„Aber es fahren welche“, zwinkerte Stig ihm zu und schob sein Messer auf dem Tisch hin und her.
„Aber vielleicht nicht mehr so weit wie frühere…“
„Aber, aber, aber – wie bist du denn drauf? Werd‘ doch mal locker! Ist ja schlimm. Ich leb‘ doch nicht im Kloster“, er schlug ihm auf den Oberarm.
Aaron sagte nichts. Er beobachtete die kleinen Bläschen, die in seinem Wasser aufstiegen und an der Oberfläche zerplatzten. Unweigerlich dachte er an sich, an seine Träume. Hatte Stig womöglich Recht? Sollte Aaron nicht alles etwas lockerer nehmen? Anscheinend lebte Stig ja ganz gut damit. Aaron starrte noch eine Weile auf die Bläschen in seinem Wasserglas, während sich Stig eine Zigarette anzündete und den Qualm genüsslich in die Richtung seines Freundes blies, der angewidert die Nase rümpfte und wieder aufsah. Erst jetzt bemerkte er die kleine Rose, die in einer schmalen Vase frisch und duftend zwischen ihnen stand.
„Schöne Blume.“
„Gibt’s doch zurzeit überall auf den Tischen“, raunzte Stig und zog erneut an seiner Zigarette.
„Was macht deine Arbeit“, erkundigte sich Aaron.
„Läuft. Verdiene gut.“
„Macht’s denn auch Spaß?“
„Meine Arbeit? Nö. Hauptsache das Geld stimmt. Macht dir deine Arbeit etwa Spaß?“
„Ja, schon. Aber bei mir stimmt dafür das Geld nicht so“, grinste Aaron.
„Dann würde ich mir was anderes suchen.“
„Ich komme ja hin. Dafür macht es mir halt Spaß. Bist du noch in derselben Kanzlei?“
„Ja. Hey, da kommt die Süße wieder“, Stigs Augen hafteten, kaum, dass es gesagt war, abermals auf der Kellnerin, die ihnen einige Minuten später ihren Pizzen brachte, Aaron die vegetarische, Stig die Don Giovanni.
Ihr Gespräch plätscherte so dahin. Eine Belanglosigkeit jagte die andere. Als sie fertig gegessen hatten, trennten sich ihre Wege.
II.
Lange würde es nicht mehr dauern und die warme Julisonne wäre hinter den Häuserdächern verschwunden. Ein wenig drohend wirkten die Schatten, die immer länger werdend über den engen Platz krochen. In der Stadt war es bereits ruhiger geworden. Viele befanden sich längst auf dem Heimweg oder tätigten noch hier und da ein paar Einkäufe, ehe sie danach den anderen folgten. In einer Loggia, leicht erhöht, saßen zwei junge Männer, die sich hier nach der Arbeit verabredet hatten.
„Wir haben uns ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen“, meinte Stig.
„Nein“, korrigierte Aaron, „drei, vier Monate sind keine Ewigkeit.“
„Kam mir länger vor…“
„Du hast mich wohl vermisst“, sagte Aaron und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Das hättest du wohl gerne. Ist vermutlich eher umgekehrt“, widersprach Stig.
„Du überschätzt dich.“
Aaron stierte in die Augen seines Freundes, dass diesem das neckische Grinsen zu einer ernsten Miene gefror. Ein junger Kellner brachte zwei Weizen. Mit einem schüchternen „Bitteschön“ stellte er sie ab und entfernte sich. Stig spielte nervös an seinem Schlüsselbund, den er auf den Tisch gelegt hatte.
„Ist diesmal leider keine Kellnerin“, stichelte Aaron.
„Ach“, zischte Stig verärgert.
„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“
Er schaute zuerst zur Seite, dann kurz zu seinem Freund, dann wieder zur Seite.
„Nein, was soll sein?“
„Du bist irgendwie anders?“
„Ich? Anders? Nein, ich bin noch ganz der Alte“, brach er in ein Gelächter aus, das wenig überzeugend rüberkam. Er schien es selbst zu merken und verstummte blitzartig.
„Nein, alles in Ordnung. Du denkst dir mal wieder zu viel.“
„Und du dir zu wenig. Wie ging’s denn aus?“
„Was?“
„Na, das mit der Kellnerin…“
„Normal halt.“
„Ein paar Mal rumgemacht und das war’s?“
„Ja.“
„Stört dich das plötzlich“, wunderte sich Aaron.
Sein Kumpel wich jedem Blickkontakt aus. Er zeichnete mit seinen Fingerspitzen simple Muster auf das beschlagene Glas. Er machte einen eigenartigen Eindruck auf Aaron. Fühlte dieser sich früher heimlich zu ihm hingezogen, empfand er heute nichts. Keine gesteigerte Sympathie, aber auch keine Abscheu. Ihm kam alles so seltsam neutral vor.
„Nein, es stört mich nicht.“
„Bist du nicht gut drauf?“
„Wieso das denn“, antworte Stig fast schon aggressiv.
„Das letzte Mal hast du mir noch stolz von deinen Weibergeschichten erzählt und gemeint, ich solle lockerer werden…“
„Die interessieren dich doch eh nicht. Ist sowieso immer dasselbe.“
„Langweilt es dich etwa auf einmal?“
„Machst du jetzt einen auf Hobby-Psychologen?“
„Nö. Ich hab ja nur gefragt.“
„Du fragst immer nur. So wie du könnte ich nicht leben.“
„Wie lebe ich denn?“
„Zu brav. Zu langweilig.“
‚Wenn du wüsstest‘, dachte Aaron und lachte innerlich. Gleichzeitig tat es Stig irgendwie Leid, was er gesagt hatte. Der Aaron, der dort saß – war das tatsächlich der Aaron, den er all die Jahre wahrgenommen hatte? Verglichen mit ihm war Aaron in der Tat der reinste Langweiler, aber wenn man andere Maßstäbe heranzöge? Zwar bliebe sein Freund vermutlich nach wie vor brav und langweilig, doch vielleicht wäre das normal? Stig umgriff sein Glas. Das kühle Bier tat ihm gut. Auf eine Zigarette hatte er keine Lust. Die Kippen türmten sich ohnehin längst bis zum Aschenbecherrand.
„So wie du könnte ich auch nicht leben“, erwiderte Aaron.
„Pff… Lass mich raten: Zu aufregend, zu unstet.“
„Nein. Zu einsam, zu ziellos.“
Stig schluckte und griff erneut nach seinem Glas, setzte es allerdings wieder ab. Er überlegte. „Was hast du denn für ein Ziel? Karriere machen in deiner Buchhandlung? Später mal ‘ne eigene haben?“
„Das wäre zum Beispiel eines. Was willst du denn in deiner Kanzlei? Das letzte Mal meintest du, dass es zwar keinen Spaß mache, aber das Geld stimme…“
„Jepp, das Geld ist ok.“
„Und das reicht dir?“
„Ich gehe arbeiten, um Geld zu verdienen. Nicht um Spaß zu haben. Den habe ich woanders.“
„Ich hab das Gefühl, du bist traurig…“
Stig, der die ganze Zeit über auf sein Glas gestarrt hatte, beugte sich zu Aaron rüber.
„Nee, ich hatte bloß seit zwei Wochen keine Tussi mehr.“
Er fiel zurück in seinen Stuhl. Aaron, grundlos verlegen, berührte mit seinem Zeigefinger den Rand der gläsernen Vase, in der eine Rose vor sich hin welkte. Das wenige Wasser war trübe und die äußeren Blütenblätter bereits braun.
III.
Die Herbstnacht hatte die Stadt in ihren Mantel gehüllt. Beinahe festlich strahlten die Häuserfassaden. Viele Lichter illuminierten die verwinkelten Gässchen und mischten sich in die Wasserspiele auf den Plätzen. Ja, es war dunkel, es war Nacht, aber man sagte, dass die Stadt gerade in der Dunkelheit am schönsten sei. Hier erklang Musik, dort grölten Menschen, all das verwob sich zu einem Netz verschiedenster Klänge, das über die Dächer der Stadt gespannt worden war. In einer der Gassen, die zu einem großen Platz führte, hatten sich zwei junge Männer niedergelassen.
„Irgendwie habe ich mich auf diesen Abend gefreut. Waren das noch Zeiten, als wir uns gemeinsam die Nächte um die Ohren schlugen“, schwelgte Stig in Erinnerungen früherer Jahre.
„Du sprichst ja fast schon wie ein alter Mann“, lachte Aaron.
„So komme ich mir auch beinahe vor…“
Aaron legte die Stirn in Falten und musterte seinen Freund mit durchdringenden Blicken, die braunen Augen, die glanzlos und verloren umhersahen und nach etwas zu suchen schienen, was sie nicht fanden. Sein Gesicht, sein böses Grinsen, seine schwulstigen Lippen und die schiefen, vom Kaffee und von den Zigaretten verfärbten Zähne ließen in ihm das Gefühl von Abneigung aufkommen. Er wandte sich ab, unsicher, ob er auf das zuvor Gesagte eingehen sollte. Stig wirkte so gewöhnlich. Aaron vermisste das Besondere, Stigs Besonderes, das ihn früher gefesselt hatte. Er entschloss sich, nicht auf die Aussage seines Gegenübers zu reagieren.
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