Aegidius Gnadenreich
NICHT OHNE MEINE ZÄHNE!
Die Rente als Lebensentwurf
Imprint
Nicht ohne meine Zähne!
Die Rente als Lebensentwurf
Aegidius Gnadenreich
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2012 Aegidius Gnadenreich
ISBN 978-3-8442-3469-5
Meinem Enkel
Wir sind diejenigen,
auf die wir schon lange gewartet haben.
Barack Obama
Früher war alles besser, auch die Zukunft.
Selbst das "Alter" ist nicht mehr das, was es mal war. Vom "Unruhestand" ist die Rede, die Sichtweisen und Klischees ändern sich gerade. Genau genommen ist niemand mehr richtig alt. Das Bild wird bunter - und das ist auch gut so.
In einer Zeit, in der bekanntlich nichts einfacher wird, nimmt auch im Alter die Zahl der einstmals vorgezeichneten Wege ab und die der Wahlmöglichkeiten zu. Aber Freiheit macht auch Angst. Was tun, wenn einem die Rente eigentlich unvorbereitet trifft und ihre praktischen Auswirkungen nach und nach über einen hereinbrechen?
Glücklicherweise leben wir in einem Land mit einer weitgehenden staatlichen und vor allem unmerklichen nichtstaatlichen Bevormundung und Fürsorge. Für alle Wechselfälle des Lebens bietet der Vollkasko-Staat u.a. eine reiche Ratgeberliteratur. So wird z.B. empfohlen, beim Zeichnen von Fondsanteilen nicht hinterrücks zum stillen und damit haftenden Gesellschafter zu werden. Oder in einem Bewerbungsgespräch sollte man nur in der größten Not in der Nase bohren. Männern wird angeraten, nicht erst einen Tag vor einem derartigen Termin zum Friseur zu gehen, um zu vermeiden, dass der eminent wichtige erste Eindruck aus einem nicht besonders verkaufsstarken "Der war beim Friseur" besteht.
Ständig wird davon ausgegangen, dass man selbst überhaupt keine Ahnung habe und dass einem auch nichts mehr einfallen werde. Das muss, das darf nicht so sein.
Genau diese vermutete Lücke, verursacht durch erlernte Unbedarftheit und Hilflosigkeit, die als schmerzlich empfunden werden kann oder auch nicht, will das vorliegende Werk mithelfen zu schließen. Hilfe zur Selbsthilfe ist angesagt; niemand muss mehr alt sein!
Im Herbst
Aegidius Gnadenreich
Ein alter Menschheitstraum ist der Jungbrunnen, in den man alt, klapprig und faltig hineinspringt, um ihm jung, schön und alert wieder zu entsteigen.
Doch selbst wenn es diesen Brunnen gäbe, so einfach ist das nicht. Denn mantraartig wird immer wieder unaufgefordert beteuert, dass man sich natürlich freue, wenn die Menschen älter würden - ganz so, als ob man sich dessen nicht so ganz sicher wäre.
Aber dieser Zug ist längst abgefahren. Schlimmstenfalls ist man alt, aber nicht sooo alt. Eigentlich geht es nur noch darum, wie Alte in Würde jünger bleiben.
Zwar kann nach wie vor niemand ernsthaft behaupten, die Rente träfe ihn, ähnlich wie Weihnachten, völlig überraschend. Wurden wir doch schon in jungen Jahren unmissverständlich darauf hingewiesen, im Erreichen der Rente unser eigentliches Lebensziel zu sehen. Ein Auszubildender, der sich nicht beizeiten um seine Riester- oder Rürup-Rente kümmert, handelt asozial und verantwortungslos - besonders gegenüber Versicherungsgesellschaften, die in ihrer Selbstlosigkeit Derartiges unverdrossen anbieten.
Das Erreichen des Rentenalters wurde vielerorts mit der Illusion verbunden, nach all der Plackerei, nachdem man ein Dutzend Chefs einigermaßen unbeschadet überlebt hatte, endlich dem Hamsterrad entronnen zu sein. Hatte uns das Arbeitsleben nicht so direkt überzeugt, winkte jetzt das wahre Leben.
Wir könnten uns nun auch hauptberuflich voll und ganz der Urlaubsplanung widmen, häufiger Testamente ändern, Volkshochschulkurse bevölkern, die neuesten Bilder der Enkel herumreichen und in Nordic-Walking-Gruppen Angst und Schrecken verbreiten.
Toll!
Natürlich gibt es nach wie vor Leute, die jammern, die in unsäglicher Weinerlichkeit einerseits behaupten, das Alter wäre ein Massaker, nichts für Feiglinge, um andererseits sich damit zu brüsten, diese Lebensphase habe in Wahrheit etwas Heroisches an sich. Was gilt jetzt?
Die Realität sieht nüchterner aus. Wir werden älter, der eigentliche Altersknick tritt um Jahre später ein. Viele arbeiten, wenn auch in Maßen, weiter, sei es, weil sie es müssen, sei es, weil sie es wollen. Gewerkschaften versuchen immer noch, daraus ein Drama zu machen, während woanders längst damit angegeben wird, eben kein Auslaufmodell zu sein.
Früher war man mit Sechzig alt, heute muss man bei 70-Jährigen und Älteren mit dieser Einordnung schon vorsichtig sein. Man denke nur an den Heiligen Vater, an Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones oder an den unnachahmlichen Karl Lagerfeld. Besonders gern werden Start-ups, also neue Unternehmen, gegründet. Seit 1996 wagen z.B. in den USA jährlich mehr 55- bis 64-Jährige als 20- bis 34-Jährige einen Neuanfang.
Das wiederum lässt darauf schließen, dass man möglicherweise doch irgendwie mit dem ewigen Leben rechnet -"Wenn ich einmal sterben sollte"-, dass man aber in jedem Fall begriffen hat, 10, 15 oder 20 ungelebte Jahre gähnen uns an.
Der Unterschied zwischen "alt" und "älter"
Bei einem runden Geburtstag des Autors verzichtete ein guter Freund darauf, den bei diesen Gelegenheiten üblichen vorgezogenen Nachruf auf den Jubilar auszubringen. Stattdessen wies er auf ein interessantes sprachliches Phänomen hin:
Rein grammatikalisch ist jemand, der älter ist, ein Mensch, der vorher schon alt war, der eigentlich älter als alt ist. Es geht gar nicht anders.
In der Umgangssprache dagegen ist es genau umgekehrt: Der oder die Ältere ist eindeutig jünger als der oder die Alte. Um Verwirrung zu vermeiden, werden in den weiteren Ausführungen die genannten Begriffe im umgangssprachlichen Sinne verwendet.
Der Eintritt in den Ruhestand kann als Blitz aus heiterem Himmel oder als fließender Übergang von einer Lebensphase in eine andere erlebt werden. Wie es wirklich ist, hängt nicht nur von den Umständen ab.
Als Spiegel hat der Autor daher eine kleine Typologie entwickelt, in der Sie sich wiedererkennen können oder auch nicht:
- Der Verwirrte
Als Mensch, der Veränderungen nicht gewohnt ist, wird der Verwirrte von seiner Pensionierung völlig überrollt. Das plötzliche Fehlen von Trubel, Telefon- und Handygeklingel und Kontakt zu anderen trifft ihn einigermaßen unvorbereitet. Der Tagesablauf ist nicht mehr automatisch vorgegeben, es gibt fast nichts mehr, das sofort erledigt werden muss, die kleinen Gespräche am Rande entfallen.
Dabei werden wir auf uns selbst zurückgeworfen. Ähnlich wie die Kinder in einem antiautoritären Kindergarten fragen, "Müssen wir heute wieder das spielen, was wir wollen?", bleibt nichts anderes übrig als das zu tun, was wir selbst wollen.
Das ist hart, besonders für Männer. Frauen haben damit kein Problem, sie haben immer Arbeit und sind es gewohnt, viele unterschiedliche Rollen gleichzeitig wahrzunehmen!
In seiner Not greift der Verwirrte jetzt unbewusst zu einer List. Er tut so, als hätte sich eigentlich nichts geändert, er glaubt, im Grunde könne es mehr oder minder so weitergehen wie bisher. Er liest weiterhin die einschlägigen Fachzeitschriften und besucht mehrmals in der Woche seine früheren Kollegen, was diese mit einer stetig absinkenden Wiedersehensfreude quittieren. Es wird immer wieder aufgewärmt, wie der X damals den Y vor die Tür gesetzt hat. Oder es werden eigene unvernarbte Wunden, Kränkungen und Verletzungen geleckt. D.h., es wird etwas aufgefrischt, mit dem wir bewusst abgeschlossen und unseren Frieden gemacht haben sollten.
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