Und so machten sie sich doch auf den Weg. Ellen und Birgit gingen einander stützend und ständig schimpfend hinter Carola und Wolf her, die sich die steilste Stelle ausgesucht zu haben schienen.
Merkwürdigerweise jammerte Carola gar nicht mehr. An einer Stelle zeigte Birgit nach rechts, wo offensichtlich ein nicht ganz so steiler Weg herauf zu kommen schien.
„Den werden wir jetzt nehmen“, meinte sie.
Lenning warnte: „Dort ist ein großer Misthaufen abgekippt. Der ganze Weg ist voller Mist.“
Aber Birgit und Ellen ließen sich nicht daran hindern, diesen Weg einzuschlagen und Lenning hatte keine Lust mehr zu warten und ging erst langsamen Schrittes mit Carola den Berg hinunter, um unten auf der Straße die letzten sechzig Meter zur Ferienwohnung im Laufschritt zurückzulegen. Als sie sich umblickten, gewahrten sie Ellen und Birgit direkt vor dem Misthaufen oder waren sie bereits schon im Misthaufen gelandet?
Lenning betrat mit Carola die Wohnung. Kein Zweifel, sie hatten alle Hunger und so machte sich Lenning schon daran, Wasser für die Nudeln aufzustellen, während Carola Zwiebeln schälte, um sie anzubraten und das Abendessen fertig zu machen.
„Heut´ machen wir das Abendessen“, schmunzelte Carola. „Aber wo bleibt Mama nur mit Birgit.“
Als es schließlich zu lange dauerte, traten sie ins Freie hinaus, um nachzusehen. Währendessen waren Ellen und Birgit schon zur Haustür in den Gang gekommen und boten einen erbärmlichen Anblick. Ellen war bis zu den Hüften mit Kuhdreck verschmiert, während Birgit von oben bis unten im Kuhdung gesteckt zu haben schien. Über das Lachen von Carola und insbesondere das Wolfs waren die beiden so erbost, dass sie sich sofort ins Bad zurückzogen und erst zum Abendessen mürrisch und maulend wieder hereinkamen.
„Das war ein toller Ausflug“, begann Ellen. „Nie mehr kriegst Du mich auf einen Berg, das hat jetzt ein Ende.“
Und Birgit, der Tränen in den Augen standen, stimmte lautstark zu.
„Der Papa kann doch nichts dafür, dass ihr in die Kuhscheiße gefallen seid“, meinte Carola kess. „Er hat Euch sogar noch davor gewarnt.“
Und wortlos aß man das recht ordentliche Abendessen und auch der gut dazu passende Rotwein war nicht geeignet, die Stimmung nachhaltig zu heben.
Die Kinder gingen sofort nach dem Essen zu Bett, während Ellen brüsk eine Einladung für ein Bad ablehnte.
„Wolf, ich habe schon gebadet“, erklärte sie und verschwand auch in ihr Bett, während Lenning den Fernseher einschaltete, seine Nachrichtensendung schaute und das mitgebrachte Gästebuch studierte.
Irgendwann ist er wohl darüber eingeschlafen, denn plötzlich stand Ellen vor ihm und schien gar nicht mehr allzu böse zu sein.
„Komm´ ins Bett, es ist schon so spät. Die Sendung regt Dich auf, Du regst Dich über das Buch auf. Denk´ an Dein Herz.“
Lenning überlegte kurz. „Mein Herz ist gesund“, fand er und ging mit Ellen ins Bett.
„Den Rotwein hast Du vergessen“, erinnerte sie ihn. „Ich trinke auch noch ein Glas.“
Ihr Gesicht war deutlich von Milde gezeichnet und der Ärger war schon soweit gewichen, dass wieder gewisse Hoffnung bestand. Lenning ging schnellen Schritts hinaus, doch die Flasche war leer. Er musste eine neue Flasche aus dem Auto holen. Dazu zog er sich den Parka über und rannte hinaus. Der Mond schien und Lenning glaubte einen Schatten vor dem Auto weghuschen gesehen zu haben. Unwillkürlich griff er zur Tasche. Dort befand sich seine Pistole, die er noch nicht aus der Manteltasche genommen hatte.
„Das war wohl doch eine optische Täuschung“, meinte er und nahm zwei Flaschen aus dem Kofferraum. Mit diesen kehrte er zurück zur Verandatür, die er offen gelassen hatte. Als er die Klappläden schließen wollte, war es ihm wieder, als ob da drüben jemand bei den Fahrzeugen vorbeigegangen wäre, aber Lenning hatte keine Lust mehr. Ihm war kalt und er wollte ins warme Bett. Als er mit der Flasche hereinkam, die er inzwischen geöffnet hatte, musste er feststellen, dass Ellen bereits fest eingeschlafen war.
„Schlafende..., darf man nicht wecken“, sagte er zu sich selbst, schenkte sich ein Glas ein und legte sich daneben. Bald jedoch war er so müde, dass ihm die Augen zufielen und er noch nicht einmal dazu kam, das Glas ganz auszutrinken.
Der nächste Morgen brachte Tauwetter und das bedeutete ein schlechtes Vorankommen bei größeren Touren, denn der Schnee war dort oft nicht weggetaut und oft nass und rutschig. Die Mädchen waren schon relativ früh auf und hatten den Frühstückstisch gedeckt, als die Eltern aufwachten. Ellen wollte sich gerade an Wolf etwas ankuscheln, als die Tür aufging und Carola verkündete, das Frühstück sei fertig. Daraufhin war nicht mehr daran zu denken, länger im Bett zu bleiben, und Ellen und Wolf kamen zum Frühstückstisch, der wirklich vollständig gedeckt war. Es gab alles, dass heißt Rührei, harte Eier, Brote mit allen Sorten Käse und Speck, Panetone – eine italienische Kuchenspezialität - sowie einen Marmorkuchen und frische Semmeln mit Butter und Marmelade.
Nach einem ausgiebigen Frühstück waren alle genügend gestärkt und böse wegen der Erlebnisse des letzten Tages war keiner mehr. Das Wetter war sehr sonnig und schön und so beschloss man, eine Ausflugsfahrt zu unternehmen. Zuerst besuchten die Wanderer die Burg im Tal und danach ging es zu einem Schaubergwerk im Ahrntal.
Die Stimmung war richtig, wie sie in den Ferien sein sollte, und Lenning hatte sowohl den Doppelmord, als auch Afghanistan praktisch vergessen und wollte zu alten Bergwerken, die er noch von früher kannte, eine Wanderung unternehmen.
Zunächst ging es mit einem Elektrobähnchen drei Kilometer in den Berg hinein, genauer gesagt in den Franz-Joseph-Stollen. Dort stieg man aus dem Bähnchen, um allerhand zu Fuß zurückzulegen und anschließend wieder mit dem gleichen Elektrobähnchen zum Tageslicht zurückzukehren. Den Kindern machte das einen Heidenspaß, insbesondere die lange Rutschbahn, die sie mehrfach mit Geschrei hinunterfuhren. Auch Lenning machte dies große Freude und auch er stieg noch einmal hinauf, um mit Ellen nochmals die Rutschbahn hinunterzufahren. Lenning dachte jedoch an Dax und dass dieser nicht zu lange allein im Auto zurückbleiben könne. Nach kurzer Zeit war die Führung zu Ende und es ging wieder hinaus ins Tageslicht. Draußen wurden, wie üblich, noch Bilder von den Reisenden gemacht, die diese jedoch nicht interessierten. Alle strebten schnell dem Fahrzeug zu und befreiten den armen Labrador daraus.
Relativ flott ging es trotz der Schneeschmelze bergauf. Man kam an einem Lawinenabweiser vorbei, der vor langer Zeit gebaut worden war, um die altertümlichen Bergwerke zu schützen. Dieser war wie eine gigantische vorsintflutliche Mauer von Zyklopen in einem fast rechten Winkel gebaut. Lenning erklärte den Kindern, dass diese Arbeiten hier ohne Bagger und ohne Kran verrichtet worden waren und die Kinder staunten ehrfurchtsvoll diese großen Steinblöcke an und überlegten, wie viele Männer nötig gewesen waren, um dieses für den Durchschnittsreisenden an sich sonst unsichtbare Bauwerk zu errichten. Bei einem Stollen machten die Wanderer Halt und mit einer kleinen Taschenlampe drangen sie ein Stück in den offenen Stollen ein. Das ganze war sehr abenteuerlich, insbesondere den Kindern bereitete die Exkursion großen Spaß, denn sie fanden pyritisierte Steine, die sehr wertvoll aussahen. Danach ging es ein Stück weiter und schon befand man sich wieder in hochalpinen Gelände. Birgit meinte, die Gegend sähe der gestrigen sehr ähnlich und doch sei alles anders.
In Prettau war an diesem Tag ein Volksfest. Von oben hörten die Wanderer die Blaskapellen und rätselten, um was für ein Fest es sich handeln könnte.
„Für den Almabtrieb scheint es bereits zu spät“, überlegte Lenning, doch die Kinder glaubten, geschmückte Rindviecher gesehen zu haben. Mit dem Fernglas konnte man nichts dergleichen sehen und so ging es von Stollen zu Stollen immer weiter hinauf, bis schließlich ein Wegweiser zur Rötalm zeigte. Die Kinder und Ellen wollten umdrehen, doch Lenning überlegte, was der Familie heute noch zugemutet werden konnte. Schließlich einigte man sich darauf, wenigstens bis zu dem höchsten Bergwerk, über dem ein Gipfelkreuz stand, zu steigen.
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