Jan Nadelbaum - Bös- und Gutmenschen

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Karl ist Ortsbürgermeister von Quelmbach, einer kleinen (fiktiven) Mittelgebirgsgemeinde, und seit Jugendtagen mit Ernst und Jörg befreundet. Diese Freundschaft geht in die Brüche, als wiederholt Asylbewerber in dem beschaulichen Örtchen untergebracht werden sollen und seine Freunde Bürgerinitiativen ins Leben rufen: Der cholerische Ernst 'Quelmbach bleibt Quelmbach' und der verständnisvoll-naive Jörg 'Quelmbach ist bunt'. Karl findet sich zwischen den Stühlen wieder…

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Jan Nadelbaum

Bös- und Gutmenschen

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Inhaltsverzeichnis Titel Jan Nadelbaum Bös und Gutmenschen Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Impressum neobooks

1.1

Unsere Geschichte spielt im Herzen Europas, in einem Mittelgebirgsdorf namens Quelmbach, wo rund zweitausend Seelen eine Heimat gefunden haben. Viel gibt es hier nicht, einen Bäcker, eine Metzgerei, zwei Ärzte, eine Apotheke, einen kleinen Lebensmittelladen, den ein oder anderen Handwerksmeister und, ganz wichtig, die Dorfkneipe ‚Bejm Jupp‘ – ein altes Fachwerkhaus neben der Kirche. Hier saßen Ernst Bolz, Karl Schultheiß und Jörg Krume zu ihrem Donnerstagsbierchen an einem kleinen Ecktisch unweit der Theke, hinter der sich Petra, die nicht auf den Kopf gefallene Wirtin, langweilte. Damit das niemand merkte, wischte sie alle zehn Minuten mit einem nassen Lappen immer wieder über die gleiche Stelle, zapfte für irgendjemanden, der vielleicht noch auf ein Pils vorbeikam und spitzte ansonsten nach allen Richtungen die Ohren, genauer gesagt nach zwei Richtungen, nach rechts zu den drei Herren und nach links zur Doppelkopfrunde, die sich ebenfalls jeden Donnerstagabend hier traf.

Seit etlichen Wochen gab es im beschaulichen Quelmbach nur noch ein Thema: Die – wie Jörg sie nannte – Flüchtlinge oder – was Ernst bevorzugte – Einwanderer. Man hatte dem Ort in der Vergangenheit zweimal ein Kontingent zugeteilt. Spätestens beim zweiten kamen erste ernsthaftere Diskussionen auf und einige Quelmbacher hatten ihr Missfallen bekundet. Es verwundert daher wenig, dass es auch an jenem Donnerstagabend nicht lange dauerte, ehe die drei Jugendfreunde zu diesem Thema gelangten. Ernst, ein großer, kräftiger Mann in den Fünfzigern mit prächtigem Kaiser-Wilhelm-Bart (wohlgemerkt der Erste, nicht der Zweite!) polterte los: „Die Afghanen haben mir schon wieder den Müll in den Vorgarten geschmissen! Wenn ich die erwische, dann is wat los!“

„Du weißt doch gar nicht, ob es überhaupt die Afghanen waren“, erwiderte Jörg, das krasse Gegenteil, zierlich, rasiert, irgendwie elegant und daher – sofern man mit dem Landleben eher rustikale Typen verbindet – nicht recht in die Dorfgemeinschaft passend.

„Wer soll’s denn sonst sein? Seit die da sind, hat die Brigitte den Mist in ihren Beeten, und jetzt rate mal, wer ihn rausholen darf?! Richtig! Ich! Es können nur die Afghanen sein!“

„Du steckst voller Vorurteile! Nur weil es Afghanen sind, heißt das doch nicht, dass sie den Müll in deinen Vorgarten schmeißen!“

„Sowas Naives wie dich gibt es echt kein zweites Mal! Du wohnst ja auch weit genug weg, ich hab die vor der Haustür!“

Ernst wurde immer lauter. Dabei wippte sein Backenbart, als wolle er in jedem Augenblick zum Flug abheben. Karl kannte das Schauspiel inzwischen. Er schaute wie so oft auf die sich auflösende Schaumkrone seines Bieres. Der weiße Kranz verkleinerte sich zusehends, während von unten Kohlensäure aufstieg. Hatte was Beruhigendes, so ein Pils, wie gleichmäßig und gelassen die Bläschen nach oben drangen und dann im Schaum verschwanden. Geräuschlos. Unbeirrbar. Wie seine beiden Freunde. Bloß waren die nicht geräuschlos.

„Denk doch auch einmal an die armen Menschen! Was die alles hinter sich haben“, gab Jörg ihm zu bedenken.

„Was hat das jetzt mit dem Müll in meinem Vorgarten zu tun?! Du musst sowieso ganz still sein! Seit ich mich von dir hab‘ bequatschen lassen, auf dieses Flüchtlingscafé zu gehen und meine Familie mitgeschleppt habe, sitzt bei mir dieser Mayo im Haus, weil meine Tochter ihre Hormone nicht im Griff hat!“

„Der heißt Mojo“, korrigierte Jörg.

„Der kann von mir aus auch Ketchup heißen, das ist mir wurscht! Jedes Mal fehlt irgendetwas, wenn der im Haus war!“

„Bei dir sind wohl alle Flüchtlinge Kriminelle?! Dass du dich mal so entwickelst, hätte ich nie für möglich gehalten“, schimpfte Jörg.

„Ich entwickle mich wenigstens! Du bist ja irgendwo in der Pubertät stecken geblieben, zumindest, wenn ich mir dein Weltbild genauer anschaue! Naiv und dumm!“

„Das muss ich mir nicht sagen lassen, nicht von so einem wie dir!“

„Was soll das denn nun heißen?! So kannst du mit deinen Schülern reden, aber mir brauchst du so nicht zu kommen!“

„Dir fehlt es an Empathie!“

„Und dir an Verstand!“

Petra hatte sich zwischenzeitlich vollends den Dreien zugewandt. Die Doppelkopfrunde war nun gänzlich uninteressant. Sporadisch schaute jemand von den Vieren zu Ernst, Jörg und Karl herüber, aber da sich ihnen seit einigen Wochen jeden Donnerstag das gleiche Bild bot, war so etwas wie Gewöhnung eingetreten. Sie ließen sich nicht von ihrem Spiel ablenken.

„Ich hab studiert“, keifte Jörg.

„Ich auch. Es gibt genug studierte Affen!“

„Ja, sieht man!“

„Genau!“

Dies war der Moment, wo Karl für gewöhnlich einschritt, um die Wogen wieder ein wenig zu glätten.

„Das mit dem Café damals war schon eine gute Idee“, gestand er.

„Hä“, fuhr Ernst in zornesrot an.

„Ja, war es“, bekräftigte Karl. „So hatten wir die Möglichkeit, uns alle ein wenig kennenzulernen.“

„Auf die Bekanntschaft hätte ich verzichten können“, grummelte Ernst.

„Die Menschen sind da und wir müssen’s irgendwie hinkriegen. Sie bleiben ja nicht für ewig“, bemerkte Karl.

„Wer’s glaubt“, zischte Ernst.

„Dreiundsiebzig sind für ein Dorf wie das unsrige eigentlich ja ein Klacks“, behauptete Jörg.

Ernst schlug mit der Faust auf den Tisch und setzte gerade an, als Karl beruhigend die Hände hob und Ernst zuerst tief Luft holte, bevor er dann doch losdonnerte: „Klar, das sind sie alle! Da kommt ganz sicher niemand mehr!“

„Ernstsche, Schnäpsje“, rief Petra von der Theke rüber, nachdem Karls Beschwichtigungsversuch offenbar gescheitert war.

„Ja, Petrasche, breng mer’n Schnäpsje“, nahm er kopfschüttelnd das Angebot an.

„Bringste mir auch einen“, fragte ein Herr aus der Doppelkopfrunde.

„Nä, den han esch nur fä de Ernst, wenn de Ernst sich widder su offrecht“, lachte Petra und kam mit einem Kümmel.

„Danke, Petra, dau beßn Schatz“, zwinkerte Ernst ihr zu.

„Lass dat awer net et Brigitte wisse, gell“, ermahnte sie im Fortgehen.

„Nä, niemols, Petrasche, dat blejvt onner oß“, prustete Ernst, schnappte das Gläschen und kippte den Schnaps hinunter.

„Dä! Schon leer“, grinste er.

Jörg betrachtete ihn halb belustigt, halb entsetzt.

„Was ist? Das ist noch nichts für dich, Bubi“, wieherte Ernst los und der Bart wippte erneut, als höbe er gleich ab.

„Bevor ihr’s durch Gerüchte erfahrt,“, verhinderte Karl die sich anbahnende zweite Diskussionsrunde, „es werden in der Tat noch einige kommen…“

„Was? Wie viel“, löcherte ihn Ernst prompt.

Die Doppelkopfspieler legten ihre Karten nieder und blickten allesamt zum Bürgermeister.

„Ich muss morgen zum Verbandsbürgermeister. Er hat mich gestern angerufen und mir mitgeteilt, dass unserem Verband das nächste Kontingent zugeteilt werden wird. Weil drei Viertel bisher in der Stadt untergebracht sind, müsse der nächste Bus nach Quelmbach…“

„Und wieso nicht in die anderen Dörfer“, erkundigte sich Ernst.

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