Lenning überlegte. „Dann werden Sie Olschewskis habhaft und können ihn so befragen.“
„Richtig“, grinste der Commissario. „Ich wünsche Ihnen nun eine gute Heimreise und ich muss sofort nach Bozen zurück. Machen Sie es gut, Dottore!“
Der Abschied war kurz aber herzlich und die Familie packte fertig und begab sich wieder auf die Heimreise.
Die Weihnachtsfeiertage waren nicht anders als jedes Jahr gewesen und Lenning hatte noch einige Fälle, bei denen Verjährung drohte, zu bearbeiten, während seine Sozien schon in Weihnachtsurlaub waren. Kurz vor den Festtagen meldete sich der von Rooy bevollmächtigte niederländische Geschäftsfreund und teilte Lenning in knappen Sätzen mit, dass Rooy am 20. Dezember 2001 im Krankenhaus gestorben sei. Er habe zum Schluss zwar noch gesagt, Lenning müsse den Prozess fortsetzen, doch sein Sohn wollte aus ökonomischen Gründen in Hamburg nicht mehr weiter prozessieren und er war nunmehr als Erbe Rechtsnachfolger und bestimmte damit, wie Lenning das Mandat zu führen hatte. Lenning fragte Keith Hulk noch, wie die näheren Umstände gewesen waren und er meinte „ganz arm.“ Rooy sei vorher noch aus dem Bett gestürzt, habe sich am Gesicht verletzt und sei kurz darauf ins Koma gefallen, aus dem er nicht mehr erwachte. Lenning schmerzte der Verlust des Freundes, aber schließlich hatte er damit gerechnet. Er würde nun den Fall so zu Ende bringen, wie dies die Erben wünschten und Rooy war nur noch eine Erinnerung. „Wer kann sagen, wie kurzlebig diese Zeit ist“, dachte Lenning und überlegte, wie er über die Feiertage – insbesondere Weihnachten ist nicht für jedermann ein Genuss – kommen würde. Viele wissen an diesen Tagen nichts mehr mit der Zeit anzufangen; oftmals geht nach mehreren Feiertagen die Scheidungsquote und die Selbstmordrate drastisch nach oben. Lenning dachte nicht an derartige Schwierigkeiten, aber Feiertage waren für ihn immer mit Stress verbunden und schon als Kind hatte er Weihnachten fürchten gelernt: An diesen Tagen war meistens der Familienfrieden etwas in Frage gestellt und schließlich und endlich war auch heute nicht immer Weihnachten ein Fest des Friedens für ihn.
Lenning wurde von Dax aus seinen Gedanken gerissen. Dax wollte die Kanzlei verlassen. Lenning schaute den Hund an. Er war nun auch schon über 10 Jahre alt, aber bis jetzt, so dachte Lenning, schien er kerngesund. Vielleicht schafft er es noch länger, als sein Vorgänger, der immerhin über 17 Jahre alt geworden war und schließlich hatte Dax´s Mutter fast 19 Jahre erreicht. Der Hund bellte, als er merkte, dass Lenning auf ihn aufmerksam geworden war und sprang an der Tür hoch.
„Wir gehen gleich“, meinte Lenning und unterschrieb die ihm vorgelegte Post.
Danach ging es zur Garage und unterwegs traf Lenning noch einige Bekannte, was Dax gar nicht gefiel, denn er wollte schnell aus der Stadt heraus, obwohl er selbst den Weg vom Büro zur Garage genoss: Es gab sehr viel zu riechen und manchmal traf man auch Bekannte...
Nach den Weihnachtsfeiertagen erhielt Lenning einen Anruf auf dem Mobiltelefon, der die nächste Zeit doch maßgeblich beeinflussen sollte. Es war John Bullock, der Lenning ein Zusammentreffen in den französischen Alpen vorschlug.
„Wir wollen alle wieder einmal Skifahren und wir dachten, Du könntest dabei sein, Wolf“, begann John Bullock, ohne lange Einleitung.
„Ja, hast Du denn soviel Zeit?“ wollte Lenning zunächst wissen.
John meinte, man bräuchte nur ein paar Tage und schließlich könnte man hier auch Dienstliches mit Privatem, sprich mit „Angenehmen“ verknüpfen.
Lenning verstand. „Also, wann soll´s denn los gehen?“ Lenning zückte den Kalender. „Bei mir ist noch einige Zeit frei. Vielleicht nach dem 9. Januar ein paar Tage?“
John bestätigte. „Geht in Ordnung. Welchen Ort würdest Du vorschlagen? Val Thorens oder Courchevel?“
Lenning überlegte nur kurz. „Im Augenblick sind die Schneeverhältnisse nicht so ideal. Val Thorens ist höher gelegen und schneesicherer.“
„In Ordnung!“ bestätigte John. „Wie fahren wir? Ich schlage vor, wir kommen mit meinem Auto zu Dir in die Nähe und lassen es dort stehen und fahren mit Deinem Auto weiter.“
„In Ordnung!“ quittierte Lenning. „Wann und um wieviel Uhr?“
„Ja, wie Du eben sagtest. Am 9. Januar, wir übernachten in der Nähe, haben dort auch dienstlich zu tun und treffen uns am 9. morgens um 9:00 Uhr. Einverstanden?“
„Bis zum 9.“
Lenning überlegte kurz, was mit „dienstlich in Frankreich“ gemeint sein könnte und freute sich eigentlich auf ein so nettes Zusammentreffen, denn frühere „Skikurzurlaube“ mit diesen Freunden waren wirklich irgendwie toll gewesen. John war ein recht guter Skiläufer. Er fuhr typisch “amerikanisch“, das heißt, so wie man eben beispielsweise in Aspen/Colorado Ski läuft. Weniger versessen auf Stil, mehr im Geschwindigkeitsrausch und keine Piste, die man nicht schaffen würde. Lenning hatte sich etwas von diesem „Cowboystil“ angeeignet, aber bei ihm war alles doch irgendwie europäischer und lediglich im Extremfall, wenn es darauf ankam, John zu zeigen, dass er auch schnell Skilaufen konnte, überholte Lenning John.
Pünktlich am 09.01.2001 meldete sich John auf Lennings Mobiltelefon.
„Wo bist Du?“ wollte er wissen.
„Ich bin gerade noch in der Kanzlei.“
„Dann fahr schon mal los. Von Landau nach Karlsruhe hast Du es ja nicht weit. Wir stehen dort bei einem Freund, das ist ganz in der Nähe des Bundesgerichtshofs. Dort lassen wir unser Auto stehen und laden schnell um.“
Er nannte Lenning die Adresse. Lenning kannte in etwa die Gegend und es dauerte nicht lang, so war er auch schon vor Ort. Man begrüßte sich kurz und nutzte die Zeit zum Umladen. Es ist doch eine ganze Menge, wenn vier Männer ihr Gepäck zum Skifahren in einer Limousine unterbringen müssen. John hatte erwartungsgemäß, Tom mitgebracht. Erstaunt war Lenning über den Dritten im Bunde: Es war Plummy, der Ire, den Lenning in Hamburg kennen gelernt hatte und der auch im letzten Herbst in Burgund dabei war. Plummy freute sich riesig.
„Wolf, ich bin sehr froh, dass Du dabei bist, wenn ich mir die Beine breche.“
„Aber Plummy, warum willst Du Dir denn die Beine brechen?“ fragte Lenning.
„Ich bin noch nie auf Skiern gestanden und soll gleich in das größte Skigebiet Europas gebracht werden.“
„Du bist gut informiert“, meinte Lenning. „Aber mit dem „Beine-brechen“ wird das nichts. Du besuchst dort einen französischen Skikurs und abends sehen wir uns dann nach dem Skifahren.“
„Das hat John auch schon gesagt, aber wir wollen doch nicht den ganzen Tag getrennt sein? Ich allein in einer Skifahrergruppe...“
Plummy protestierte.
„Du wirst vielleicht schon am dritten Tag mit uns fahren können, so wie ich Dich einschätze.“ Lenning hatte Plummy von oben bis unten und von unten bis oben gemustert und meinte, er sei ein sportlicher Kerl, der so etwas schnell lerne.
Die Skier und das Gepäck waren auf zwei Dachgepäckbehältern und im Kofferraum verstaut worden, bevor die Fahrt losging. Kaum waren die fünf Reisenden – Dax war nämlich wieder dabei – auf der A 5 Richtung Basel, begann John:
„Wolf, wir sind im Einsatz“, sagte er lächelnd..
Lenning lachte und meinte „Solch einen Einsatz zum Skifahren habe ich ganz besonders gern!“
„Ja, Wolf! Bevor wir Skifahren gehen, haben wir noch eine Sache in Genf zu erledigen.“
„Nicht schlecht“, konterte Lenning. „Wir fahren gleich dort zu den internationalen Institutionen oder willst Du etwa zu einer Bank?“
„Weder noch, Wolf! Du machst immer die besten Scherze. Wir treffen dort einen Exportkaufmann und vielleicht auch seine Banker.“
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