»Allenby, sind Sie hier?« rief er laut.
Alles blieb still. Nun ging Jerry zu dem Tisch, auf dem der Stahlkasten lag, und hob die Kassette auf. Er war befriedigt, daß er sie mühelos tragen konnte, und setzte sie wieder nieder. Dann wandte er sich zur Tür, zog den Schlüssel heraus und betrachtete ihn aufmerksam. Wachs, um einen Abdruck zu machen, hatte er nicht bei sich, weil er kein Berufseinbrecher war. Aber er hatte früher ein paar Semester auf einer Technischen Hochschule studiert, das kam ihm jetzt zustatten.
Er lauschte. Vom Fahrstuhl her hörte er kein Geräusch. Wahrscheinlich hielt sich Dick in seinem Schlafzimmer auf, das im Stockwerk darüber lag. Dornford machte auf der Rückseite eines Briefumschlags schnell eine Skizze von dem Schlüssel. Trotz der Schnelligkeit war die Zeichnung sehr genau. Er maß mit dem Bleistift die Länge des Bartes ab und machte sich einige Notizen. Als er hörte, daß jemand die Treppe herunterkam, steckte er den Schlüssel lautlos wieder in die Tür.
Er stand gerade vor der Werkbank und betrachtete die leeren Bierflaschen, als Dick eintrat.
»Hallo, Dornford, wollten Sie mich sprechen?«
Die Frage klang gerade nicht sehr ermutigend und freundlich.
Jerry lächelte.
»Ja, ich wollte einmal einen Erfinder besuchen und beobachten, wie er arbeitet. Übrigens habe ich Sie neulich im Theater gesehen – muß schon sagen, eine sehr nette junge Dame. Sie war aber verdammt unhöflich zu mir, als ich neulich zum erstenmal mit ihr sprach.«
Dick sah ihm gerade ins Gesicht.
»Und ich werde auch verdammt unhöflich zu Ihnen sein, wenn Sie die Dame das nächste Mal ansprechen.«
Dornford lachte.
»Steht es so? Übrigens sehe ich den Alten heute Abend – soll ich ihm einen Gruß von Ihnen bestellen?«
»Ich würde Ihnen raten, ihm lieber Ihre Schulden zurückzuzahlen«, entgegnete Dick kühl.
Er machte diese Bemerkung aufs Geratewohl. Dornford, der sich selten aus der Fassung bringen ließ, zuckte zusammen und konnte seinen Ärger nicht ganz unterdrücken.
Merkwürdigerweise war es Dick Allenby noch nie zum Bewusstsein gekommen, wie sehr er diesen Mann haßte.
»Warum mögen Sie mich auf einmal nicht mehr? Ich interessiere mich doch überhaupt nicht für Ihre junge Dame. Sie ist eine schöne Frau und ein nettes, liebes Kind, aber auf der Bühne wird sie es in London nicht weit bringen.«
»Wenn Sie von Miss Lane sprechen, brauchen Sie kein weiteres Wort zu verlieren. Warum sind Sie eigentlich hergekommen? Sie haben recht, ich bin kein großer Freund von Ihnen. Ich kann mich aber nicht darauf besinnen, daß wir jemals viel füreinander übrig hatten.«
»Wir waren doch im selben Regiment«, erwiderte Jerry leichthin. »Großer Gott, das sind nun schon zwölf Jahre her –«
Dick öffnete die Tür mit einer nicht mißzuverstehenden Geste.
»Ich möchte Sie nicht gern hier in der Werkstatt haben und lege auch keinen Wert auf unsere Bekanntschaft. Wenn Sie meinen Onkel heute Abend sehen sollten, dann sagen Sie ihm, daß ich Sie gebeten habe, meine Wohnung zu verlassen.«
Jerry Dornford verlor die Ruhe nicht.
»Sie kennen wahrscheinlich Tickler, der neulich in einem Auto erschossen wurde?« fragte er.
»Ich möchte mit Ihnen nicht über diesen Mord sprechen.«
Dick ging auf den Korridor hinaus und zog das Metallgitter vom Lift zurück.
Später ärgerte er sich über sich selbst, aber er haßte Jerrys Lebensauffassung und dessen Art, über die Dinge zu reden.
Die Bank war geschlossen, und Surefoot Smith ging deshalb zu Mr. Morans Wohnung. Er kam an Naylors Crescent vorbei, und dort begegnete ihm zufällig Binny, der Butler des alten Lyne. Er kannte den Mann und wußte, daß er eine geborene Klatschbase war. Plötzlich stieg eine dunkle Erinnerung in ihm auf, daß Binny in irgendwelcher Verbindung mit dem Bankdirektor stehen mußte. Vor vielen Jahren hatte er einmal diesen Bezirk als Polizeibeamter verwaltet, und sein Gedächtnis war außerordentlich gut.
»Guten Tag, Mr. Smith.«
Binny berührte mit dem Zeigefinger seinen steifen Hut und zögerte einen Augenblick. »Darf ich mir die Frage erlauben, ob es etwas Neues gibt?«
»Sie sagten mir doch, daß Sie diesen Tickler kannten?«
Binny schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nur, daß er mein Amtsvorgänger war. Mehr ist mir nicht bekannt.«
»Na, das Wort können Sie sich tatsächlich einrahmen lassen«, erwiderte Surefoot kurz. »Er hatte also vorher Ihre Stelle inne. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Waren Sie nicht übrigens früher einmal bei einem Bankdirektor Moran in Dienst?«
Binny lächelte.
»Ich habe schon für die verschiedensten Leute gearbeitet, zum Beispiel war ich Kammerdiener bei Lord Frenley –«
»Sie brauchen mir Ihre Lebensgeschichte nicht zu erzählen, Binny. Was für ein Mann ist denn dieser Moran? Netter, freundlicher Charakter – großzügig, gibt gern Geld aus?«
Binny dachte nach, als ob sein Lebensglück von seiner Antwort abhinge. »Ja, er war wirklich ein sehr netter Herr. Aber ich war nur sechs Monate bei ihm, er wohnt direkt hier um die Ecke am Park.«
»Ist er ein ruhiger Mensch?«
»Ich habe niemals gehört, daß er großen Lärm machte –«, begann Binny.
»Sie haben mich falsch verstanden«, erklärte Surefoot Smith ärgerlich. »Ich meine, ob er viel auf Weiber, Wein und Spiel gibt. Sie kennen doch die Art Leute. Schließlich sind Sie auch einmal jung gewesen, Binny.«
»Nein, ich könnte nicht sagen, daß sich Mr. Moran viel daraus gemacht hätte. Früher gab er immer kleine Gesellschaften, Damen und Herren vom Theater waren meistens eingeladen. Aber damit ist es vorbei, seitdem er sein Geld verloren hat.«
Surefoot kniff die Augen zusammen.
»Seitdem er sein Geld verloren hat? Was soll das heißen? Er ist doch Bankdirektor und mit einem festen Gehalt angestellt. Wie konnte er denn da Geld verlieren?«
»Es war sein eigenes Geld«, sagte Binny. »Deshalb mußte ich auch damals meine Stellung bei ihm aufgeben. Er hatte verschiedene Anteile an einer großen Bank, und die brach zusammen.«
»Na, das ist ja sehr interessant. Er hat also Schauspieler und Schauspielerinnen eingeladen, gern Wein getrunken und dergleichen mehr.«
Binny fühlte sich nicht wohl und sah sich ängstlich nach rechts und nach links um, als ob er davonlaufen wollte.
»Haben Sie es eilig?« fragte der Polizeibeamte.
»Ja – der Hauptfilm beginnt in zehn Minuten, und ich möchte den Anfang nicht gern versäumen.«
»Ach so, ins Kino wollen Sie. Sagen Sie mir aber noch, wie das mit Tickler war. Hatte der jemals eine Stellung bei Moran?«
Binny überlegte.
»Nein – nein. Er war Butler bei Mr. Lyne, als ich den Posten bei Mr. Moran hatte. Aber genau kann ich es im Augenblick wirklich nicht mehr sagen. Wissen Sie übrigens, daß Mr. Moran heute Abend einen Radiovortrag hält?«
Surefoot sah ihn erstaunt an.
»Mr. Moran spricht über das Bankenwesen«, fuhr Binny fort. »Er hält regelmäßig Vorträge.«
Surefoot Smith interessierte sich wenig dafür. Er stellte noch ein paar Fragen über den unglücklichen Tickler und ging dann seines Weges.
Parkview Terrace war ein vornehmer Häuserblock, den man nach dem Krieg wie so manches andere große Gebäude in kleine Wohnungen aufgeteilt hatte.
Mr. Moran wohnte im obersten Stockwerk, und Surefoot Smith traf ihn zu Hause an. Der Bankdirektor war gerade dabei, sich zum Abendessen umzukleiden.
Smith wurde in einen großen Raum geführt, der sehr luxuriös und geschmackvoll eingerichtet war. Von zwei Fenstern hatte man einen schönen Ausblick auf den Park und den Kanal. Aber der Beamte achtete nicht darauf. Er interessierte sich mehr für die kostbare Ausstattung des Zimmers, die er mit dem verhältnismäßig bescheidenen Gehalt eines Bankdirektors nicht in Einklang bringen konnte.
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