Tara – Abschied und Neubeginn
Zwei Tage später rief Nevio sie an und sagte, er würde sich so freuen auf sie, er könnte es einfach nicht erwarten. Er fragte Tara, ob sie sich mit dem Gedanken anfreunden könnte, in seiner Nähe zu wohnen. Er würde ihr helfen, ihre so wertvolle Aufgabe hier öffentlich zu machen und bis dahin wäre das Finanzielle kein Problem. Er hätte mehr als genug. Ihre gemeinsame Arbeit würde ihn sehr bereichern. Er würde ihr hier ein Trailor-Home kaufen, den sie sich ganz sicher bald auch selbst leisten könnte und sie könnten viel intensiver zusammen arbeiten. Sie könnte ganz sicher auch in seiner Schule ein neues Schulfach durchbringen, so wie sie es sich in ihrer Vision gewünscht hat.
Tara überlegte gar nicht lange und sagte zu. Sie brauchte noch einige Wochen, bis sie in der Schweiz alles aufgelöst hatte, kämpfte noch mit dem Amt für Altersvorsorge, in das sie nun so lange eingezahlt hatte, weil Gesetze hier wie „ein Gott“ waren und somit unantastbar schienen. Dieses Geld sollte zur Tilgung ihrer offenen Rechnungen in diesem Land freigegeben werden und nicht bis sie 64 war und Rente bekam auf Eis liegen. Dieses Renten-Thema war nicht ihre Wahrheit. Sie lebte im „Hier und Jetzt“. Für Tara gab es kein Alter. Sie lebte und würde auch mit 64 noch leben und etwas tun.
Immer, wenn Tara im System auf Un-Sinn stiess, gab es für die Beteiligten kein Entrinnen. Tara konfrontierte jeden damit. Sie wollte das Leben für die Menschen immer verbessern. „Sei Du selbst die Veränderung, die Du in der Welt sehen möchtest“. Dieser Spruch von Mahatma Gandhi war ihr Lebensmotto. So schrieb sie alle Gläubiger an und informierte über das Nötigste ihrer augenblicklichen Situation mit dem AHV Amt (in der Schweiz das Amt, welches für Renteneinzahlungen zuständig war) und legte einen Vertrag bei, der besagte, dass diese Gläubiger spätestens in 14 Jahren, wenn ihre Rente frei werden würde, ihr Geld aus ihrer Rentenkasse bekommen würden. Die AHV zahle dann direkt an diese Gläubiger aus. Bei Taras Gläubigern handelte es sich sowieso um Institutionen, die obligatorisch vom Gesetz her bedient werden mussten, wie beispielsweise die Krankenkasse, die sie sowieso nie gebraucht hatte. Ihre eigene Wahrheit basierte auf Eigenverantwortung. Krankheiten waren für sie ein Symbol, eine Botschaft des Körpers, welche Tara auf eine notwendige Richtungsänderung in ihrem Leben hinwies. Fall sich dieses Land mit ihrer Forderung querstellte, war es ihr wirklich gleichgültig. Dann sollten sie eben warten. Daraufhin beschwerten sich die Gläubiger beim AHV Amt und forderten die Auszahlung. Danach hatte Tara mal wieder ganze Arbeit geleistet und das System in dieser Hinsicht zum Nachdenken und Umdenken gebracht. Irgendwie hasste sie das Aufdecken von sinnlosen Regeln der Ämter und Institutionen. Diese selbst auferlegte Aufgabe im Leben wollte sie mit dieser Handlung endgültig loslassen. Es war nicht immer leicht gewesen, gegen den Strom zu schwimmen. Bedeutete Leben wirklich, gegen den Strom zu schwimmen um zu lernen? Oder war es möglich, mit dem Strom zu schwimmen und mit Freude und Leichtigkeit zu lernen? Diese Fragen sollten sich in der Zukunft für sie beantworten.
Sie wollte einfach alles sauber ausgeglichen hinterlassen und sie war plötzlich so erleichtert und froh, dass sie dieses Land verlassen konnte. Sie hegte keinen Groll gegen die Menschen. Sie hatte viel gelernt in dieser Zeit, war gereift und hatte Frieden gefunden. Sie legte ihr Pioniergelübde, das sie sich in ihrem Leben auferlegt hatte, hier ad acta. Auch löste sie sich von dem Gedanken, immer alles alleine schaffen zu müssen und keine Hilfe zu brauchen. Sie hatte Alles gegeben in ihrem Leben, vielen Menschen Beistand geleistet, ohne zu fragen, wieviel Geld sie dafür bekommt. Das war ihr nie wirklich wichtig gewesen. Sie war für das Wohl der Anderen oft über ihre körperlichen und seelischen Kräftegrenzen gegangen. Jetzt war sie bereit, es sich selbst gut gehen zu lassen, sich selbst ein Leben zu erschaffen, in dem ihre Wahrheit so gut es ging Realität wurde und sie ohne begrenzende, behindernde Regeln der Gesellschaft ihre Hilfestellung für die anderen leisten konnte. Vor Monaten hatte sie ihr Herz inständig gebeten, ihr zu zeigen, ob sie hier in diesem Land bleiben sollte oder ob es vielleicht doch der falsche Ort für ihre Art zu leben war. So hatte ihr das Universum etwas geschenkt, nämlich einen Mann, dem es wichtig war, sie zu sehen, der um die halbe Welt reiste, um sie zu besuchen, einfach so, obwohl er nicht wusste, was ihn erwarten würde. Jetzt schenkte das Universum einen Neustart, der mit Leichtigkeit zu bewältigen war und ein Land, das sie immer schon liebte. Dazu kam ein Mann, den sie sehr gerne hatte, ja fast etwas Angst hatte, sich einzugestehen, dass sie ihn liebte, wie noch nie jemanden zuvor.
Sie kehrte der Schweiz den Rücken und das erste Mal nach Jahren ihres Lebens quiekte ihr Herz ganz laut. Dieses Herz sprach ein deutliches „Jaaaaa“, ein „Jaaa“ aus tiefster Seele. Für sie begann ein neuer Lebensabschnitt und sie dankte dem Land, dieser Zeit, den Menschen, die sie durch diese Zeit begleiteten, aus tiefstem Herzen für all die Entwicklungsschritte, die ihr hier möglich waren. Sie verabschiedete sich auch ganz und gar von ihrem Vater und Bruder, die sie zwar immer wieder treu etwa 3 Mal pro Jahr anriefen und hier und da gab es mal eine kleine Begegnung. Sie liebte die Beiden auf ihre Art, jedoch hatten sich alle nicht mehr viel zu sagen. Sie alle hatten so sehr unterschiedliche Leben. So wählte Tara einen neuen Namen für dieses neue Land und als sie es betrat, empfangen wurde von diesem wunderbaren Mann, war alles Vergangene Geschichte. Sie musste vor Freude weinen. Es war Sonnenaufgang und sie dachte an Aurora und fühlte Frieden in sich selbst.
Tara – Vergangenheit und Erkenntnis
Der gravierende Unterschied zwischen Tara und Nevio war wohl der, dass Nevio sich in seinem Leben viel Wissen aneignete, viel Freude hatte und sich Rollen im Leben der Menschen ausdachte und auf der Leinwand umsetzte. Dabei war sein „inneres Kind“ natürlich immer dabei. Tara dagegen durchlebte zahlreiche Rollen im Leben und fühlte diese bis ins Mark ihres Seins. Manchmal verlor sie sich regelrecht in Rollen und auch in Beziehungen zu Männern. Sie erinnerte sich, dass sie von ihren Eltern völlig leistungsorientiert und ohne wirkliches Gefühlsleben erzogen wurde. Die Behandlung ihrer Eltern entsprach in keiner Weise ihrem sehr sensiblen Wesen. Aber sie wussten es damals nicht besser, waren ganz sicher ähnlich erzogen worden und hatten diese Aufgabe, Kinder gross zu ziehen, nach ihrem besten Wissen und Gewissen übernommen. Tara machte so gerne Wortspiele und der Ausdruck „er-ziehen“ oder „gross ziehen“ gab deutlich wieder, was sie in ihrer Kindheit erlebt hat. Gras wächst auch nicht schneller, wenn wir daran ziehen. Alle ihre Wünsche für ihr Leben, ihre wirklichen Potentiale wurden einfach vom Tisch gewischt. Es wurde an ihr gezerrt und gezogen, bis diese Flausen aus ihrem Kopf eliminiert waren und sie sich auf die Dinge konzentrierte, die ihre Eltern für lebenswert und wichtig hielten. Sie wollten aus ihrer Sicht wirklich das Beste für Tara. Auch die Nachbarn mussten zufriedengestellt werden und das hiess, dass die ganze Familie einen guten Eindruck machte, anerkannt wurde. Der Massstab war, ob sie von den Nachbarn gerne eingeladen wurden oder sie gerne auch zu ihnen nach Hause kamen. Still sein, brav sein, gute Noten nach Hause bringen, sich benehmen, etwas vernünftiges lernen, Vereinsarbeit, Sport, musizieren...
Geld war vorhanden, aber unterschwellig kursierte immer die Aussage, dass es nicht wirklich reicht. So wuchs Tara in einem Umfeld auf, dass ihr einen sehr ambivalenten Eindruck von Geld vermittelte. Ihr Vater, Akademiker, war sehr überfordert mit diesem Familienleben und neigte zu Jähzorn, was sie durch handfeste Prügel oft am eigenen Leib zu spüren bekam. Ihre Mutter, eine intelligente Frau, arbeitete in einer Führungsposition, bestellte den Haushalt, organisierte die zahlreichen Nannys und bereitete das Essen für die ganze Woche vor. Tara war also das sogenannte Schlüsselkind und ihre Mutter opferte sich für die Familie, für ihren Mann auf. Ihre Mutter war wie ein Fähnchen im Wind, immer freundlich. Nie nahm sie wirklich Stellung zu etwas und erledigte ihre Aufgaben, ohne ein offensichtliches Klagen. Nach aussen hin machte sie nie den Eindruck, als wäre sie überfordert. Sie hielt auch alles Unangenehme, soweit es ihr möglich war, von ihrem Mann fern. So lebte ihr Vater in der Annahme, er selbst hätte Alles in ihrem gemeinsamen Leben aus eigener Kraft erwirtschaftet. Als Taras Mutter krank war und die letzten Wochen im Bett verbrachte, erinnerte sich Tara, dass sie die Kontoauszüge immer abfangen sollte und sie ihrer Mutter gab, da ihr Vater diese nicht sehen sollte. Wenn finanzielle Engpässe drohten, teilte sie das ihrem Mann nicht mit, sondern bat ihren Vater, Taras Grossvater, um Hilfe. Grossväterchen half ihr immer mit einer grösseren Summe aus. Tara war sich auch nicht sicher, ob ihre Grosseltern in dem Moment wussten, dass ihr Vater es nicht wissen durfte. Taras Mutter vertrat weder ihre eigene Meinung, noch hatte sie ein eigenes Leben. Wobei Tara sich manchmal fragte, ob ihre Mutter sich doch einen eigenen Teil erlaubte und es heimlich auf ihren beruflichen Reisen auslebte? Diese Frage würde ewig unbeantwortet bleiben. Das Familienleben basierte auf einem schönen Schein. Äusserlich schien alles schön sauber. Alle spielten höflich und gut gelaunt. Innerlich unterdrückten Beide, sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater ihre Gefühle. Es war hinreichend erforscht und erwiesen, dass der Mensch mit Leugnen seiner Gefühle innerlich Dynamit in Form von unerlösten Emotionen lagert. So brauchte es nur einen kleinen Funken in Form von Überlastung, damit es explodierte. Ihr Vater liess es in Form von explosionsartiger Aggression und Gewalt an den Kindern aus und ihre Mutter liess es an ihrem Sohn, Taras Bruder, in Form von subtilen emotionalen Übergriffen aus.
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