Als die Skat-Brüder unter sich waren, begannen sie mit etwas gedämpfter Stimme das Resümee des Abends zu ziehen. Was sie allerdings nicht wussten oder beachteten, war, dass man am Nebentisch über eine Schallbrücke im Gewölbe fast jedes Wort mithören konnte.
- Was Hermann wohl so eilig nach Hause drängt?, erkundigte sich Klaus. Seine Frau kann’s wohl nicht sein, die soll ihn nämlich vor einiger Zeit verlassen haben. Sie wohnt jetzt allein in seinem Sommerhaus in Worpswede .
- Ach, deshalb habe ich sie schon so lange nicht mehr im Konzert gesehen.
- Er scheint jetzt mit seiner Sekretärin enger verbandelt zu sein. Sie ist oft an seiner Seite zu sehen.
- Das kann man ja auch verstehen, sie ist wirklich sehr attraktiv und seine Alte ist ein rechter Besen. Ich wundere mich, dass er sie so lange ertragen hat. Ich hätte sie schon viel früher verlassen. Es ist ja nicht nur, dass sie in den letzten Jahren so unmäßig auseinander gegangen ist, es ist viel mehr, dass sie so indiskret ist. Oft ist es mir richtig peinlich, wenn man hört, was sie so alles an Interna aus seinem beruflichen Umfeld ausplaudert.
- Ich glaube, auch wir sollten jetzt gehen, sagte Frau Wohlgemuth, die alles mitgehört hatte. Kommissar Degenhardt bat um die Rechnung, zahlte und sie verließen das Lokal, ebenfalls durch den Hintereingang, denn der vordere Eingang war zu dieser späten Stunde bereits geschlossen.
- Es ist jetzt kurz nach elf, sagte er. Ich bringe Sie noch die paar Schritte zu Ihrem Hotel, das hier gleich um die Ecke liegt. Sie hakte sich vertraulich bei ihm unter und sie gingen durch die Böttcherstraße . Am Hotel-Empfang verabschiedete er sich von ihr und wünschte ihr für den morgigen Konzertabend viel Erfolg.
- Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.
- Das würde mich freuen. Wie wäre es wenn wir uns Samstag zu einem Stadtbummel träfen?
- Sehr gern.
- Wenn Sie Lust haben, dann rufen Sie mich an. Hier ist meine Karte mit Telefonnummer im Büro und privat.
- Vielen Dank für den anregenden Abend, Herr Kommissar.
- Lassen Sie doch bitte diese förmliche Anrede und nennen sie mich einfach Martin.
- Gern, dann bin ich Silke und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Backe. Bis morgen, ich freue mich.
- Gute Nacht.
Er ging die Böttcherstraße hinunter zur Martinistraße , überquerte die Weser über die große Weserbrücke und wandte sich nach rechts zur Herrlichkeit zwischen den beiden Weserarmen. Unwillkürlich musste er bei diesen Namen an die Frau denken, die die letzten Stunden seine Begleiterin war. Das war wirklich ein herrliches Weib, bestimmt hätte Richard Wagner ihr zu Füßen gelegen und eine Arie extra für sie komponiert. Und er?
Er hätte sie gern in den Arm genommen, aber das wäre für einen Kriminalkommissar in seiner Heimatstadt unpassend gewesen, vielleicht ein andermal, wenn sie sich besser kennengelernt hätten, so ging er die paar Schritte zu seinem Apartmenthaus, nahm den Fahrstuhl in den dritten Stock und streichelte seine Katze, die ihn kläglich miauend begrüßte. Nachdem er ihr etwas zum Fressen gegeben hatte, schnurrte sie behaglich auf seinem Schoß. Sie war die einzige, die auf ihn wartete, seitdem ihn seine Frau vor ein paar Jahren verlassen hatte. Vielleicht hätte er Silke fragen sollen, ob sie nicht am Wochenende zu ihm kommen wollte. Nein, das wäre zu aufdringlich gewesen. Außerdem würde er sie am nächsten Tag im Konzert sehen, dann könnte er sie ja immer noch fragen.
Er nahm behutsam seine Katze und setzte sich auf den Balkon, denn es hatte aufgehört zu regnen. Sein Blick fiel auf die Altstadt, die von den Domtürmen sicher bewacht wurde. Er liebte diesen Blick auf seine Stadt, denn von hier aus hatte er alles im Griff, bildete er sich wenigstens ein. In der Stadt schien ihm alles still und wohlgeordnet zu sein. Kein Lärm, kein Streit, nur wenige Menschen auf der Straße, kein Hasten und Jagen. Nur von den Domtürmen hörte er zwölf Glockenschläge, die den neuen Tag einläuteten. Alles lag im tiefen Schlaf. Aber das täuschte. Einige Straßenbahnen fuhren über die Große Weserbrücke , vereinzelte Fußgänger schlenderten am gegenüberliegenden Tieferufer .
Schließlich löste er sich von dem Anblick, ließ die Rollladen herunter und fiel todmüde ins Bett. Ein letzter Gedanke: Ob Silke jetzt auch an ihn dachte? Er wollte es gern glauben und schlief in dieser Zuversicht ein.
Aber er hatte einen schrecklichen Traum, in dem jemand, den er nicht kannte, ermordet wurde. Er war erschossen worden. Man hatte seine Leiche in der Weser direkt vor seiner Wohnung gefunden. Er sprang aus dem Bett, blickte angestrengt aus dem Fenster, aber alles war in tiefer Ruhe gehüllt. Der Nieselregen hatte wieder eingesetzt. Die Uhr zeigte auf viertel nach sechs. Zu dieser Jahreszeit war es noch dunkel. So kehrte er wieder ins Bett zurück. Am liebsten wäre er den ganzen Tag im Haus geblieben und hätte die Sportschau gesehen. Das langweilige Zeug im Büro könnte auf ihn warten, wenn es nicht bis dahin ein anderer für ihn erledigt hätte.
Wie gewohnt, ging er pünktlich um neun Uhr in sein Büro im ersten Stock des historischen Polizeigebäudes, das einer trutzigen Festung glich. Gleichsam zur Abschreckung für Missetäter, aber das war ein fundamentaler Irrtum, denn das Böse ist immer und überall. Er erledigte die üblichen Routinearbeiten, soweit sie nicht zu kompliziert waren und weitere Recherchen erforderten. Lustlos blätterte er die alten Akten der unerledigten Fälle durch. Nichts Dringendes, was nicht bis Montag warten könnte.
Er hatte noch nicht gefrühstückt, denn er hatte verschlafen, was ihm sonst nie passiert war. Der Traum ging ihm noch immer durch den Kopf. Vielleicht aber auch die Sängerin, die bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte. Er fühlte sich müde und erschöpft. Er bat seine Assistentin, Diana Michaelis, ihm einen Kaffee zu bringen, sie aber erwiderte, die Espresso-Maschine sei kaputt und außerdem gäbe es keinen Kaffee mehr. Sie müsse erst welchen besorgen, wenn genügend Geld in der Kaffeekasse sei. Also beschloss er, sich schräg gegenüber im Bäckerladen einen Kaffee zu bestellen und ein Croissant, das er besonders liebte, wenn es ein kleines Stück weit in den Kaffee getaucht worden war. Das Wasser lief ihm schon im Munde zusammen, als er nur daran dachte.
Gerade in dem Augenblick, als er sich zum Gehen wandte und seinen Mantel übergezogen hatte, klingelte sein Telefon.
- Hallo Martin, hier ist Silke.
- Wie nett, das du anrufst, ich wollte gerade zum Bäcker gehen und einen Kaffee trinken.
- Das kannst du doch hier bei mir im Hotel tun.
- Hast du noch nicht gefrühstückt?
- Nein, ich habe schlecht geschlafen und bin spät aufgestanden. Jetzt bin ich noch im Frühstücksraum. Wenn du gleich kommst, dann warte ich auf dich.
Also machte er sich auf den Weg und ging die paar Schritte in die Böttcherstraße . Er fand die Sängerin im Frühstücksraum am Fenster sitzend, wo sie auf ihn gewartet hatte.
Kurze Begrüßung, dann setzte er sich zu ihr an den kleinen Tisch am Fenster und bestellte sich eine Tasse Kaffee und ein Croissant.
Sie erwähnte nur kurz den Abend mit den honorigen Skatspielern, versuchte die Namen zu rekapitulieren, was ihr nur annähernd gelang. Insbesondere Herrn Schwarzer hatte sie in lebhafter Erinnerung. Ich glaube, er hatte schlechte Laune, weil er verloren hatte, sagte sie. Da ist er lieber nach Hause gefahren, damit ihn seine Frau auf andere Gedanken bringt.
Dann wandte sich ihr Gespräch auf den bevorstehenden Abend in der Glocke. Sie fragte ihn, ob er auch zum Konzert kommen werde. Er sagte, er werde versuchen, noch eine Eintrittskarte an der Abendkasse zu bekommen. Sie bot ihm eine Gästekarte an, die sie noch nicht anderweitig vergeben hatte Er nahm sie mit großer Freude an.
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