„Was sollte das werden, Mann?“ Das Brüllen des Polizisten war immer noch unangenehm, aber Lars merkte, dass die Spannung langsam von ihnen wich.
„Was habe ich denn getan?“ stammelt Lars verschüchtert.
„Sie haben den ganzen Flughafen aufgemischt. Sprengstoffalarm! Was haben Sie sich dabei gedacht?“ Lars wünscht sich, Jebsen stünde jetzt vor ihn, anstatt dieses Typen, der ihn mit seinen Fragen und seinem Ton förmlich durchbohrt. Er schwitzt jetzt noch mehr, als ihm der Beamte die Kleidung vor die Füße wirft.
„Ich bin doch nur auf dem Weg nach Bayern“, stammelt Lars mit einer weinerlichen Stimme, die ihn fast wie einen kleinen Jungen klingen lässt.
„Wie bitte?“ Der Beamte wirkt fassungslos. „Nach Bayern?“
„Ja, wissen Sie, ich bin Vertriebsleiter von Friesenpils und der Inhaber hat mich von Sylt nach Holzerding versetzt. Ich musste meine Familie auf Sylt zurücklassen, meine Koffer, die Sie gerade untersucht haben, packen und für zwei Jahre nach Bayern ziehen, um dort eine neue Firma zu leiten“. Lars fühlt sich erleichtert, wie nach einer Beichte. Natürlich war er noch nie bei einer Beichte, aber so muss es sich wohl anfühlen. Den Beamten stehen die Münder offen. Sie nehmen die Helme vom Kopf und ziehen die schusssicheren Westen aus. Kopfschüttelnd wendet sich der eine angewidert ab, der andere stützt sich niedergeschlagen auf den Tisch, der vor Lars steht, und wieder ein anderer lacht laut auf.
„Bay-ern! Bay-ern!“ Der Mann betont die zwei Silben auffällig, und es klingt fast, als wollte er ein Spottlied singen. Die Beamten schauen sich an und beginnen zu lachen. Lars kommt sich vor, wie im falschen Film und weiß nicht, ob er mitlachen soll, oder ob die Typen jetzt gleich durchdrehen und ihm an die Gurgel gehen. Der Anführer wischt sich die Tränen aus den Augen, beugt sich leicht zu Lars hinab, der unruhig auf dem glatten Stuhl herumrutscht und dabei so weit nach vorne gleitet, dass er beinahe den Halt verliert. „Mann, Sie können einem echt leidtun. Nach Bayern, das ist in der Tat eine Tragödie“. Er schüttelt voller Mitgefühl seinen Kopf und klopft Lars mit einer Hand fest auf seine Schulter. „Tragen Sie es mit Fassung, Sie schaffen das schon! Aber es tut mir wirklich sehr, sehr leid für Sie. Das muss ein harter Schicksalsschlag für Sie sein“. Im Hintergrund fallen sich zwei Beamte in die Arme und schluchzen. „Ach Herrje, der arme Mann. Wie kann Gott so etwas zulassen? Nach Bayern!“ Sie greifen sich an die Köpfe und lassen sich auf ihre Stühle sinken. Lars starrt einen nach dem anderen an. Seine Blicke springen förmlich, wartend auf das, was noch alles kommen mag. Er ist mittlerweile fast wieder angezogen und hat wohl vergessen, wie man Schnürsenkel bindet. Er versucht es zwei, dreimal, bevor seine zittrigen Finger es fertigbringen, diese verdammten Schuhe an seinen Füßen zu befestigen.
„Na ja“, sagt Lars mit wieder ruhiger Stimme und ohne dabei zu schwitzen: „Das mit Bayern wird ja heute wohl nichts mehr. Sie werden mich ja nun wohl ins Gefängnis stecken, oder?“ Es ist sein voller Ernst. Dieser Tag wird im Gefängnis enden, morgen würde er dem Richter vorgeführt, und übermorgen feuert ihn Jebsen. Antje wird sich von so einem Versager trennen, und Dörte wird sich Zeit ihres Lebens für ihren peinlichen Vater schämen müssen. Er stülpt seine Unterlippe gegen die Oberlippe, so dass der Mund sich vorwölbt zu einem wortlosen: „ Tja, das war’s dann wohl!“
Der Beamte dreht sich zu seinen Kollegen und schreit urplötzlich los. „Den Flieger schafft er noch!“ Die anderen schauen ihn an und verstehen wohl nicht gleich. Noch weniger versteht Lars, was jetzt gerade geschieht. Der vorgewölbte Mund entspannt sich schlagartig und sein Kinn sinkt so weit hinunter, dass der Mund weit offen steht. „Auf geht’s! Nehmt seine Koffer und ab nach München! Harry, lass schon mal den Wagen an!“ Die Beamten lachen herzhaft. „Was soll jetzt auf einmal diese ausgelassene Stimmung?“ geht es Lars durch den Kopf. Die müssen doch verrückt sein. Der Gruppenführer packt Lars am Arm und zerrt ihn vor die Tür. Nicht vor die Tür, durch die sie ihn hineingeführt haben, sondern durch eine andere, nach draußen auf die Straße, wo ein gepanzertes Fahrzeug wartet. Einer wuchtet tatsächlich Lars‘ bleischwere Koffer in den Wagen, als wären nur federleichte Kissen darin. „Los, kommen Sie! Sie kriegen Ihren Flieger. Zur Strafe für die Panik, die Sie hier ausgelöst haben, müssen Sie nun gefälligst pünktlich nach Bayern. Daheimbleiben gilt nicht!“ Der Mann lacht, und sein Gesichtsausdruck hat sich von dem eines Schleifers zu dem eines Freundes gewandelt. „Zur Strafe“ hat er gesagt, blitzt es in Lars auf. Ja, das ist eine Strafe! Schlimm genug, heute noch dort hingeschickt zu werden. Und nun auch noch auf so eine lächerliche Weise: eskortiert von bis an die Zähne bewaffneten Polizisten, und jeder auf dem Vorfeld schaut zu, wie dieser Spinner nach Bayern abgeschoben wird. Gibt es denn kein Asyl hier für ihn? Kann man nicht gegen seine Abschiebung klagen? Hat man denn als Friese in Hamburg überhaupt keine Rechte?
Der Fahrer dieses Panzers haut auf das Lenkrad und lacht. „Mann! Wenn ich das heute Abend zu Hause erzähle“. Der Eskortierte fragt sich, wie und wem er, Lars der Depp, das wohl heute Abend erzählen sollte. Der Wagen hält direkt neben dem Flieger. Die Gangway wurde bereits zurückgezogen, die Tür vorne steht aber noch offen. Eine Treppe wird auf Rollen herbeigeschafft, und ein Mann mir knallroter Weste verstaut unter lautem Stöhnen Lars‘ Koffer hinter einer Klappe unter den Fenstern. Lars stolpert die Treppe hinauf und schaut nach hinten. Die Beamten winken ihm zu und rufen hinterher: „Halt den Kopf hoch! Es geht ja vorbei. Und denk dran, Ouagadougou wäre noch schlimmer gewesen“. Sie lachen und Lars fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Mann! Was hat er da für einen Spott auf sich gezogen.
Und nun muss er auch noch mutterseelenallein durch den ganzen Flieger hasten. Von ganz vorne, vorbei an den schon sitzenden Passagieren, die ihn anstarren. Einige klatschen, andere jubeln „Bravo!“ Er sitzt in der letzten Reihe auf dem letzten freien Platz. „Was für ein Pech aber auch“ ist sein letzter Gedanke, bevor Lars über den Schoß seinen Sitznachbarn auf seinen Platz in der Mitte zwischen zwei dicken Männern plumpst. „All doors in park“, klingt eine irgendwie schwul klingende Stimme aus dem Bordlautsprecher, während die Turbinen anlaufen.
Eingeklemmt zwischen diesen zwei schwitzenden Dicken, beginnt Lars‘ Körpertemperatur wieder zu steigen. Vor ein paar Stunden noch frische Nordseeluft, nun diese Mischung aus Kerosin und Schweiß. Er lässt den Kopf nach hinten fallen und fühlt eine unendlich tiefe Ohnmacht, die ihn ergreift. Kommt jetzt der Tod, um ihn endlich zu erlösen?
„Sehr verehrte Gäste. Wir haben jetzt unsere Reiseflughöhe erreicht und beginnen in wenigen Minuten mit dem Bordservice. Wir hoffen, dass Sie sich wohl fühlen bei uns an Bord und wünschen Ihnen noch einen guten Flug nach München“. Da war wieder diese Stimme, hach!
Lars wird von der Durchsage geweckt und kommt langsam wieder zu sich. Er nuschelt halblaut „Sind wir schon da? Ich dachte, ich hätte das alles nur geträumt.“
„Wos is?“ bellt es vom Fensterplatz herüber.
„Was ist?“ Lars muss sich konzentrieren, um deutlich zu sprechen.
„Wos is, hob i frogt”. ,Es‘ spricht zwar, das Wesen neben Lars, aber was sagt es?
„Was ist denn?“ gibt Lars zurück.
„Mei 1, des frog i di, wos is. Wos wuist dann?“ ,Es‘ spricht weiter.
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