Nachdem ich eine Weile dem Treiben zugesehen habe, steige ich an der 72. Straße wieder in die subway . Mein Ziel jetzt: Der Brooklyn Bridge Park, konkreter die Brooklyn Ice Cream Factory. An der High Street steige ich aus der U-Bahn und spaziere ein paar Meter durch das Viertel Brooklyn Heights, welches sich durch kleine Sträßchen und wunderschöne brownstone -Häuser auszeichnet. Ihren besonderen Charme entfalten diese Straßenzüge übrigens im Frühling, wenn überall pastellfarbene Blüten die Bäumchen in Straßen und Vorgärten schmücken. Daran schließt sich der Brooklyn Bridge Park an, von dem man einen tollen Blick auf die Skyline von Downtown Manhattan hat. Der Begriff park ist in New York übrigens sehr dehnbar. Ein park kann aus drei Bänken, zwei Bäumen und einem kleinen Brunnen bestehen, ein park kann eine Uferpromenade sein, ein park kann aber auch eine riesige grüne Oase sein wie der Central Park in Manhattan oder der Prospect Park in Brooklyn. Während ich mir meinen Weg zur Ice Cream Factory bahne (Hiiiilfe! Soll diese neue Holz-Schwebebrücke so schwanken?!), stoße ich auf Säulen, die etwas entfernt an Straßenlaternen erinnern. Darunter stehen Leute und schauen gelangweilt in der Gegend herum. „Was ‘n des?”, frage ich mich. Als ich näher komme, sehe ich es. Solarbetriebene kostenlose Auflade-Stationen für iPhone und Co! Da mein Handy-Akku auch bereits schwächelt, stöpsle ich mein Gerät gleich mal an und tue es den anderen nach: Schaue gelangweilt in der Gegend rum und immer wieder auf das Display. Dort wird zwar tatsächlich angezeigt, dass es lädt, aber auch nach einer gefühlten Ewigkeit zeigt es noch 24% Ladestatus an. Etwas enttäuscht, aber trotzdem begeistert von der Idee an sich, geht’s nun schnurstracks zur süßen Nascherei, einem scoop Schokoladeneis. Zum Glück wusste ich von früheren Besuchen in dieser Eisdiele, die aussieht wie eine kleine skandinavische Holzkirche, dass ein (!) scoop in Wahrheit ungefähr 2-3 Kugeln entspricht und man nicht den Fehler machen sollte, mal munter drei Sorten zu bestellen.
Mit dem Eis in der Hand setze ich mich auf den Vorplatz. Die Brooklyn Bridge zur Rechten, dahinter die Manhattan Bridge und das Empire State Building lässt sich ebenfalls erkennen. Zur Linken bzw. direkt gegenüber Pier 17 und der neue Freedom Tower. Doch so schön der Ausblick ist, noch Schöneres – im wahrsten Sinne des Wortes – gibt es direkt vor meinen Augen zu sehen. Ein Foto-Shooting. Ob es um die Kleider oder die Schuhe oder am Ende gar ganz um etwas anderes ging, weiß ich nicht. Habe mich nicht getraut zu fragen. Aber auch so ist es mehr als interessant der Dame und dem Herrn bei der Arbeit zuzusehen – und damit meine ich natürlich nicht nur die Momente, in denen der Schnuckel in aller Öffentlichkeit die Hemden wechselt und frau so freien Ausblick auf einen wohlgeformten Oberkörper hat.
Als die Sonne Anstalten macht, hinter der Südspitze Manhattans zu verschwinden, erhebe ich mich von meinem Ausguck, um Richtung Brooklyn Bridge und dann über selbige zurück auf die Insel zu marschieren. Atemberaubend schön ist der Blick auf Manhattan jedes Mal. Auch heute wieder, obwohl ich mittlerweile friere wie ein Schneider (nur im dünnen Sommerkleidchen ohne Weste aus dem Haus zu gehen, war nicht die beste Idee), meine Füße bei jedem Schritt wehklagen und man wegen der wie die Berserker fahrenden Radler jedes Mal um sein Leben fürchten muss.
Am anderen Ende der Brücke angekommen, tauche ich für heute zum letzten Mal in die Tiefen der subway hinab, heimwärts.
Servus, Grüezi und Ni Hao
Juhu, die erste Nacht mit halbwegs normalen Schlafenszeiten! Kann mich nicht erinnern, dass ich je so lange in New York gejetlagt war. Ist das das Alter? Ich wache am Samstagmorgen auf, entferne meine Koffer-Taschen-Konstruktion vom Fenstersims, ziehe das Rollo hoch und…bitte was ist das denn da am Himmel?! Wolken!!! – Was erlaube Petrus?! Mist, ausgerechnet heute beginnt das Wetter zu schwächeln. Heute, wo ich doch einen festen outdoor -Programmpunkt habe – und zwar, tadadadaaaa! – die Steubenparade!
Die Steubenparade ist, wie ich einigen Reiseführern und New-York-Veranstaltungsseiten vorher entnommen habe, die große alljährliche Parade der Deutschen bzw. Deutschstämmigen in New York. Mir schwant zwar Übles, aber wenn ich jetzt eh schon mal in New York bin, ein expat auf Zeit, dann kann ich mir das doch mal anschauen.
Mit der subway geht es hinauf in die Upper East Side, die Parade verläuft nämlich entlang der 5th Avenue ab der 68. Straße. Nach zwei Haltestellen steigt ein Mexikaner (samt Sombrero) mit Gitarre ein und beginnt mit seiner musikalischen Darbietung. Drei Saiten der Gitarre schnarren entsetzlich, leider entschädigt auch die Qualität des Gesangs nicht wirklich. Für einen Moment frage ich mich, ob ich meinen gestrigen Eintrag zu voreilig verfasst habe… Aber zum Glück verlässt der Barde die Bahn alsbald und ich kann mich wieder von meinem MP3-Player beschallen lassen und dazu neutral gucken. In der 77. Straße steige ich selber aus und gehe ein paar Blocks westwärts bis ich an die Paradestrecke komme. Alles ist mit Gittern abgesperrt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdecke ich aber ein paar Sitztribünen. Meine Füße und mein Rücken betteln mich an, da doch hinüber zu gehen, meine Intuition pflichtet ihnen bei und mahnt: „Es ist noch eine dreiviertel Stunde bis zum offiziellen Beginn, du hast keine Ahnung, wie lange das geht, du hasst langes Stehen, außerdem sind da drüben Bäume falls der Regen kommt.” Also rüber über die Straße, doch der Weg zu den Tribünen ist versperrt. „ Ticket holders only ”. Ich habe viel, aber kein Ticket. Ich frage den Herrn am Einlass, ob ich denn noch eines kaufen könnte. Ich meine das nämlich im Gespräch bei Leuten vor mir rausgehört zu haben. Er grinst mich an und sagt: „ Compleeeetely sold out! ”. Antworten möchte ich: „Willste mich jetzt vera****? Da ist doch noch alles frei!” Antworten tue ich mit liebem Lächeln: „ Oh come ooon, just one ticket for me .” Er grinst, holt umständlich eine Rolle mit Tickets aus seinem Rucksack. „15 Dollar!” – Na also, geht doch. Und der Spaß ist es mir wert. Scheine hingestreckt, drin bin ich und suche mir ein Plätzchen auf einer der Tribünen. Da sitze ich nun, zwischen Senioren im Janker und jungen Leuten im Deutschlandtrikot, Familien mit deutschem Au-Pair-Mädchen und Plüsch-Tigerente in der Tasche. Auch neben mir sitzt eine deutsche Familie. Ich bilde mir ein, sie zu kennen und zermartere mir bis jetzt den Kopf woher. Nun kommt eine Dame im Dirndl an und verteilt deutsche und amerikanische Fähnchen. Die Zeitung „Amerikanische Woche” liegt ebenfalls zur Mitnahme aus. Kann ich gut gebrauchen – als Sitzunterlage, denn die Alutribünen sind nämlich verdammt kalt. Eine reizende ältere Dame hinter mir liest lieber darin, d.h. blättert darin herum. Sie findet das Horoskop und ist untröstlich, dass sie es nicht lesen und verstehen kann. Also tue ich etwas Gutes für mein Karma und lese es ihr vor und übersetze es. Falls es unter den Lesern einen Skorpion gibt: Wer sich nach mehr Abwechslung im Alltag sehnt, möge sich überlegen, wie dieser Wunsch realisiert werden kann.
Nach und nach füllt es sich merklich und die Dirndl-Dichte nimmt zu. Nun muss ich sagen, dass ich bei diesem Thema recht zwiegespalten bin. Einerseits bin ich ein gebürtiges Münchner Kindl und liebe Dirndl über alles (meiner Meinung nach ein zauberhaftes Kleidungsstück, weil es prinzipiell jeder Frau jeden Alters prima steht, wenn es das passende Modell ist), andererseits geht es mir immer ungeheuer auf den Keks, wenn überall im Ausland Deutschland mit Dirndl, Lederhosen und Bier gleichgesetzt wird und noch schlimmer ist es, wenn Leute meinen, kaum hätten sie ein solches G‘wand an, wären sie die Deutschen.
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