LUNATA
Der viereckige Smaragd
Der viereckige Smaragd
Kriminalroman
© 1926 by Edgar Wallace
Originaltitel The Square Emerald
Aus dem Englischen von Ravi Ravendro
© Lunata Berlin 2020
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
An einem traurigen Februarnachmittag zog Lady Raytham die langen Samtvorhänge zur Seite und schaute auf Berkeley Square hinunter. Die Turmuhr schlug halb fünf. Es regnete und schneite durcheinander, und ein leichter, gelber Nebel verstärkte noch den düsteren Eindruck des sinkenden Tages. Eine ununterbrochene Reihe von Autos bog nach Berkeley Street ein, die glatten, schwarzen Dächer spiegelten den Schein der Straßenbeleuchtung wider, die eben aufflammte.
Lady Raythams geistesabwesende Blicke streiften über die trostlos und verlassen daliegenden Gärten, in denen kahle Bäume ihre Äste traurig gen Himmel reckten und entlaubte Sträucher sich unruhig im Winde hin und her bewegten. Sie starrte hinab, als ob sie fürchtete, der gespenstische Nebel könne bestimmte Gestalt und Form annehmen und gleichsam die Schatten verkörpern, die das Leben bedrohen.
Sie war achtundzwanzig Jahre alt, schlank und hochgewachsen und besaß jene klassische Schönheit, die den Alterserscheinungen lange Zeit trotzt. Ihr Gesicht faszinierte durch seine Ruhe und Herbheit, ihre Augen zeigten das kalte Grau, das man so häufig in England findet. Man hätte sie sich im Mittelalter als die Äbtissin eines mächtigen Klosters vorstellen können oder als die Herrin einer großen Besitzung, die während der Abwesenheit ihres Gatten entschlossen die starke Burg gegen jeden Feind verteidigt. Wenn man ihre Züge einzeln betrachtete, sprachen ihre Augenbrauen und ihr Kinn von unbeugsamer Energie.
Aber im Augenblick schien sie nicht sehr willensstark zu sein, es war im Gegenteil eine gewisse Unsicherheit und Gereiztheit über sie gekommen – Zustände, die sie am meisten scheute und fürchtete.
Sie ließ die Vorhänge wieder zurückfallen, bis sie sich überdeckten, ging zu dem Kamin hinüber und schaute auf die kleine Uhr. Der Salon war nur halb erleuchtet, der Kronleuchter war dunkel, aber die große Tischlampe in der Nähe der Couch glühte hell unter einem roten Schirm. Der luxuriös ausgestattete Raum war mit viel Geschmack eingerichtet.
Als sie vor den Kamin trat und in die Flammen schaute, klopfte es leise an die Tür, gleich darauf trat der Hausmeister ein. Er sah groß und stattlich aus, hatte ein Doppelkinn und ein glattes, faltenloses Gesicht. In der Hand hielt er eine kleine Schale, auf der zusammengefaltet ein längliches, braungelbes Papier lag.
Lady Raytham riß den Umschlag auf und überflog schnell den Inhalt. Das Telegramm, das sie schon den ganzen Nachmittag erwartet hatte, kam aus Konstantinopel und war von ihrem Gatten. Lord Raytham hatte seine Pläne geändert. Er war auf dem Weg nach Basra und wollte von dort nach Bushire, um Ölquellen, an denen das internationale Kapital interessiert war, zu besichtigen. Wenn er sie nicht selbst genauer inspizieren konnte, wollte er sich doch wenigstens über ihre allgemeine Lage informieren. Er entschuldigte sich außergewöhnlich umständlich für die kurze Nachricht und bat sie, nach Cannes zu gehen – wie sie es für den Fall besprochen hatten, daß er nicht vor April zurückkehren könnte. Es tat ihm ›furchtbar leid‹, diesen Ausdruck wiederholte er mindestens viermal.
Sie las die Mitteilung ein zweites Mal durch, faltete sie dann wieder zusammen und legte sie auf den Tisch.
Der Hausmeister wartete leicht vornübergeneigt, um auch das leiseste Wort aufzufangen, aber sie würdigte ihn keines Blickes.
»Es ist gut.«
»Ich danke Ihnen, Mylady.«
Er hatte schon die Tür geöffnet, um sich zurückzuziehen, als sie sich plötzlich an ihn wandte.
»Druze, ich erwarte die Prinzessin Bellini, vielleicht kommt auch Mrs. Gurden. Servieren Sie den Tee, wenn die Damen hier sind.«
»Jawohl, Mylady.«
Die Tür schloß sich leise. Jane Raytham schaute auf die kostbare, polierte Holzfläche und hob merkwürdig lauschend den Kopf, als ob sie erwartete, etwas zu hören. Aber der Hausmeister ging langsam die Treppe hinunter. Ein spöttisches Lächeln lag in seinen Augen, während er seine plumpen weißen Hände rieb. Auf dem Treppenabsatz blieb er stehen, um eine kleine Marmorstatue der Circe zu bewundern, die Lord Raytham von einer Reise nach Sizilien mitgebracht hatte. Gewöhnlich hielt er hier an, um diese Circe mit den verschlagenen Augen zu betrachten, die mit dem Finger winkte. Dabei spitzte er den Mund, als ob er pfeifen wollte.
Ein scharfes Klopfen an der Tür störte ihn auf. Er erreichte die Diele gerade, als der zweite Diener die Haustür öffnete.
Zwei Damen traten ein, und durch die offenstehende Tür konnte er eben noch sehen, wie eine elegante Limousine wegfuhr.
»Lady Raytham ist im Empfangszimmer, Hoheit – darf ich Hoheit helfen, den Mantel abzulegen?«
»Nein, danke«, entgegnete die erste und größere der beiden Frauen abweisend. »Helfen Sie nur Mrs. Gurden. Ich kann nicht verstehen, daß Sie so schreckliche Capes tragen, Greta.«
Mrs. Gurden lächelte.
»Meine Liebe, ich muß doch irgend etwas tragen – danke schön, Druze.«
Der Hausmeister nahm ihr den dünnen seidenen Umhang ab und übergab ihn dem zweiten Diener, während die Prinzessin bereits die Treppe hinaufstieg. Sie stieß die Tür auf und trat unangemeldet ein. Lady Raytham stand am Kamin, hatte ihren Arm auf die Marmorplatte gestützt und den Kopf daraufgelegt. Als die Prinzessin hereinkam, blickte sie erschrocken auf.
»Entschuldige bitte – dreh doch das Licht an, Anita. Der Schalter ist gleich dort an der Tür.«
Prinzessin Bellini zog ohne Hilfe ihren schweren Mantel aus und hängte ihn über eine Stuhllehne. Dann legte sie mit einer raschen Bewegung den Hut ab und warf ihn auf den Mantel.
Leute, die Anita Bellini zum erstenmal sahen, schauten sie erstaunt und scheu an. Es lag eine gewisse rücksichtslose Strenge in ihren Zügen und in ihrer ganzen Haltung. Sie war etwa fünfzig Jahre alt und von einer achtunggebietenden Größe.
Der männliche Ausdruck ihres energischen Gesichts wurde noch mehr durch das graue, kurzgeschnittene Haar betont und durch ein Monokel ohne Einfassung, das sie fast stets ins Auge klemmte. Sie hatte eine lange Bernsteinspitze im Mund, in der eine brennende Zigarette steckte.
Ihre Ausdrucksweise und ihre Sprache waren abgerissen, burschikos und manchmal verletzend.
»Wo ist Greta?«
Die Prinzessin zeigte mit dem Ende ihrer Zigarettenspitze nach der Tür.
»Sie macht sich noch mit Druze zu schaffen. Die Frau würde sogar mit einem Müllkutscher poussieren; sie ist im gefährlichen Alter. Es ist schrecklich, wenn man früher einmal hübsch gewesen ist und Eindruck gemacht hat. Die meisten Menschen können sich nicht daran gewöhnen, daß das auch einmal vorbei ist.«
Jane Raytham lächelte.
»Man sagt, daß du früher einmal ein recht hübsches Mädchen gewesen bist, Nita –«, begann sie.
»Das ist einfach gelogen«, erwiderte die Prinzessin ruhig. »Der Fotograf Russels pflegte meine Bilder so lange zu retuschieren, bis nichts mehr übrigblieb als der Hintergrund.«
In diesem Augenblick rauschte Greta ins Zimmer. Sie streckte die Arme weit aus, und auf ihrem Gesicht lag ein verzückter Ausdruck.
»Mein Liebling«, sagte sie atemlos und nahm Janes Hände.
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