Schon am nächsten Tag stand ich im Reisebüro. Ein Schock: Der billigste Flug mit der Streikhansa nach Tokio kostete 1600 Takken. Teuro's, nicht Yen.
Ein Flug in die Nähe der Rennstrecke fast unmöglich, alles Ausgebucht. Klar! Nur Business-Class waren noch zwei Plätze frei. Ich buchte einen ohne zu wissen woher ich die horrende Summe nehmen sollte. Aber was blieb übrig?
Zuhause überlegte ich krampfhaft woher das Geld kommen kann.
Paar Flachbildschirme aus der Lagerhalle schleppen… einen Container an die Mafia verschachern… Nein, das kommt nicht gut! Das einzige was sich schnell zu Geld machen ließe ist ein Motorrad. Die 400-er? Niemals, die ist Heilig! Der Roller? Das reicht nicht mal für die S-Bahn zum Flugplatz.
Die 750-er? Fuck, die habe ich doch gerade erst 3000 km?
Der Händler nutzte meine Notlage schamlos aus. Das Ticket konnte bezahlt werden und ich hatte noch 1000€ für Reisekosten. Nicht viel in Japan. In der Spedition nehme ich unter deutlichem Protest meiner Chef's alle 6 Wochen Urlaub am Stück, ich weiß ja nicht wie lange ich Misaki würde stalken müssen.
Als Azubi noch vor einem halben Jahr hätten sie garnichts gesagt.
Mein Reisegepäck war dürftig, alles passte in einen großen Rucksack. Zahnbürste, paar Unterhosen und Socken. Ein Reisewörterbuch und ein furchtbar dringlich aussehender kleiner Karton mit den Sonda-Emblemen, innen drin nur ein Backstein. Ein dicker Umschlag.
Das wichtigste: Meine Arbeitskleidung! Wer sonst fährt mit seiner Arbeitskleidung in den Urlaub? Am Mittwoch kam ich in Kansai International Airport an, fand zufällig noch einen Platz in einer Jugendherberge in Kyoto, einiges von der Strecke entfernt. Etwas Essen, paar Bustickets, schon war das erste viertel der Reisekasse aufgezehrt. Für bisschen Reis und rohen Fisch.
Den ganzen Donnerstag nutzte ich zur Erkundung der Strecke, wo waren die Eingänge, wo wurde regelmäßig etwas angeliefert? Wo sind Zuschauer- was sind die Lieferanteneingänge? Die schweren Sattelschlepper der Teams standen in den Paddock's alle schon in einer Reihe am Zaun entlang, nur die 8 Sattelzüge des Horitake-Team's standen neben den Gebäuden, unerreichbar für Zurufe vom Zaun. Ein weiter Weg außen herum um den Zaun.
Und eine späte Rückkehr in die Herberge.
Am Freitag früh bestieg ich gleich den ersten Bus nach Suzuka, hoffnungslos überfüllt. Trug meine Arbeitskleidung, ein Hemd wo am Kragen ein Logo eingestickt ist und ein auffälliger Blouson, am Rücken mit dem weltweit bekannten Logo der Henker-Group. Ich ging an einen Lieferanteneingang, wartete seitlich bis noch ein anderer Lieferwagen vorfuhr, die mussten alle draußen halten. Ich tat dann so als wenn ich auch aus einem Van ausgestiegen wäre.
Ging hinter dem Kollegen von Wuups dreist zur Wache, zeigte meinen Firmenausweis (eigentlich meine Stempelkarte), hielt dem Security das Päckchen direkt unter die Nase und sagte: „Urgent Expressdelivery for Horitake!“ Und….
er trat zur Seite. Einfach so. Ich war hinter dem Zaun, konnte es nicht fassen. Ohne jegliche Diskussion.
Ich wurde Mutiger.
Fragte mich durch zur Box von Horitake. Das dauerte ziemlich lange, nicht jeder in Japan spricht Englisch. Dann stand ich in den heiligen Hallen. Der eine oder andere Mechaniker zögern etwas, sehen mich fragend an, erkennen mich dann doch.
Niemand rechnete dort mit mir. „Ach Hallo – der Fahrschüler aus Österreich! Misaki – also Haruto fährt gerade!“
Sie wissen natürlich Bescheid! Die Mannschaft arbeitet so eng zusammen, die merken den Bluff sofort. Wissen aber auch um die Bedeutung von der Verschwiegenheit für ihren Job. Seit Misaki wieder da ist fahren sie ganz Vorne.
Neue Motivation riss sie mit. Ich sehe den alten Horitake, Misaki's Vater. Er kramt sichtlich in seinen Erinnerungen, wirkte dann reichlich Überrascht.
„Was willst du hier?“
„Ich habe mit ihnen zu reden.“
„Es gibt nichts zum reden!“ Dreht sich einfach weg.
„Du borniertes Arschloch hörst mir jetzt mal zu, sonst regeln wir das unter Männern!“ Ich nahm ihn am Ärmel und drehte ihn zu mir.
Die Mechaniker sahen auf, sichtlich auf dem Sprung.
Er schüttelte sich von mir los. „Was bildest du dir eigentlich ein…….“
Ich fiel ihm ins Wort: „Du Kindermörder! Misaki ist Schwanger und du lässt sie diese Scheiße da draußen machen? Was ist wenn sie Stürzt? Hast du den letzten Rest an Menschlichkeit verkauft?“
Wieder dreht er sich einfach weg. Ich greife ihn, holte gerade mit der Faust aus als ich grob von Hinten gepackt und auf den Boden gerissen wurde. Mehrere der kleinen Ameisen warfen sich auf mich, mindestens an jedem Arm und Bein einer.
Das Gesicht in einer Lache von hellgrüner Kühlflüssigkeit.
Ich schrie ihm hinterher: „Hast du alter Mann Eier in der Hose? Musst dich hinter deinen Knechten verstecken? Wenn du nicht mit mit sprechen willst dann erzähle ich meine Geschichte eben dem Reporter da draussen. Siehst du ihn? Der mit der großen Kamera! Den dein Knecht gerade so eifrig Abschirmt.“
Er stockte, stand ganz kurz still. Drehte sich, sah mich an. Auf seine Handbewegung hin hoben sie mich vom Boden weg auf die Beine, die Arme auf den Rücken gedreht.
„Er hat das Herz eines Löwen aber das Maul eines Wasserbüffels.
Wenn er sich auch benehmen kann dann bekommt er 15 Minuten in meinem Mobilheim.“
Die Mechaniker sahen mich fragend an, ich nickte. Zögerlich ließen sie mich los. Der Alte ging, ich folgte, zwei Aufpasser hinter mir. Die warteten aber draußen vor dem Mobilheim.
„Was hast du da gesagt von wegen Schwanger? Sie ist einfach nur Fett, außer Form!“
„Nein alter Mann.
Du irrst! Misaki ist schwanger, sie trägt deinen eigenen Enkel im Leib! Wenn du mir nicht glaubst dann frage sie selber oder lass sie über einen Teststreifen pissen.“
„Von wem? Von ihrem unsäglichen Ehemann oder von dir? Ich weiß nicht was mich mehr anekeln würde?“ Trotzdem wurde er Nachdenklich. Nimmt sein Walkie-Talkie vom Gürtel und spricht hinein. Ich verstehe nur zwei Worte: Misaki und Motorhome. Dann reicht mir der Alte eine Küchenrolle um mein Gesicht zu Säubern.
Zehn Minuten später kommt Misaki ziemlich Mißmutig ins großzügige Wohnmobil, ihr Tonfall wirkt etwas ärgerlich.
Der Vater zeigt nur gelangweilt mit dem Daumen auf mich.
Misaki dreht sich, erstarrt, sieht mich an wie einen Geist. Fängt stark zum zittern an. Zwei Schritte Anlauf, springt mir um den Hals, reisst mich nieder. Ich liege also heute schon zum zweiten mal auf dem Boden.
Fast wie der alte Pabst an jedem Flugplatz. Diesmal wenigstens auf dem Rücken und nur eine Frau auf mir. Statt 5 Männern.
Misaki stiert mich an.
Fassungslos. Zittert vor Aufregung, hat eiskalte Hände. Ein Kahnbein mit dickem Pflaster. Streichelt mich endlos im Gesicht.
Miky, Miky, Miky. Du bist es, du bist es! Misaki schwankte zwischen Ohnmacht und Durchdrehen. Ich war peinlich berührt, konnte mich für den Moment nicht richtig freuen, zu groß die Unsicherheit und Angst.
Der Vater steht ziemlich nachdenklich da und beobachtet seine Tochter genau. Diese spontane heftige Reaktion hat er niemals erwartet.
Jetzt musste er sogar selber zugeben dass er seine Tochter immer völlig falsch Eingeschätzt hatte. Doch was nun?
„Miky…… Warum…..Was……Wieso……“ Mischte Deutsch und Englisch, brachte einfach keinen kompletten Satz zustande.
Ein weiterer Funkspruch. Der Vater rüttelte Misaki leicht an der Schulter, sagte was auf Japanisch zu ihr.
Sie ignorierte. Sagte wieder etwas, zog sie grob am Kragen vom Boden hoch, ich rappelte mich auch auf. Misaki sah mich an, besann sich.
„Miky, versprich mir nicht davon zu Laufen! Ich muss raus, nochmal eine Zeit fahren.
Читать дальше