„Wie geht es dir“, erkundigte sich Stig plötzlich.
Aaron dachte im ersten Moment, er habe sich verhört. Stig hatte ihn das noch nie gefragt. Dementsprechend zurückhaltend war seine Reaktion:
„Wie es mir geht?“
„Ja. Ist die Frage so schwer?“
„Nein, bloß von dir eher ungewöhnlich. Danke, mir geht es gut.“
„Warum konntest du heute erst so spät?“
„Ich hatte noch eine Verabredung, wollte mich aber auch mit dir treffen. Also musste ein Kompromiss her.“
„Soso, Verabredung…“
Stig wartete auf weitere Ausführungen. Er bemerkte, dass sein Freund eigentlich recht hübsch war. Bisher hatte er das kaum wahrgenommen.
„Für deine Verhältnisse fragst du heute sehr viel“, wunderte sich Aaron nicht ohne zu erröten.
„Ich weiß. Ich bin ein Idiot.“
Er kratzte mit dem Fingernagel auf der Tischplatte herum. Eine Bedienung näherte sich.
„Hi, was darf ich euch bringen?“
„Einen Espresso“, murmelte Stig ohne aufzuschauen.
„Zwei Espressi und ein Wasser“, verbesserte Aaron und zwinkerte ihr zu.
„Alles klar.“
Sie verschwand.
„Muss ich mir ernsthafte Gedanken um dich machen“, fragte Aaron.
Stig lehnte sich zurück, die dünne hölzerne Armlehne streichelnd.
„Du hast sie noch nicht mal angeguckt.“
„Ja, und? Muss ich das?“
„Nein. Gerade von dir hätte ich es allerdings erwartet.“
„Jaja, einmal Weiberheld, immer Weiberheld.“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Aber gedacht.“
„Das gebe ich zu“, gestand Aaron.
„Siehst du.“
„Das hat dich früher nie gestört. Im Gegenteil…“
„Früher… ja…“
„Und jetzt schon?“
„Ja, irgendwie. Mit wem hast du dich getroffen vorhin?“
„Mit meinem Freund.“
„Mit deinem Freund?!“
„Ja.“
Stig starrte ihm direkt in die Augen. Seine Hände umklammerten die Stuhllehnen, als müsse er sich festhalten.
„Warum hast du mir das nie gesagt?“
„Wir kennen uns noch nicht so lange.“
„Ich meinte, dass du… Du weißt schon…“
„Du hast mich nie gefragt. Außerdem kennen wir uns seit unserer Kindheit.“
„Ja, eben“, klang es fast vorwurfsvoll.
„Hat sich halt nicht ergeben. Du hast es doch offenbar nie gemerkt.“
Stigs Haltung lockerte sich. Seine Anspannung ließ sichtbar nach.
„Stimmt. Wie so vieles nicht. Bist du denn glücklich“, fragte er beinahe schüchtern.
„Ja, bin ich.“
„Woher weißt du das?“
Aaron musste wegen der ihm recht kindlich anmutenden Frage kurz auflachen.
„Das spürt man doch.“
Erst jetzt nahm er Notiz von der tiefen Niedergeschlagenheit seines Kumpels. Da hockte er, den Hemdkragen wieder weit geöffnet und wieder die silberne Kette tragend. Stig kam ihm nicht mehr wie der harte Kerl von einst vor, der Frauen schneller als Hemden wechselte. Der Stig, den er kannte, der dachte nicht nach, der handelte aus dem Bauch heraus. Der ließ ihn auch nicht derart tief in sein Inneres blicken.
„Du bist nachdenklicher geworden“, setzte Aaron das Gespräch fort.
„Mag sein.“
„Wie geht es dir denn?“
„Wo habt ihr euch kennen gelernt“, ignorierte Stig Aarons Frage.
„Eher klassisch – wir wohnen in der gleichen Straße und sind uns eben manchmal über den Weg gelaufen. Dann waren wir gemeinsam aus und schließlich wurde mehr draus.“
„Schön“, meinte Stig mit einem Ton, der in seiner Sanftheit die Aufrichtigkeit der Aussage geradezu unterstrich.
Stig wünschte sich insgeheim Selbiges für sich. Seine Vergangenheit hätte er zu gerne abgestreift. Aaron dachte an die Dauer, an das Dauerhafte, das bemerkte er, wohingegen er selbst lediglich an den nächsten Morgen gedacht hatte.
„Du hast das letzte Mal von Zielen gesprochen“, griff Stig etwas aus ihrem früheren Gespräch auf, woran er sich erinnerte, „ich glaub, ich suche noch… Ich komme mir oft vor wie ein Wanderer, der nicht mehr recht weiß, woher er kommt, aber genauso wenig, wohin er noch muss.“
„Geht die Bedeutung deines Namens nicht sogar in diese Richtung?“
„Ja“, lächelte Stig kurz.
Die Bedienung brachte die Getränke.
„Ich habe Kontakt zu Pia aufgenommen.“
Aaron zeigte sich erstaunt.
„Das freut mich. Was hat sie gesagt?“
„Sie brauche noch etwas Zeit, müsse nachdenken, sich das Ganze durch den Kopf gehen lassen...“
„Das wird schon“, ermutigte ihn Aaron.
Stig nickte stumm. Er stand auf, nahm den leeren Aschenbecher und stellte ihn auf einen anderen Tisch, an dem niemand saß. Als er sich wieder gesetzt hatte, erklärte er:
„Den brauchen wir ja eh nicht. Ich habe aufgehört.“
Aaron schmunzelte.
„Die Rose lässt du aber stehen!“
„Für dich gerne“, blinzelte er ihm zu.
Aaron rückte sie ein Stück weiter in die Mitte. Sie benötigte kein Wasser mehr, war vertrocknet und trotzdem von zerbrechlicher Ansehnlichkeit.
Sie unterhielten sich lange. Ehe sich ihre Wege trennten, hatte die Stadt längst begonnen, den Mantel der Nacht abzustreifen. Ein erster silberner Schimmer begrüßte diejenigen, die es bis dahin in ihr gehalten hatte. Die jungen Männer verließen die enge Gasse in die Richtung, wo es zum großen Platz ging. Dort entschwand der eine nach links und der andere nach rechts. Ein neuer Tag war angebrochen.
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