Eisenhärchen mochte das gar nicht. Dabei war seine Frisur wirklich ungewöhnlich. Der Mann hatte einen Kopf wie grob geschnitzt. Typ Hohensteiner Kasper mit einer hohen Stirn, die fast im rechten Winkel zum platten Kopfdeckel stand. Seine spärlichen, gut gefetteten Haare trug er allesamt exakt von hinten nach vorn gekämmt, und genau auf der Stirnkante wie mit dem Lineal abgeschnitten. Furche um Furche in säuberlichen Reihen auf der hellen Kopfhaut, die aussah wie gestreift, und dann, zack, die englische Rasenbank über der Kartoffelnase.
Meist sah ich ihn im Profil und fühlte mich jedesmal an Frankensteins Monster erinnert. Zum Monster fehlten ihm jedoch die Körpergröße und die Verschraubungen an den Schläfen. Allerdings war er auch ohne Muttern verschroben. Schnükel, oder so, hieß er und kam aus dem Osten. Friegekauft oder zwangsüberwiesen blieb ungeklärt, denn eigentlich redete er nicht viel. Im Kaufhaus am Alex war sein vorheriger Wirkungskreis, und dort hatte er wohl allerlei Beschriftungen den Schaufenstern angetan. Je weniger Waren, desto mehr Parolen. Irgendwas wollten die Leute ja sehen. Scheiben-Schnükel hatten die dortigen Kollegen ihn gerufen, aber das hörte er auch nicht gern. Noch weniger aber seinen westlichen Spitznamen, den er regelrecht hasste.
War Butterbeck grinsend verschwunden, explodierte er jedesmal förmlich, wie Rumpelstilzchen, mit welchem er dann auch äußerlich eine fatale Ähnlichkeit aufwies. Dann brüllte er auf, wie ein verwundeter Löwe. »Arschloch verdammtes, elende Drecksau!« und noch einiges Schmeichelhaftes mehr, von welchem der Anstand mir gebietet, es nicht zu Papier zu lassen.
Solange sein Chef aber in natura zugegen war, zeigte er überströmendes Interesse und war mit allen seinen Vorschlägen mehr als einverstanden.
»Selbstverständlich, prima Idee, wird sofort erledigt, Herr Sturmbannführer. Jawoll.« Sogar am Telefon benahm er sich wie in einer preußischen Militärposse, sobald er die Stimme seines Herrn vernahm.
Er knickte bei jedem Jawohl förmlich zusammen, und krümmte sich dermaßen, dass er beim fünften oder sechsten Abnicken mit der Stirn auf das vor ihm liegende Reißbrett schlug. Kein Witz! Bisher dachte ich immer, Hubert von Meyerinck übertreibt hemmungslos in seinen Knallchargenrollen. Mitnichten! Die Wirklichkeit war noch viel gnadenloser und der Mann trug schwere Verletzungen davon. Auch wenn sie äußerlich nicht so direkt zu sehen waren.
War das Telefonat beendet, richtete sich der Kollege wieder auf zu der beeindruckenden Größe seiner 1,60 m und schmetterte den schuldlosen Hörer auf die erschrockene Gabel mit einer Wut, dass die Fensterscheiben vor Angst erzitterten.
»Mistkerl! Blödmann! Scheißauftrag!!!«
Es war eine Wucht. Besonders für den Telefonhörer, der schon zweimal ausgewechselt worden war und den Zuhörer, der ebenfalls immer öfter an Wechsel dachte. Auch Butterbeck tobte gern. Ein blitzeschleudernder Zeus, wenn etwas nicht nach seinem Willen lief. Und das war einiges. Der Mann litt außerdem an einer Entscheidungsneurose. Er ließ Muster für Fenstereinbauten und Sonderschauen anfertigen, gleich im Dutzend. Damit spielte er wie ein kleiner Junge mit der Eisenbahn. Wochenlang, bis es fast zu spät war. Diese Farbe, dieser Stoff vielleicht, jener Warenträger eventuell.
»Herr Spallek, baun se mir ma davon ein Produktfenster!«
Selbst fasste er schon lange nichts mehr an. Dafür gab es Leute. Aber die Kunst des Delegierens lag ihm auch nicht so recht. Nichts lief in seinem Sinne, da er sich nicht richtig mitzuteilen wusste. Es brauchte schon hellseherische Fähigkeiten, um den verborgenen Sinn der gemurmelten Absichten zu erahnen. Aber wehe, jemand schwamm nicht gleich auf der Welle, die Monsieur gerade trug, und hatte etwas missverstanden. Dann wurde sein Büro zur Löwengrube und der Boss brüllte, als wolle er sich gleich selbst fressen. Theater, Theater, der Vorhang geht auf. Kaum war er wieder geschlossen und der Abgekanzelte auf Knien hinausgerutscht, lächelte er spitzbübisch den erschütterten Zeugen an. Ja, unser Ton ist rauh, liebe Frau.
Die anderen gingen etwas pfleglicher miteinander um und murrten nur hinter dem Rücken. Bevor ich anfing, Alpträume von goldenen Zeiten zu erleiden, rettete mich eine dringende Aufgabe. Eine Sonderschau für Küchenzubehöhr, in Neudeutsch Kitchen-Workshop geheißen.
Butterbeck war ausschließlich für Design modernsten Zuschnitts. Davon war er regelrecht besessen. Nostalgie war etwas völlig Fremdes für diesen vorwärts strebenden Geist. Dass es vor der Bauhaus-Moderne schon andere Stilrichtungen gegeben hatte, interessierte ihn nicht die Bohne, ja, war geradezu ein Reizthema für ihn. (Vielleicht weil er auch über keinerlei Wissen diesbezüglich verfügte?)
Und nun hatte die Leitung des Hauses ihm wieder etwas aufs Auge gedrückt, was ihm gar nicht passte. Olle Küchenherde und uralte Kochmaschinen sollten aufgestellt werden, zwischen welchen die modernen Gerätschaften zum Verkauf auslagen. Also, das lag ihm nun gar nicht, und das war mein Glück.
Meine Vorschläge überzeugten ihn, bis hin zu den Zeitungsanzeigen, und plötzlich hatte ich alle Hände voll zu tun, denn auch die Direktionsetage hatte sich begeistert gezeigt von seiner Präsentation. Mir war es recht, dass er die Lorbeeren bei diesen Herren einkassierte, nach Karriere in diesem Haus stand mir nicht der Sinn. Mir war nach Privatleben, da gab es einiges nachzuholen ...
Die Küchenaktion wurde ein Erfolg, mit Anzeigen und Plakaten, die aussahen, wie von Oma im Kreuzstichmuster gestickt. Ganz allerliebst. Von da ging es aufwärts und ich wurde ein wichtiger Mann in der Abteilung, der zu allem seinen Senf dazu geben musste.
Ich brüllte zurück, wenn der Boss laut wurde, dass die Wände wackelten, nur mit dem Unterschied, dass der Ärger von mir nicht so spurlos abprallte, wie bei ihm.
Oftmals dachte ich, der Kerl habe das Gemüt eines Kettenhundes, doch gelegentlich überraschte er auch durch eine gewisse Sensibilität. Ich begann mich für die graue Eminenz im Hintergrund zu halten und zog daraus ein nicht geringes Vergnügen. Manchmal lief ich durch das Riesenhaus und sang: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Vergessen war, dass ich in Düsseldorf noch einen Blindenstock auf Rollen, mit Fahrradlampe und Klingel, zum Abschied von Hermann-Josef und Kurt erhalten hatte, bei dessen Auswahl ich sogar noch ahnungslos mithalf.
Düsseldorfs blindester Grafiker hatten sie mich gern gerufen, und in gewisser Weise hatten sie recht damit. Starke Vorstellungskraft und ein optisches Gedächtnis haben auch Nachteile. War ich auf einen roten Umschlag programmiert und der Vorgang mittlerweile in einem grünen abgelegt, sah ich ihn ums Verrecken nicht, auch wenn er direkt vor meiner Nase lag und in dicken Lettern auf sich hinwies. Das ist annähernd so geblieben. Zu Hause brauche ich gelegentlich ein Foto von unserer Wohnung, um die Ecken zu sehen, die noch nicht fertig sind, da ich im Geist immer die Lösung imaginiere. Solange, bis ich tatsächlich den Realzustand übersehe. Erst ein Foto vermittelt den nötigen Abstand, und manchmal erschrecke ich dann regelrecht. Blind.
Überdies wähnte ich mich immer öfter, in einer Behörde gelandet zu sein. Nicht nur wegen der ausufernden Bürokratie der Verwaltung, sondern auch wegen der Mentalität vieler Mitarbeiter. Es gab Laufzettel und Formulare für fast alles, Stechuhren und Stechschritt. Manchmal fand ich es regelrecht verwunderlich, dass in diesem Warenumschlags-Amt auch noch Geld erwirtschaftet wurde, so umständlich, wie alle Vorgänge geregelt waren. Man konnte das Gefühl kriegen, die Verwaltung sei zum Selbstzweck geworden, so emsig, wie sie Vorschriften und Formulare produzierte, die als Hemmschuh wirkten. Irgendwie kannte ich das bisher aus der freien Wirtschaft anders. Ich begriff es einfach nicht und bockte.
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