Durch die Scheibe des Cafes kann ich einen Mann mit Handy am Ohr beobachten wie er über die Straße rennt ohne nach rechts oder links zu gucken. Er übersieht ein herankommendes Motor-grad, der Fahrer hupt und kann in letzter Sekunde ausweichen. Der Mann hebt verärgert den Arm und telefoniert weiter. Unglaublich, es hätte nicht viel gefehlt und er wäre überfahren worden. Anstatt sich zu bedanken, beschwert sich dieser Mann noch.
Eine junge Familie betritt das Cafe, die zwei Kinder suchen sich aufgeregt ihr Eis aus.
„Jeder darf sich eine Kugel aussuchen.“
Die Kinderaugen strahlen beim Anblick dieser großen Auswahl.
Wie unterschiedlich die Menschen sind.
Erst jetzt fällt mir auf, dass auch ich beobachtet werde. Eine ältere Dame am Nachbartisch sieht zu mir rüber.
„Ich komme jeden Freitag hierher und schaue den Leuten zu, wie sie gestresst durch die Straßen laufen oder sie sich einmal Zeit für ein Eis nehmen.“
Sie grinst mich an.
„Wartest du auf jemanden?“
„Ja, auf meine Eltern. Es dauert sicher noch eine Weile, bis sie mich hier abholen.“
„Möchtest du dich solange zu mir setzen?“
Ohne lange nachzudenken, setze ich mich an ihren Tisch. Die Frau hat eine tolle Ausstrahlung, ich fühle mich sofort wohl in ihrer Nähe. Es ist sehr vertraut, ein schönes Gefühl.
„Du bist nicht von hier oder?“
Ich schüttle den Kopf.
„Nein, wir sind hier nur zu Besuch.“
Die Frau guckt mich weiter fragend an.
„Wir waren im Krankenhaus. Meine Eltern müssen noch mit dem Arzt sprechen, ich bin schon vorgegangen.“
„Ja, dass kann ich verstehen. Ich mag auch keine Krankenhäuser. Möchtest du noch etwas trinken? Ich lade dich ein.“
Obwohl ich nicht über meinen eigentlichen Aufenthalt in der Stadt reden möchte, war ich jetzt auf viele Fragen vorbereitet. Doch die Frau grinst mich nur an und nickt mir zu. Als würde sie sagen, ich habe es verstanden, wir müssen nicht darüber reden.
„Ja, ein Wasser wäre super. Dankeschön.“
Die Frau grinst und bestellt bei der Kellnerin zwei Gläser.
„Schau dir den Mann an.“
Sie zeigt auf einen älteren Herrn.
„Jeden Freitag zur selben Zeit kauft der Mann einen Eisbecher.“
Mit dem Becher in der Hand verlässt der Herr das Cafe. Er überquert die Straße und geht auf eine Bank zu. Eine ältere Dame nimmt ihm den Eisbecher ab. Mit einem Kuss auf seine Wange bedankt sie sich bei ihm.
„Die Beiden sind seit 50 Jahren verheiratet. Heutzutage unvorstellbar, dass eine Liebe so lange für einen Menschen besteht und sie sogar noch von Tag zu Tag wächst.
Schau dir die Menschen an, wie sie über die Straße rennen, mit ihrem Handy telefonieren, keiner nimmt den Anderen wahr. Dabei kann nur ein kleiner Augenblick, ein nettes Wort das Leben so viel schöner machen. Jeder legt seine Prioritäten fest, Geld, Macht, Liebe. Aber wenn dir gesagt wird, du hast nicht mehr lange zu leben, ist das alles nebensächlich.
Wenn jemand Hilfe benötigt, bin ich zur Stelle. Aber man darf nicht vergessen, jeder lebt nur einmal. Nicht falsch verstehen, ich helfe sehr gerne. Doch, seine eigenen Pläne, darf man niemals aus den Augen verlieren. Irgendwann steht man vor der Himmelstür und wird gefragt, was man mit seinem Leben so angefangen hat, ob man seine Talente genutzt hat? Man aber nur antworten kann: Nee, kannst du wieder haben, hab ich nicht gebraucht, vielleicht kann jemand etwas besseres damit anfangen. Du hast viele zweite Chancen, doch der Tod ist endgültig! Ich habe eine Liste geschrieben, auf der ich festhalte, was ich auf jeden Fall noch alles machen möchte. Eigentlich verrückt, dass man dafür eine Liste braucht, aber einen Haken hinter eine erledigte Aufgabe zu machen, ist ein unglaubliches Gefühl. Es stehen noch viele Abenteuer auf meiner Liste, ich hoffe nur, die Uhr läuft nicht gegen mich!
Schau dir die Beiden auf ihrer Bank an, da siehst du was wirklich zählt! Zeit, um Augenblicke, wie diese zu erleben und immer wieder zu genießen!“
Ich beobachte das ältere Paar, sie teilen sich den Eisbecher. Es ist schön zu sehen, sie leben den Augenblick.
„Das sind besondere Menschen, ich habe die Beiden nach ihrer Lösung für lange Liebe gefragt. Sie haben gelacht und mir gesagt, leben und leben lassen. Jeder für sich und doch gemeinsam.“
Ich zucke zusammen, meine Mutter geht oder läuft wohl eher am Fenster des Cafes vorbei. Sie sieht wütend aus. Mein Vater eilt ihr nach. Als Carla die Tür erreicht, hat sie mich auch schon entdeckt. Sie stürzt auf den Tisch zu.
„Was denkst du dir dabei? Du kannst doch nicht einfach gehen!“
„Mama, es tut mir leid. Lass uns bitte in Ruhe reden.“
Doch meine Mutter ist nicht zu stoppen.
„Wir werden nicht reden, du kommst jetzt mit!“
Ben mischt sich ins Gespräch.
„Carla, es reicht jetzt! Lia komm, wir fahren nach Hause!“
Ich habe meinen Vater noch nie so erlebt. Meine Mutter wohl auch nicht, sie guckt ihn erschrocken an. Ich stehe auf und drehe mich zur Frau am Tisch um.
„Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.“
Sie nickt mir zu.
„Vergiss nie, es ist dein Leben, es sind deine Augenblicke, deine Momente.“
Carla hat das Cafe vor uns verlassen. Ben nimmt meine Hand, wir folgen ihr vor die Tür. Bis wir im Auto sitzen, sagt keiner ein Wort.
Meine Mutter fängt an zu weinen. Mein Vater legt seine Hand zur Beruhigung auf ihr Bein.
„Ich kann das nicht verstehen, wir können doch nicht einfach nach Hause fahren, ich werde nicht aufgeben.“
„Mama, ich liebe dich und bin dir unendlich dankbar für Alles! Aber bitte akzeptiere meine Entscheidung, keine Krankenhäuser mehr. Es ist mein Leben! Ich möchte die Momente genießen, egal wie lange sie sein werden!“
„Wir werden dich bei dieser Entscheidung unterstützen und jetzt fahren wir nach Hause!“ Ben unterstützt mich noch immer, Carla sagt kein Wort mehr, ich höre sie nur leise weinen. Ich weiß, für meine Mutter zerbricht die Hoffnung einer gesunden Tochter, aber sie muss meine Entscheidung akzeptieren!
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