht daran, sich jetzt schon vorzustellen, sondern meinte
„Madame Curzon, wer sagt uns überhaupt, dass Sie Ermittlungsrichterin sind, dass jemand ermordet wurde? Es könnte doch genauso gut sein, dass hier das schweizerische Fernsehen DRS einen neuen Krimi abdreht und wir gerade in die Vorbereitungen bzw. in die Drehpause gelangt sind?“
Madame Curzon schaute Lenning jetzt schon drohend an.
„Haben Sie einen Ausweis?“ begann sie.
„Madame, Sie haben mir noch nicht den Ihren gezeigt“, wandte Lenning ein.
„Mit einem Griff in die Tasche, löse ich dieses Problem.“
Sie zeigte ihren Dienstausweis und Lenning las laut vor
„Corinne Curzon.“
Schnipp – der Ausweis war wieder dort hin verschwunden, wo er hergekommen war.
„Nun meinen Ausweis... Tut mir leid, Madame, mein Ausweis liegt in meinem Auto.“
„Und wo befindet sich Ihr Auto?“ fragte die Ermittlungsrichterin.
„Nicht weit von hier. Soll ich ihn holen gehen?“
Lenning wendete sich zur Tür.
„Halt!“ meinte die Ermittlungsrichterin. „Es kann Sie jemand begleiten.“
Sie schaute sich um, die Polizeibeamten waren alle beschäftigt.
„Ich werde Sie begleiten“, meinte sie und verließ mit Lenning das Büro.
Sie steuerte zielbewusst auf den Aufzug zu, der sofort kam und schweigend fuhren die beiden ins Erdgeschoss.
Im Erdgeschoss angekommen ließ Lenning der Untersuchungsrichterin gar galant den Vortritt und als sie vor die Tür des Gebäudes trat und nicht wusste, wo Lenning sein Fahrzeug geparkt hatte, führte er sie zu seiner Rechten zu dem unweit abgestellten Wagen. Lenning öffnete die Tür und entnahm der linken Türablage seinen Pass, den er der Untersuchungsrichterin reichte.
„Ah, Sie sind Deutscher“, stellte sie fest und musterte Lenning noch mal von oben bis unten.
„Was hatten denn Sie gedacht?“ forschte Lenning.
„Ich war mir ziemlich sicher, dass Sie Amerikaner sind“, klärte ihn Madame Curzon auf. „Immerhin ist Ihr Freund ja Amerikaner.“
Lenning sah von der gegenüberliegenden Straßenseite Plummy und Tom auf das Fahrzeug zukommen. Er wollte ihnen ein Zeichen geben, doch zu spät.
„Hallo, Wolf, seid Ihr schon fertig?“
Tom hatte zunächst Madame Curzon übersehen. Nun schaute er erwartungsvoll auf Lenning, damit ihm dieser die Dame vorstellen sollte, während jene wiederum ebenfalls Lenning anschaute, um Aufklärung darüber zu erlangen, wer die hinzutretenden Fremden wohl seien. Lenning reagierte sofort.
„Darf ich vorstellen: Tom Hayworth und...“ er stockte einen Augenblick, denn ihm war der Familienname O`Haras entfallen. Dann wies er mit der Hand in Richtung der Untersuchungsrichterin „Madame Corinne Curzon“.
Keiner war richtig mit dieser Vorstellung zufrieden, denn die Untersuchungsrichterin wusste nichts mit den Namen anzufangen, ebenso wenig wie Tom und Plummy, denen der Name Corinne Curzon kaum etwas sagte.
Lenning zeigte keine Reaktion und meinte nur zu den beiden, man sei noch lange nicht fertig und sie könnten noch in das Café zurückgehen, um dort auf ihn zu warten.
„Meine Herren, Sie können uns gerne begleiten“, lud Madame Curzon in einer Art ein, dass es den beiden nicht einfiel, nein zu sagen.
„Das Café ist übrigens geschlossen“, erklärte Tom. „Razard wird hoffentlich einen heißen Kaffee für uns haben.“
Die Untersuchungsrichterin horchte auf. „Sie wollen zu Monsieur André Razard?“ hakte sie nach.
Tom schaute Lenning an, der etwas sagen wollte, sich aber doch eines Besseren besonnen hatte.
„Kennen Sie Monsieur Razard?“ fragte die Untersuchungsrichterin zuerst Plummy und dann Tom, die beide den Kopf schüttelten.
„Dann bleiben also nur noch Sie, der Monsieur Razard identifizieren könnte!“ Sie blickte kritisch auf Lenning, der den Kopf schüttelte.
„Ich habe ihn nicht gekannt.“
„Ihr Freund hat aber auch gesagt, er habe ihn noch nie gesehen. Was wollten Sie denn dann von Monsieur Razard?“
Die Gruppe war inzwischen beim Hauseingang angekommen, als ihnen zwei eilfertige Beamte fast die Tür ins Gesicht schlugen, als sie heraus stürmten.
„Madame, wir haben Sie schon gesucht. Oben klingelt dauernd das Telefon und Sie haben verfügt, dass keiner abnehmen dürfe.“
Diese Begebenheit schaffte Lenning einen Moment Luft, denn die Untersuchungsrichterin eilte zum Aufzug und ließ die drei Männer einfach stehen. Lennings Pass hatte sie in der Hand behalten.
„Wo hast Du denn die aufgegabelt?“ fragte Tom Hayworth und fügte missbilligend hinzu:
„Wolf, Du bist ein unverbesserlicher Womanizer!“
Lenning lachte.
„Sie ist wirklich ganz hübsch, entspricht genau Deinem Geschmack,“ setzte Tom nach, „aber sie hat so etwas von einer Domina an sich. Ich möchte nicht unbedingt mit ihr die Nacht verbringen, jedenfalls heute nicht.“
„Dazu wirst Du möglicherweise noch Gelegenheit haben“, lachte Lenning. „Razard ist nämlich ermordet worden und sie ist die zuständige Untersuchungsrichterin und traut uns nicht.“
Tom Hayworth mimte den Erschrockenen.
„Ach Du meine Güte. Und Madame haben es ganz auf Dich abgesehen. Wo steckt denn unser Freund John?“
„Der ist noch oben. Ich bin nur mit ihr hinuntergegangen, um meinen Pass zu holen, denn sie hat mir so wenig getraut, dass ich nicht einmal allein zum Auto gehen durfte.“
„Was Du nicht alles sagst. Dann sehe ich natürlich schwarz für unsere wenigen Tage beim Skilaufen.“
Lenning und die beiden anderen nahmen die Treppe und als sie oben wieder ankamen, stellten sie gerade fest, dass der Aufzug sich wieder nach unten bewegte.
„Wo ist Madame Curzon?“ fragte Lenning einen der anwesenden Beamten.
„Sie ist mit dem Aufzug hinuntergefahren und sucht Sie,“ meinte dieser grinsend.
„Und Mister Bullock?“
„Ihn hat sie mitgenommen, denn sie meinte, es genüge ihr, wenn einer entwischt sei.“
Jetzt musste auch Lenning lachen. Die anwesenden Beamten kicherten alle etwas vor sich hin und Lenning schaute von einem zum anderen, zuckte die Schultern und meinte schließlich „Was ist denn so lächerlich an der ganzen Geschichte?“
Der wohl dienstälteste, wahrscheinlich ein Hauptkommissar, klärte Lenning auf:
„Madame Curzon ist wohl eher eine Demoiselle und es ist ihre erste größere Sache. Sie ist ganz neu in der Kantonsjustiz und wahrscheinlich hier etwas überfordert.“
Lenning musste laut auflachen, brach jedoch ab, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Aufzugstür und die Untersuchungsrichterin erschien mit John.
„My goodness!“ rief dieser. „Die Lady hat geglaubt, Du seist fortgefahren und hättest mich hier alleine zurückgelassen.“
Lenning unterdrückte ein Lachen und ging auf die ernst dreinblickende Untersuchungsrichterin zu.
„Wie kommen Sie auf eine solche Idee, Madame? Ich werde Sie doch nicht verlassen, ohne mich verabschiedet zu haben.“
Inzwischen war Madame Curzon so verunsichert, dass sie John Lennings Pass in die Hand drückte und zu dem Kommissar gewandt, fragte, ob schon die Presse informiert sei.
„Madame, Sie selbst haben verfügt, dass keine Pressemitteilung herausgehen darf, bevor Sie es nicht ausdrücklich gestatten.“
„Dann müssen wir doch irgendwie etwas tun. Demnächst fährt unten ein Leichenwagen vor und bei dem Personalaufgebot kann das hier nicht verborgen bleiben und es wird heißen, die Justiz mauert.“
Madame Curzon schien ganz aufgebracht.
„Haben Sie denn noch keinen Mordfall zu lösen gehabt?“ fuhr sie den Kommissar barsch an und dieser erwiderte ganz trocken
„Doch, schon einige, Sie noch nicht?“ und dabei blickte er ihr gerade ins Gesicht. Madame Curzon errötete zum ersten Mal und die Röte schien nicht aus ihrem Gesicht weichen zu wollen.
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