„Das werdet ihr brauchen. Nehmt, was ihr wollt“, sagte er und deutete auf einen großen Haufen Waffen. „Große Schmiede in alten Zeiten haben sie gefertigt. Sie waren einst für die Getreuesten des Königs bestimmt. Ihr werdet wohl kaum wieder Waffen dieser Güte zu Gesicht bekommen“.
Erstaunt betrachteten Werhan und Horsa die Klingen, die nach all den Jahren noch immer glänzten. Die Hefte der Dolche und Schwerter waren mit Gold und Edelsteinen verziert, die Scheiden mit Silber beschlagen.
„Wenn wir damit gesehen werden“, murmelte Werhan, „haben jeden im Heimland auf unseren Fersen. Diese Waffen sind schön und nützlich, aber auch verräterisch“.
„Ihr sollt sie auch nicht offen tragen“, der alte Mann war über den Unverstand seiner Schützlinge empört. „Ich werde euch zeigen, wie man sich verdeckt bewaffnet“.
Er suchte für alle einen Dolch und für die beiden Männer ein kurzes Schwert. Den Männern band er die Dolchscheide unter den linken Arm. Dort wurde das Messer von Jacke und Mantel verdeckt, konnte aber rasch gezogen werden. Marga band er die Waffe unter ihren Rock an den Oberschenkel. Die Schwerter wurden auf den Rücken geschnallt, so dass man sie über die Schulter ziehen konnte.
„Ihr sehr harmlos aus und seid doch sehr gefährlich“, sagte Montini zufrieden.
Dann verließen sie den Rittersaal und gingen über den Burghof zum zweiten Gebäude. Dort war es viel enger, denn die Räume waren erheblich kleiner, aber dafür wohnlicher. Der Hüter der Berge hatte hier in all den Jahren immer wieder nach dem Rechten gesehen, von Zeit zu Zeit die Möbel repariert und neue Teppiche ausgelegt. In der Ecke stand ein grob gezimmerter Schrank, in dem sich ein kleiner Vorrat an genießbaren Lebensmitteln fand. Sie ließen sich zu einem gemütlichen Mahl nieder. Es gab geräuchertes Fleisch, gesalzene Butter, ein Einmachglas mit Gurken und eine Flasche Rotwein. Brot zauberte Montini aus seiner Umhängetasche. Es war einfach köstlich. Später saßen sie dann satt und zufrieden auf einer steinernen Bank im Burghof, die Nachmittagssonne wärmte ihre Glieder.
Irgendwann sagte der Alte: „Nun seid ihr ausgerüstet. Was wollt ihr jetzt unternehmen? Doch was immer ihr auch tut, merkt euch den Weg zu dieser Burg. Sie kann euch als sicherer Rückzugshort dienen“.
„Wir haben noch immer vor, uns nach Heckendorf durchzuschlagen“, antwortete Horsa. „Ich hoffe, dass wir auf Gutruh sicher sind. Von da will ich Bundesgenossen suchen und den Eindringlingen das Leben schwermachen. Wir werden die Partisanen des Heimlandes sein“.
„Wenn ihr euch da nur nicht täuscht!" Montini schien mit dem Plan nicht besonders zufrieden. Aber er sagte nicht warum, und so schwiegen sie wieder.
„Wie war es vordem hier?" fragte Marga irgendwann.
„Oh, die Männer, die hier Wache hielten, waren stets guter Dinge“, schmunzelte Montini. „Da drüben an dem Hackstock, der heute so alt und vermodert aussieht, stand Eruman und schnitzte. Wenn er nicht gerade aß oder Unmengen Wein trank, dann schnitzte er. Es waren wunderschöne Dinge, die er mit seinen riesigen Händen gestaltete, und sie waren fein und zart. Kleine Vögel, von denen man jeden Augenblick annehmen konnte, sie würden wegfliegen, und Mäuse und Eichhörnchen. Jedes Mal, wenn er wieder ein Figürchen fertig hatte, ging er zu seinen Gefährten und zeigte es stolz. Und alle sahen auf seine mächtigen Pranken, mit denen er den Kopf eines Feindes wie eine Frucht zerquetschen konnte, und staunten.
Und da war dann noch Murowin. Er war ein unglaublich guter Kletterer. Er konnte ohne ein Hilfsmittel eine senkrechte Felswand erklimmen. Immer wenn er keine Wache hatte, ging er auf Tour. Ich glaube am liebsten schlief er in der Wand, wo ihn der Wind umtoste und der Abgrund ihm das Gefühl der Weite und Unendlichkeit vermittelte“.
Werhan war aufgestanden, auf die Zinnen der Mauer geklettert und hatte nach unten gesehen.
Nun kehrte er zurück und sagte: „Diese Burg ist so gut wie uneinnehmbar. Diese Felswände und Mauern kann kein Sterblicher bezwingen. Ist die Burg jemals angegriffen worden?"
„Oh ja, hier wurde einst auf Leben und Tod gekämpft“, sagte der Alte nach einer langen Pause. „Doch dazu muss ich etwas weiter ausholen.
Die Besatzung der Burg bestand in diesen längst vergangenen Zeiten aus vier Mann. Das Land westlich des Thaurgebirges stöhnte unter einem grausamen Krieg, den der tückische Ormor gegen König Arveleg den Ersten entfacht hatte. Man nennt ihn heute den Diamantenkrieg. Diese Burg, von den alten Königen als Zuflucht erbaut, war als letzte Rettung für Arveleg gedacht, falls er den Kampf verlieren sollte, und musste deshalb bewacht werden. Es war wichtig, dass das Geschlecht der Habbas nicht ausstarb.
Diese Burg hier war deshalb ein wichtiger Trumpf in der Strategie der Berater von König Arveleg. Man kommandierte eine Schar Männer zu ihrer Bewachung ab, und da man nicht erwartete, dass sie entdeckt und überfallen würde, war die Schar klein. Die Truppen des Zauberkönigs waren nämlich weit in der Übermacht, und auf gute Krieger konnte in all den Schlachten nur schwer verzichtet werden. So suchte man einige wenige, denen man voll vertrauen konnte. Man fand vier Männer, und die Wahl war gut. Sie galten als überaus tapfer, verloren auch in extremen Situationen nicht die Nerven, und jeder von ihnen stand für eine ganze Kriegerschar. Sie waren für die Aufgabe wie geschaffen. Eruman, Murowin und die beiden anderen hatten den Auftrag nicht gern angenommen. Sie hätten lieber im Kampf ihre Pflicht getan. Nachdem man ihnen jedoch die Bedeutung der Wache erklärt hatte, waren sie einverstanden. So zogen sie in die Berge und waren mit einem Schlag aus dem Krieg in den Frieden versetzt. Und sie gewöhnten sich an den Frieden. Den ganzen Tag hallten die Berge und das Tal von ihrem Singen und Lachen wieder. Jeder von ihnen hatte eine Liebhaberei, der er mit großem Eifer nachging. Von dem Bergsteiger und dem Holzschnitzer habe ich euch schon erzählt. Nun muss ich noch von dem Dritten berichten. Er war ein Steinmetz. Von morgens bis abends bearbeitete er Steine und schuf wunderbare Figuren. Er schaffte es, den Felsen so zu gestalten, dass man seine Geschöpfe für lebend hielt“.
Montini stand bei diesen Worten auf und führte seine jungen Gäste quer über den Hof. Dort standen in einer Ecke große Köpfe, sitzende Figuren und ineinander verschlungene Paare. Aber die Zeit hatte an dem Stein ihre Spuren hinterlassen. Die Nasen hatte der Regen im Sommer und das Eis des Winters abgesprengt, die steinernen Oberflächen waren rau und voller Sprünge. Von der Kunst des Steinmetzen war kaum noch etwas zu erkennen.
„Damit", Montini zuckte die Schultern, „kann ich wohl nicht mehr von den Fähigkeiten Erecs, so hieß der Mann nämlich, überzeugen. Die Jahre haben ihr Vernichtungswerk getan. Menschenkunst kann der Zeit eben nicht widerstehen“.
Jeder setzte sich auf eine der Skulpturen, und der Alte erzählte weiter.
„Erec, der Steinmetz, war jung und sah gut aus. Viele der Frauen in der Ebene dachten mit Sehnsucht an ihn, und so manch' eine trug wahrscheinlich auch ein Kind von ihm unter ihrem Herzen. Er war der Fröhlichste der Besatzung. Er pfiff bereits, wenn er sich morgens von seinem Lager erhob, und er machte noch einen Scherz, bevor er seine Augen zum Schlafen schloss. Doch seine Leidenschaft für den Stein wurde allen zum Verhängnis.
Diese Burg war dem Feind zwar unbekannt und weit abgelegen, aber die Hammerschläge, mit denen er den Fels bearbeitete, hallten weit durch die Berge. Eines Tages war es dann so weit. Sie waren alle früh aufgestanden und hatten sich fröhlich an ihr Tagewerk gemacht. Das Frühstück war gut und reichlich gewesen und der Krieg weit weg. Worüber sollten sie sich Sorgen machen? Die Burg war schließlich so gut wie uneinnehmbar. Von unten war sie das auch, aber nicht von oben.
Читать дальше