»Haben Sie nichts zu tun !?« Dieser Spruch, mit zuckersüßer Stimme gestellt, war gefürchtet, denn meistens war er der Beginn größter Unannehmlichkeiten.
So kamen die Kneipenbesucher immer davon. In den Hintergrund abtauchen, wenn er ums Gebäude schlich, und wenn der Pieper loslegte, sichern, schwupps über die Straße zur Toreinfahrt oder zum Seiteneingang mit dem Fahrstuhl, der selten genutzt wurde und vorrangig den Diktatoren aus der zweiten Etage diente.
Bedauerlicherweise saß in unserer Kantine nicht nur der schöne Jürgen aus dem Vorzimmer und sein fast genau so lieblicher Exfreund, der im übrigen auch Jürgen hieß. Natürlich nicht, denn auch der weniger attraktive Kollege hatte hier sein Plätzchen. Mister Neumann entsprach sämtlichen Vorurteilen, die Heteromänner von Schwulen haben, gleich im Quadrat. Vom einfachen Dekorateur war er emporgestiegen in die lichten Höhen von Butterbecks Sekretariat, wie auch sein schöner Kollege.
Jürgen Menzel war gelebte Diskretion, sein Büropartner das genaue Gegenteil. Meist erschienen sie im Duett. Wie Max und Moritz auf der Berliner Durchreise (bekannte Modewoche). Der in sich gekehrte große Blonde und sein unentwegt plappernder Gegenpart, der ständig Belanglosigkeiten von sich gab. Ein sonniges Gemüt. Mit einer Selbstsicherheit, die fast schon beneidenswert war. Ich ärgerte mich manchmal, wenn ich eine unbeabsichtigte Blödheit begangen hatte und es erst hinterher merkte. Dieser hier kannte keinerlei Selbstzweifel. Er war authentisch bis zur Selbstaufgabe und merkte nicht einmal, wenn er ungeheuren Blödsinn verzapfte. Für ihn war das außerordentlich befreiend und seine Welt blieb zeitlebens zuverlässig flach.
Direkt hässlich konnte man ihn auch nicht nennen, so ein bisschen Typ Elton John, den ich auch nicht so unbedingt sexy finde. Sein Freund war ein heißblütiger Italiener, ein bisschen klein und pummelig, aber oho. Originell waren sie beide.
Ausgerechnet dieser Kollege schien ein Auge auf mich geworfen zu haben. Irgendwie hatte ich den Aufprall nicht gespürt, weil ich meinerseits nur Augen für die Herrlichkeit an seiner Seite besaß. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hatte er mich zu einem privaten Treffen unter Kollegen zu sich nach Hause gelockt. Da geht man doch auch gern mal eine private Verbindung ein, wenn ein solcher Kreis von berufsbezogenen Fachleuten zum Gedankenaustausch auch noch die Freizeit opfert.
Ja, und da sitzt dann kein großer Blonder oder sonst ein Kollege, außer dem festlich geschmücktem Gastgeber, und der erzählt dir, wie gut er erst einmal in seiner Jugendzeit, in Unna vor vier Jahren, ausgesehen hat. Und zum Beweis hat er dir einen in Kalbsleder gebundenen Folianten in XXL-Format auf den Schoß gedrückt, der um die Zeugungsfähigkeit fürchten lässt, und in welchem er eifrig blättert, von Geburt bis Mallorca-Urlaub in Monaco, während er immer näher rutscht, und die Tür geht auf, weil der heißblütige Italiener erschöpft von der Arbeit nach Hause kommt. Wo Italiener doch so eifersüchtig sind und kleine Pötte erst recht schnell überkochen. Der arme Carlo mag sich gewundert haben, dass meine Begrüßung so enthusiastisch ausfiel. Man weiß ja nie, ob die Vendetta in diesen Kreisen gänzlich ausgestorben ist.
Mir gegenüber legte er jedenfalls von Stund an ein gewisses Misstrauen an den Tag, während ich ihn nie darüber aufklären mochte, warum ich eigentlich gekommen war. Das erschien mir herzlos. Und so hörten wir noch gemeinsam ein abwechslungsreiches Stündchen deutsches Schlagergut. Ja, und dann hatte ich vorher noch blöderweise eine Geburtstagseinladung bei seinen Freunden angenommen. Wenn man noch fremd ist, eine gute Gelegenheit, den Bekanntenkreis zu erweitern, und Kollege Uwe hatte das Maul ziemlich weit aufgerissen.
»Du führst mich in die Geheimnisse der Grafik ein und ich dich in die Berliner Gesellschaft«, hatte er getönt und dabei eine Liste von Prominenten heruntergerasselt, die klang wie das Berliner Who is Who, die ebenfalls eingeladen worden waren. Er kannte diese tatsächlich, denn er führte die VIP-Kartei des Hauses und entschied, wer zu welchem Empfang eingeladen wurde und welcher Autor zur Signierstunde. Natürlich gab es gewisse Anweisungen vom Direktorium, aber die Einladungslisten liefen über seinen Schreibtisch, und die Verhandlungen mit den gehätschelten Promis führte fast ausschließlich er mit seiner leicht quäkenden Telefonstimme, die zu exorbitanten Schmeicheleien fähig war.
Ebenso stellte er die Programme für Veranstaltungen im Haus zusammen, und die Mannequins für Modenschauen wurden auf seine Empfehlung engagiert, vorausgesetzt Butterbeck war mit deren Aussehen einverstanden. Prominenz war Uwes ganze Welt und die Upperclass sein Leben. Darin harmonierte er auch vollkommen mit seinem Freund Carlo, der die Generalvertretung für ein bekanntes Kreditkarten-Unternehmen innehatte. Beide wohnten standesgemäß am Rüdesheimer Platz, und bei der Einrichtung war auch nicht gespart worden. Dort sah er aus wie auf den Fotos, die in Illustrierten von den Behausungen prominenter Mitbürger Zeugnis ablegten. Jaha. Und nun sollte ich ganz allein in diese illustre Gesellschaft eingeführt werden, denn Rudi hatte wenig Lust verspürt auf den ganzen Rummel.
Schon das Haus in der Kantstraße, in welchem die Prominenzfete stattfinden sollte, wirkte nicht eben vertrauenerweckend, aber derlei war in Berlin bedeutungslos. Hinter wackeligen Stiegen und Putzschäden im Treppenhaus verbargen sich oftmals ganze Schlösser, zumindest im Vorderflügel. Hinten allerdings hatte man schon vor dem Krieg gespart. Sogar unsere Wohnung in Neukölln hatte einst den beliebten Personaleingang besessen, jetzt war er zugemauert. Dieser Quatsch mit dem Status war längst abgeschafft worden. Unsereins konnte nur grinsen über Schilder wie Aufgang nur für Herrschaften oder die formidablen Klingelkästen in der Küche, die anzeigten, in welchem Raum Hilfe benötigt wurde. Wahrscheinlich damit sich das blöde Zimmermädel nicht in der weitläufigen Dreizimmerresidenz verirrte. Viele Mieter bevorzugten mittlerweile die relative Ruhe der Hinterhäuser, abgeschirmt vom Straßenlärm. Und dennoch! Irgendetwas war geblieben von der minderen Wertschätzung des Gartenhauses, wie es im eleganten Westen Berlins vornehm umschrieben wurde.
Der Innenhof, den ich durchquerte, zeigte noch Spuren des ehemaligen Großbürgertums, mit seiner runden Rabatte in der Mitte, die nur wenig verwildert war. Aber die Zweizimmerbutze, die ich betrat, war dann doch eher auf Personalniveau. Wohin man auch blickte, waren Bömmelchen und Fransen, kunstseidene Lampenschirmchen mit Glasperlenbehang in Puffrosarot. Rosa Wolken vor den Fenstern, rosa Stimmung unter den ausschließlich männlichen Gästen. Hier sollte ein Stelldichein der Prominenzen stattfinden? Hatte denen noch keiner gesagt, dass die Sechziger Jahre längst vorbei waren? Im Trend lag immer noch Art-Deko, die Retrowelle schwappte erst langsam zu den Fünfziger Jahren. Oder waren die so ultramodern, dass sie zehn Jahre einfach übersprangen, und ich erlebte zum ersten Mal, wie wir Geschichte wurden? Nein, wohl doch nicht, die Gäste waren originell. Die meisten von ihnen waren von der effeminierten Sorte, die angeblich viel mutiger ihre Sexualität zeigten, als wir gewöhnlichen Homomänner. Diese hier waren besonderes mutig.
Schon im Hof war das Gekreisch unüberhörbar gewesen. Ich glaub ja gerne, dass eine gewisse Courage dazu notwendig ist, sich dermaßen affektiert zu geben, aber warum es immer die hässlichsten Vögel der Community sein müssen, erklär mir mal einer. Weil bei denen sowieso schon keine Chance besteht, den Traummann zu finden? Und eh alles egal ist? Emanzipation ist ja gut und schön, aber muss man seine Sexualität gleich dermaßen plakativ dem abgeneigten Publikum vor die Füße knallen? Und dauernd?
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