„Also, Lars, hier ist mein Plan. Hören Sie gut zu, denn Sie sind mein Joker für die Umsetzung.“ Das traf Lars wie ein Schlag mit dem Hammer. Er hatte einen Kloß im Hals und schluckte demonstrativ. Jebsen schaute ihn an und durchbohrte ihn dabei förmlich, als wollte er ihn aufspießen und grillen.
„Ratzinger hat einen Feind direkt vor seiner Nase. Gschwandtner ist Getränkefachgroßhändler und verlegt in der Gegend sämtliche Getränke, quasi wie ein Monopolist. Natürlich auch Ratzinger Bräu! Es ist eine Hassliebe zwischen den Beiden, seit ihren gemeinsamen Kindertagen. Der eine braut das Bier, und der andere beliefert die Gastronomie. Der eine kann nicht ohne den anderen, obwohl sie sich gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot gönnen. Gschwandtner fühlt sich gedemütigt, weil Ratzinger die Marke hat und hoch angesehen ist, während er nur den Bierkutscher spielen darf. Und Ratzinger nervt es, die Wirte nicht direkt beliefern zu können, weil die alles aus einer Hand wollen und Gschwandtner es nicht zulässt, dass die Hälfte seines Umsatzes an ihm vorbeigeht“. Jebsen macht nach seinem Redeschwall eine längere Atempause, als wollte er von Lars die Fortsetzung dieses Romans hören. Der stammelt irgendetwas heraus:
„Und dieser Gschwandtner ist der Schlüssel, um Ratzinger weh zu tun?“ Lars rutscht auf seinem Ledersessel hin und her, die Arme auf den etwas zu hohen Seitenlehnen in leicht verkrampfter Haltung ablegend. Jebsen lehnt sich sichtlich zufrieden zurück und grinst breit.
„Gut erkannt, Lars!“ Wieder eine lange Pause, doch diesmal blieb Lars gelassener. Jebsen würde das Geheimnis schon gleich lüften.
„Gschwandtner ist, wie Ratzinger auch, um die Siebzig und hat keinen Nachfolger. Genau wie Ratzinger!“ Jebsen grinst und legt die Miene eines durchtriebenen Schlitzohres auf. „Er will aufhören. Das Geschäft lohnt nicht mehr. Bei einem Verkauf könnte er vielleicht genug herausholen, um an seinem Lebensabend gut versorgt zu sein. Einen Interessenten gibt es auch, aber der weiß noch nichts von Gschwandtners Absicht“. Das Grinsen von Jebsen verzerrt nun fast sein von der immer wehenden Seeluft leicht zerfurchtes Gesicht.
„Ratzinger! Ratzinger würde bestimmt kaufen. Damit hätte er alles in seiner Hand“. Lars‘ Antlitz leuchtet, als hätte er ein Rätsel der Menschheit gelöst.
„Und nun, Lars, raten Sie mal, an wen Gschwandtner garantiert nicht verkauft! Lieber hängt er tot über dem Zaun, als dass er erleben möchte, wie Ratzinger über ihn triumphiert. Nur zu dumm, dass es keinen anderen Interessenten gibt, der Gschwandtner genug bezahlt, um sich zur Ruhe setzen zu können. Und mit Ratzinger legt sich freiwillig ohnehin keiner an“. Jebsen zieht die Schulter hoch, als wäre das die unausweichliche und von Gott gewollte Situation.
„Sie? Doch nicht Sie, oder? Jebsen, Sie wollen Gschwandtner kaufen?“ Lars wusste nicht, ob er geschockt oder begeistert sein sollte. Er fuhr sich nervös durchs Haar und schrie so laut, dass Jessi ihn draußen hören konnte. Sie schaute auf die Uhr auf ihrem Schreibtisch und freute sich eigentlich auf die Mittagspause. Es war nicht unbedingt Hunger, der sie ungeduldig auf die Unterbrechung ihres Arbeitstages warten ließ. Jedenfalls kein Hunger, wie er aus einem leeren Magen kommen würde, sondern eher eine Begierde, die von ihrem nimmer satten, primären weiblichen Geschlechtsorgan gesteuert zu werden schien. Damit konnte sie Männer regelrecht auffressen, und Lars war ein besonderer Leckerbissen.
„Ja, mein Lieber!“ So hatte Jebsen Lars noch nie genannt. „Mein Lieber!“ So nannte er überhaupt niemanden. Lars ließ sich in seinen Sessel zurückfallen, aus dem er fast heraus gesprungen war, und sortierte seine Haare, die ihm nun etwas unsortiert ins Gesicht hingen. Ein Bild, dass Jessi stets verrückt machte, wenn sie zu zweit waren. Doch an sie konnte Lars in diesem Moment nicht denken. Er war voll bei der Sache, und bei Jebsens Geschichte.
„Hören Sie, Lars!“ Aha, Jebsen war wieder gefasst und fuhr in gewohnter Weise fort, um Lars von seinem Plan zu unterrichten. „Ich habe Gschwandtner gekauft. In vierzehn Tagen übergibt er mir den Schlüssel. Das heißt …“. Er hielt inne.
„Das heißt?“ Lars wiederholt und hätte dabei vor Spannung zerbersten können.
„Er wird Ihnen den Schlüssel übergeben“. Lars saß da wie ein Fleisch gewordenes Fragezeichen. Beide schwiegen sich einige Sekunden an. Sekunden, die sich für Lars wie endlos lange Minuten anfühlten. Jebsen atmete ruhig und tief ein, bevor er fortfuhr. Wieder verschwand die Sonne, die das sich erwärmende Leder des Sessels immer auffällig anders riechen ließ. Warum das Lars gerade jetzt auffiel? Er wusste nicht, wohin mit seinen Gedanken. Zwischendurch ertappte er sich sogar dabei, wie er sich Jessi nackt im Vorzimmer vorstellte.
„Hören Sie, Lars! Organisieren Sie mit Gschwandtners Hilfe in den nächsten zwei Jahren die Belieferung der Wirte so, dass sie ihren Gästen neben Ratzinger Bräu auch Friesenpils anbieten. Machen Sie das so, wie Sie es hier machen! Oder machen Sie es so, wie Sie wollen! Aber machen Sie es, verdammt noch mal!“ Jebsen haut auf den Tisch. „Dann geht Ratzinger in die Knie. Es heißt, es ginge ihm finanziell nicht so gut. Jedenfalls nicht so gut wie uns“. Wieder eine lange Pause und ein breites Grinsen. Jebsen war heute ganz anders als in all den Jahren, die Lars nun schon für ihn arbeitete.
„Sie wollen an Ratzinger heran, nicht wahr? Es geht Ihnen nicht um Gschwandtner, sondern Sie wollen Ratzinger schlucken“. Jetzt hatte Lars tatsächlich zum ersten Mal so etwas wie Durchblick. Erst auf den zweiten Blick durchfährt es ihn. „Und ich soll das tun?“ Jebsens Schweigen ist Antwort genug.
„In vierzehn Tagen geht’s los, Lars. Ihr Ticket liegt bereits hier auf dem Tisch.“ Er schiebt den Umschlag, der rechts vor ihm lag, zu Lars hinüber. Der öffnet wortlos, faltet den Beleg auseinander: „30. April, Flug von HAM nach MUC“. Lars schaut auf zu Jebsen. „Aber …“
„Kein Aber, Lars! Ich biete Ihnen an, in zwei Jahren die Geschäftsleitung von Friesenpils zu übernehmen. Ihr Gehalt verdopple ich ab sofort“. Jebsen schiebt einen zweiten Briefumschlag zu Lars herüber. Er lag die ganz Zeit akkurat spiegelbildlich zu dem Umschlag mit dem Ticket auf der linken Seite. Diesen öffnete er andächtiger als den ersten. Wow! Zweihunderttausend Euro pro Jahr. Plus Erfolgsprämie von nochmal hunderttausend Euro nach zwei Jahren. Zum ersten Mal in Lars‘ Leben bekommt er feuchte Hände. Nein, tropfnasse Finger, wie sonst nur in der Mittagpause mit Jessi.
Lars blickte auf zu Jebsen und antwortete mit fester Stimme. „Danke, Herr Jebsen, aber ich lehne ab“. Jebsen war geschockt und reagierte unbeherrscht. „Dann ist es auch aus mit Ihrem Job bei Friesenpils. Was wollen Sie? Was haben Sie denn für ein Problem mit dieser Riesenchance?“ Ja, was war eigentlich Lars‘ Problem? Gedanken und Bilder zuckten durch seinen Kopf.
„Nun, da ist meine Familie, die nicht von Sylt weg will!“
„Dann lassen Sie sie dort, verdammt noch mal! Sie kommen jeden Monat einmal heim, und Ihre Familie wird von dem Geld mehr als gut leben. Ihre Frau wollte doch schon immer einen Porsche. Ihr war doch Ihr Kombi sowieso stets nur ein Graus“. Jebsen mochte Antjes Art nicht, da sie für seinen Geschmack zu sehr auf ihr Äußeres fixiert war und sehr großzügig mit ihren Reizen umging. Er hatte Antje nur zu gut durchschaut und traf damit bei Lars ins Schwarze.
„Ja, aber …“
„Was aber? Was stört Sie noch an ihrem Glück?“
„Bayern?“ Lars verzieht das Gesicht, als sollte er Haferschleim löffeln. „Doch nicht Bayern! Um Himmels Willen, bitte bloß nicht Bayern!“ Er sucht nach Worten und Bildern: „Da leben Wilde. Unzivilisierte, grobe Riesenkerle. Echte Trolle“. Lars steigerte sich in seine Beschreibung so hinein, dass er aus seinem Sessel aufstieg, obwohl Jebsen noch saß. Etwas, das Jebsen gar nicht mochte. Jemand, der sich vor ihm aufbaute und ihn überragte. Er schaute Lars an, als hätte er einen Verrückten vor sich.
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