Zips Eltern, zumindest ihr Vater, waren dagegen aus anderem Holze geschnitzt. Vater Luigi ( ein wunderschöner italienischer Hausspatz, ein passer italiae ) war schon früh aufgebrochen und stetig nach Norden gewandert, um den widerlichen Vogelfallen in der Toskana zu entgehen. Nach schwierigem Flug über die winterlichen Alpen kam er irgendwann in dem kleinen Ort Walchsee im schönen Österreich an. Dort verbrachte er den kurzen, aber kalten Restwinter und den wunderschönen, warmen Frühling. Der Frühling war eine paradiesische Jahreszeit, die Feriengäste saßen schon draußen vor gefüllten Tellern und es gab reichlich Speise und er mußte sich kaum irgendwelche ekligen, nassen, sich windenden Würmer aus der Erde buddeln. Na ja und was so ein richtiger Wanderspatz ist, so nahm er den nächsten Südwind und flog nach Norden, immer weiter in den Sommer hinein, bis er schließlich auf der Dachrinne des Schweinestalles eines kleinen Biobauern im Raum Syke seine große Liebe fand: die ein klein wenig betulich erscheinende, bodenständige Spätzin Lydia. Eine durch und durch gute Hausspätzin, resolut, kinderlieb und ein wenig füllig (aber das mochte unser italienischer Luigi ganz besonders) und sie hatte neben ihrer tiefen Herzensgüte auch immer ein Auge auf das Äußere. Nie gab es bei ihr eine abgeknickte Feder oder gar einen erdigen Schnabel. Sie verbrachten einen herrlichen, romantischen Frühsommer miteinander, flogen hin und her, klauten gemeinsam Kuchenkrümel von Fensterbrettern, verbrachten stille Stunden auf Dachrinnen und Dachfirsten und gestanden sich zwitschernd ihre ewige Liebe. Tja, und irgendwann kam Zip zur Welt, wie wir ja schon gehört haben.
Nun muß man ja wissen, daß es bei den Spatzen eine Besonderheit gibt: Sie halten sich nie lange mit ihrem Nachwuchs auf. Nicht das sie lieblos, oder gar Rabeneltern wären. ( Das können sowieso nur Raben selbst, die besten Rabeneltern, die man sich denken kann. Ich kannte da mal einen Raben namens Gottfried, aber das ist wiederum eine ganz andere Geschichte, genauso wie die Geschichte von der Eule Taranto oder der Schwalbe Erna: ...! ) Also von wegen bei Familie Spatz, Windeln wechseln und auf den Arm, äh, ich meine natürlich auf den Flügel nehmen. Nichts da, schon ganz früh müssen die Jungspatzen aus dem Nest heraus. Gewiß, eine gewisse Nestwärme wird ihnen schon zuteil. Aber so ein Nest ist ja auch oftmals recht eng und manchmal drängen sich bis zu sieben Spatzenjunge darin und die vielen Versorgungsflüge, die die Eltern machen müssen. Man kann ja schon fast von einer Luftbrücke reden. Wenn ein Sommer vielleicht besonders trocken ist, so wie gerade dieser Sommer ..., dann drängt man die Brut doch schon ein bißchen früher als allgemein üblich in Richtung Selbstversorgung. Und so lernten Zip und Zap schon bald die harte Seite des Broterwerbs kennen. Es war an einem heißen Hochsommertag, als sie sich kennenlernten. Die Sonne brannte vom Himmel, es wehte kein Lüftchen, keine Wolke am Himmel und beide waren auf einem Selbstversorgungsflug. Selbstversorgung: Seien es Mücken oder andere Flugkäfer, die es zu erhaschen galt oder sogar eine fette Libellenlarve aus dem großen Teich, der etwa zwei Flugminuten vom Nest Luigis entfernt war. Zufälligerweise auch nur zwei Flugminuten ( bei guten Wetter und wenig Gegenwind ) vom Geburtsnest Zaps entfernt. So mußten sie sich zwangsläufig treffen. Denn: In der trockenen Erde hatten sich die Würmer ganz tief eingegraben, dorthin, wo es kühl und feucht war und sie auf den nächsten Regen getrost warten konnten. Tags zuvor erst war Zap das erste Mal mit seiner Mutter in Richtung des Teiches geflogen, dort waren sie im Kies gelandet und hatten einige fette Schusterlarven aus dem darunter gelegenen Sand gezogen.
„Zap, hier mußt du ganz gut aufpassen“, sagte seine Mutter, „hier gibt es einen gefährlichen Kater in diesem Garten, der ist zwar taub, aber immer noch schnell und vor allem leise. Also sieh dich immer genau um und beim kleinsten Schatten mach sofort einen sozusagen fliegenden Start, volle Klappen setzen und mit Vollgas Höhe gewinnen.“ „Und paß auf die kleinen, giftigen Hunde auf!“ setzte ihre Mutter hinzu „Der eine ist nicht ganz so gefährlich, der bellt nur immer und stolpert manchmal, aber der schwarzbraune mit dem weißen Fleck auf der Brust, der ist sehr gefährlich!!“ Zap nickte ergeben, er kannte die ständigen Belehrungen seiner Mutter. „Ja Mama ich passe auf …, mach dir keine Sorgen.“
„Keine Sorgen, keine Sorgen keine Sorgen, keine Sorgen …“, zwitscherte Genofefa besorgt und verschluckte sich etwas an der Schusterlarve. „Die schmecken auch nicht mehr wie früher“, dachte sie.
Ja und es war eben dieser heiße, dieser sehr heiße Sommertag, an dem unsere Geschichte eigentlich erst richtig beginnt. Da trafen sich Zip und Zap an dem schönen, großen Teich in dem wunderschönen Garten oben auf der Geest. Kein Lüftchen wehte und Zap hatte einige Mühe, in der heißen Luft den nötigen Auftrieb zu bekommen. Zip ging es nicht anders, auch sie schlug mächtig mit den kleinen Flügeln und fuhr sogar die Vorflügelklappen um 10 oder 20 Grad aus, denn auch sie konnte nur knapp die Höhe halten.
Zip war schon einige Tage früher als Zap an diesem Teich gewesen. Ihr Vater Luigi hatte sie mit auf die kurze Reise genommen. Ihr einige Flugmanöver gezeigt, besonders auch das Halten der Höhe bei starker Sonneneinstrahlung, den Anflug über ein Gewässer, den Glaswassereffekt und so weiter:
„Zip, hör zu“, sagte Luigi zu seiner Tochter während des linken Queranfluges zum Teich. „Über dem Wasser, wenn es so spiegelglatt ist wie jetzt, sieht spatz einfach nicht, wie hoch man noch ist und schwupp landest du im Wasser!! Hast du das verstanden??“ „Na klar“, zwitscherte Zip, verlor dabei etwas an Höhe und landete klatschend im Teich.
„Siehst du, das war der Glaswassereffekt!!“
Zip kletterte über die Kieselsteine ans Ufer, schüttelte sich, und gemeinsam mit ihrem Vater kratzte sie ein paar Larven aus dem Sand, die sie lustlos und mit langen Zähnen verspeiste. Sie hüpfte ein paar Schritte weiter in Richtung Terrasse und fand den Rest eines belegten Brötchens, über das sie sich hermachte. Sie stopfte einige dicke, schwere Krümel in ihre Schultertasche … Ihr Vater hatte es sich auf einer Gartenleuchte bequem gemacht: „Zip, sei nicht so gierig“, zwitscherte er von oben herab, „du kommst nicht hoch mit dem Gewicht, ich sag’s dir!!“ Zip hörte kaum hin, dieses Brötchen war phantastisch, sogar Wurst war drauf, Butter und ein bißchen Käse. Sie hörte nicht auf, sich die Tasche vollzustopfen.
„Paß auf, Zip, komm hoch, schnell, die Köter kommen.“ Und das wütende Bellen schreckte jetzt auch Zip auf, die immer noch dabei war, mit beiden Flügeln Krümel, Wurst und Käse und sogar die schon geschmolzene Butter in ihren Rucksack zu stopfen. Sie schloß schnell den Klettverschluß und versuchte einen Schnellstart. Aber was war das? Sie lief und lief, immer schneller, das böse, angsteinflößende Gebell kam näher. Verzweifelt versuchte Zip, Auftrieb zu bekommen, der Schweiß lief ihr in die Augen, sie sah nichts mehr.
„Schmeiß den Sack weg, Zip, Ziiiiiiiippp, schmeiß weg“, schrie Luigi, „schmeiß weg!!“
Zips Vater sah die heranstürmenden Hunde, voran der schwarzrote, hochbeinige mit dem Cruffmund und hinterher, ebenso schnell und wild bellend, der rote mit dem weißen Bart. „Alles aus“, dachte Luigi, „alles aus, wie sag ich’s Lydia?“
Zip versuchte, nachdem sie gegen den Gartenlampenmast geknallt war, immer noch hochzukommen, sie hatte schon einige Zentimeter Luft unter sich, aber immer noch zuwenig, um der heranrasenden Minimeute zu entkommen. Zip sah schon das wütende Weiße in den Augen der schwarzbraunen Hündin und dachte: „Das war’s dann, tschüs Mama, tschüs Papa, tschüs mein schönes, warmes Nest.“
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