1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 „Hoit’s Mei, Depp dammischer! 4“
Walter fährt ungerührt fort und bedeutet Lars „ach, loss do den oiden Bazi!“ 5
‚Es‘ dreht sich nun zu Lars und Walter herum, steckt die Hände in die unsichtbaren Hüften, so dass Lars noch mehr eingequetscht wird, atmet bedrohlich tief ein und öffnet langsam den Mund. „Wer is do a Bazi, bittschee, hä?“ Lars überlegt, lieber schnell unter den beiden hindurch zu verschwinden, denn es liegt plötzlich etwas in der Luft.
„Ah gäh, schleich di!“ 6raunt Walter und winkt abfällig zu dem Wesen auf der anderen Seite.
,Es‘ wendet sich wieder dem Fenster zu und murmelt „ ja leck mi doch am Oarsch, Lackl, bläda!“.
„Also Lars“ fährt Walter fort „mir warn bei Host mi“.
„Äh ja, genau, Hostmi!“.
„Host mi, bedeutet Hast-Du-mich?“ Walter weiß, was jetzt kommen muss.
„Nein, ich hasse dich nicht. Warum sollte ich?“ Lars versteht nur noch Bahnhof. Was sollte diese Frage?
Walter lacht und klopft sich wieder auf die Schenkel. „Mei, was für a Gaudi“. Er wischt sich die Tränen aus den Augen und amüsiert sich offensichtlich besser als Lars. Walter setzt fort. „Na! Host mi? - also, Hast-Du-mich? - is die Kurzform von Hast-Du-mich-verstanden?“
Lars muss nun selbst lachen, laut genug, um das Wesen links wieder zu wecken. Aber ,Es‘ sagt diesmal nichts. Er wiederholt: „Host mi, Hast-du-mich-verstanden? Host mi?“ Und nach einer kurzen Denkpause: „Ja, jetzt hob i di!“ Lars war so stolz auf sich. Sein erster Ausspruch auf Bairisch. Beide lachen und versuchen, sich zu umarmen. Das wirkt aber etwas unbeholfen, da die Sitze nicht viel Platz dafür lassen.
„Meine Herren, was möschten Sie trinken?“ Da war wieder diese Stimme, nur diesmal kam sie von ganz nah. Lars schaut erschreckt nach oben und denkt leise für sich: „Klar doch, wusste ich es doch. Warum sehen eigentlich alle männlichen Flugbegleiter so aus?“
„Ähäm, ich möchte bitte ein Friesenpils“ antwortet er gefasst.
„Das hapen wir leiter nischt. Aber isch hätte ein frisches Ratzinger für Sie.“ Der Typ blickt fragend hinunter und wartet auf Lars‘ Antwort.
„Nein danke. Alles nur kein Ratzinger. Dann also einen, äh, Tomatensaft.“
„Mit Salz und Pfeffer nähme isch an? Da bitte schöön!“
Beim Herüberreichen des Bechers legt Lars Wert darauf, dass seine Hand keinen Kontakt zur Hand des Flugbegleiters bekommt. Irgendwie steht Lars auf etwas anderes. Er denkt plötzlich an Antje.
Die hat schon das Abendessen für Dörte gemacht und sich mit ihr ans Fenster gesetzt. Draußen ist es am Dämmern, und abends scheint die Sonne direkt in den Essbereich des großen Wohnzimmers. Antje legte stets Wert darauf, dass beim Essen der Fernseher ausblieb, damit er nicht ablenkt. Dörte würde sonst glatt das Abbeißen und Kauen vergessen und schließlich keinen Bissen herunterbringen. So bekommt Antje auch nichts von den Neunzehn-Uhr-Nachrichten mit. Man berichtet von einem Zwischenfall auf dem Hamburger Flughafen, einem falschen Terroralarm, und zeigt ein Amateurvideo, aufgenommen mit einer Handykamera. Lars wäre leicht zu erkennen gewesen, wie er dasteht, die Arme in die Höhe gestreckt, umzingelt von bis an die Zähne bewaffneten Grenzschützern.
Aber Antje ist mit ihren Gedanken schon längst draußen in den Dünen. Dort auf dem kleinen Parkplatz, auf dem man gut und unauffällig ein Wohnmobil abstellen konnte. Das Würstchen auf ihrem Teller vergleicht sie in Gedanken mit dem ‚Blanken Hans‘ und ist froh, dass Hans diesbezüglich viel besser ausgestattet ist. Sie schiebt sich das Würstchen langsam und lustvoll in den Mund, zieht es mehrmals langsam wieder heraus und verspeist es schließlich mit sichtlichem Vergnügen. Sie schaut Dörte an und beide lächeln sich zufrieden an, bis Dörte fragt “Wo ist Papa jetzt?“
„Tja, der ist noch in der Luft. Aber bald landet er in München, und morgen ruft er dich bestimmt an. Aber für heute ist es zu spät. Ab ins Bett! Schlaf gut!“ Antje gibt Dörte einen Kuss auf die Nase und einen Klaps auf den Po. „Zähne putzen nicht vergessen!“ ruft sie der Kleinen hinterher, die etwas traurig zum Bad hinüber geht und in die Luft haucht „Papa! Schlaf Du auch gut!“
„Verehrte Gäste, bitte klappen Sie jetzt Ihre Sitzlehnen und die Tische vor sich hoch, schalten Sie elektronische Geräte vollständig aus, und legen Sie die Sitzgurte wieder an. Wir landen in wenigen Minuten in München Franz-Josef-Strauß.“ Lars wird von der Stimme aus seinen Gedanken an Antje und Dörte gerissen. Er tut wie gefordert und schaut rüber zu Walter. „Tja, mir san bald da“ sagt er etwas wehmütig und versucht dabei wenigstens etwas bairisch zu klingen.
Und Walter nickt anerkennend zurück. „Ja, und dahoam is eben doch am scheenstn” freut der sich.
Beim Aussteigen lassen sich Walter und Lars reichlich Zeit und bleiben ruhig sitzen, als die ersten schon vor dem Erreichen der ‚endgültigen Parkposition‘ trotz Mahnung der Stimme aus dem Lautsprecher aufspringen, als wären sie nun schneller ‚dahoam‘. Das geht dem Wesen am Fenster aber alles prompt zu langsam. „Hätt mer‘s dann vielleicht amoi? Wos hockts da noch auf eire Ärsch? Auf geht’s, pack mer‘s!“.
Lars ist fasziniert von dem Wesen. Ein Bayer wie Walter, und wenn ‚Es‘ ihn jetzt fragen würde „Host mi?“ würde Lars einfach antworten: „Nein, kein Wort! Was wollen Sie bitte? Können Sie auch Deutsch?“ Aber Lars lässt ihn murmeln und überlässt Walter eine Antwort. Der braucht dafür auch nicht lange.
„Oida Grantla 7, oida.“
Walter hat nur Handgepäck dabei und verschwindet kurz nachdem die Türen sich öffnen. Aber nicht ohne Lars noch einmal herzlich zu umarmen. „Ois guade, Lars! Machs guad und pfiät Di Gott!“ 8
Lars hätte gerne nachgefragt, was Walter damit sagen wollte, aber irgendwie versteht er es auch so. Er ruft Walter noch hinterher: „Danke! Danke für alles. Auf Wiedersehen!“
Da ist sie wieder, diese Einsamkeit, die Lars am Hamburger Flughafen verspürte, nachdem Antje ihn dort einfach zurückließ. Aber diesmal war er zumindest eine Station weiter. Er hatte schon zwei Bayern kennengelernt. Einer, der genauso war, wie er sich Bayern vorgestellt hatte. Nur den Namen des Wesens hat er nicht erfahren. Und da war Walter, ein unerwartet netter Typ. Na vielleicht gibt es ja noch mehr davon. Lars atmet tief durch und geht zu den Gepäckbändern. Nach einer Weile der Warterei in dem hektischen Gedränge kommen seine Koffer auf dem Band vorbei. Er kann sie kaum herunter wuchten, ohne sich die Bandscheiben zu stauchen. Punkt zwanzig Uhr lässt Lars den Zollbereich hinter sich und betritt nun offiziell zum ersten Mal in seinem Leben bayerischen Boden.
(Auf nach Holzerding!)
Herr Lars Fischer, Fa. Gschwandtner. So steht es auf einem Schild, das ein baumgroßer Kerl in Tracht hoch über seinen Kopf hält. Lars bekommt einen Schreck. Er wusste, dass ein gewisser Herr Meier ihn abholen wollte, hatte aber keinen Bodyguard erwartet. Der Typ ist einen halben Kopf größer als er selbst und misst wohl leicht zwei Meter in der Höhe und wohl genau so viel in der Breite. Sein Hut beeindruckt Lars, denn ein riesengroßer Rasierpinsel schmückt ihn. Wozu er den wohl braucht? Denn der Vollbart lässt vermuten, dass er sich seit Jahren nicht rasiert hat. Und wie hält überhaupt der Schnurrbart seine ausladende Position?
Der Kerl steht breitbeinig da und schaut grimmig auf die ankommenden Fluggäste. Seine Beine sind zu drei Vierteln, bis unter die Knie, mit Lederhosen bedeckt, und sein Waden sind im Durchmesser keinen Millimeter dünner als Lars‘ Oberschenkel. Mein Gott, was für ein brutaler Typ. Gut dass er mich nicht kennt, denkt sich Lars, so kann ich vielleicht an ihm vorbei und mit dem Taxi nach Holzer-Ding – Pardon: Holz-Erding! – fahren. Morgen sage ich, dass ich ihn im Eifer des Gefechtes übersehen habe. Lars ist so fasziniert von dieser Naturgewalt, dass er ihn einen Moment zu lange fixiert und dessen Blick einfängt. Der Troll lächelt prompt zurück, nimmt das Schild herunter und läuft wie in Siebenmeilenstiefeln mit gewaltigen Schritten auf Lars zu. Der glaubt, die erdbebenartigen Bodenschwingungen mit seinem ganzen Körper wahrnehmen zu können. Der Riese streckt seine rechte Pranke schon von weitem aus. Zu spät, jetzt gibt es kein Entkommen mehr, geht es Lars durch den Kopf.
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