Rudolf verlässt jetzt, mit einem verächtlichen Zug um seinen Mund herum, den Pausenhof.
Übelkeit!
Das Leben ist zum Kotzen!
Es ist sehr oft, verdammt noch mal,
wie schleimig, grüner Rotzen!
Wenn ich die Andern sehe, mit ihrem blöden Gehabe,
jeder will der Mann sein, nur auf ihn kommt es an.
Ekelhafte Typen – dann und wann.
Nichts an ihnen ist der Allgemeinheit zu dienen.
Sich selbst der Nächste sein, das ist der Sinn derer,
die schlängelnd kriechen,
und nicht merken,
wie sie wirklich siechen.
Und das Leben meint es auch noch gut mit Denen,
sie kommen weit und weiter,
auf der verdammten Leiter,
die nach, angeblich oben führt,
in den Himmel der Wohlhabenheit.
Dort - schweben sie, wenn sie es auch nicht merken –
in einer unangenehmen Flüssigkeit.
Zusammengesetzt aus - über Leichen gehen,
über den Anderen stehen,
und diese verruchte Angeberei –
Solche Typen - Wie Polypen –
Wenn ich nur könnte, wie ich wollte –
Die alle würde ich...
Doch warte mal -
Warte mal, denk nach –
Sie sind es gar nicht wert.
Sie sind der Abschaum unsrer Zeit,
wo so viel Unrat fließt
und mich, ehrlich gesagt,
unheimlich verdrießt.
Ich könnte diese Monster hassen.
Und noch weiter könnt ich gehen –
Die Wut ist grenzenlos, am Ende ist das Schamgefühl.
Ich wäre gern genau so groß,
ich würd` aufräumen in dem Saugewühl!
Ich bin ein kleines Menschlein nur,
rege mich hoch auf und wieder ab.
Aber wehe!
Wehe dem, wenn das nicht mehr klappt!
Am Bordstein entlang schlendernd denkt Rudolf:
- Sportlich sein. Dynamisch sein. Kommt man damit viel weiter, wenn man sonst nichts zu bieten hat? Die Blödmänner können ihren Sport selber machen. Die können sich alle die Beine weglaufen, den Arsch aufreißen und sonst was… Bloß um ihre Noten zu verbessern. Wahres Wissen zählt. Jedenfalls für mich. Mit einer Sportnote Mathe verbessern, das fehlt noch. Typisch für diese Zeiten. Hauptsache man kann sich profilieren. Scheiße auch! Warum bin ich nur so fett? Dann fangen die wieder mit ihrem scheiß Fußball an. Das Spiel für welche, die sonst nichts auf die Reihe kriegen. Das richtige Spiel für solche Eierköpfe, wie diesen abgehalfterten Sportlehrer. Auch so ein Großmaul. Wie kann der Analphabet nur Mehlsack zu mir sagen? Was gibt ihm das Recht dazu, einem 17 Jährigen, Mehlsack zu benennen. Die Sau hat wohl nicht von Menschrechten gehört… Sport macht frei… wovon macht Sport frei? Was soll das Gelaber? Der Kerl ist verheiratet, hat drei Kinder, steht unter der Fuchtel seiner Alten… Wo macht da Sport frei? Einmal… nur einmal möchte ich diesem Spira auf dem Feld davonlaufen können… Nur einmal… immer macht dieser Typ aus dem Osten sich lustig über mich… Ich kann nichts dazu, dass ich so dick bin. Das wissen die doch alle! Die begreifen das nicht, dass man krankhaft dick sein kann. Die sind doch so wie so alle dämlich.
Rosi, die… ja… die hat noch nie über mich gelacht.-
Jenseits
Die Engel der Liebe weinen.
Der schwarze Schatten die Erde heimsucht.
Sie senden kleine Blitze an Höllenbeinen
und haben Menschen ausgesucht.
Kampf der Seiten, wie eh und je –
Der blaue Himmel wird zur ewigen Nacht.
Die Rosenblätter welken im Schwefelsee.
Welken, durch der Hölle, Macht.
Sie fliegen umher, die schwarzen Schatten.
Besetzen der Menschen Seelen.
Die wissen nicht mehr, was sie einmal hatten.
Sind bereit sich selbst zu quälen.
Rosenblätter werden zertreten –
Ihr Blut die Erde ertränkt –
Der Mensch hat aufgehört zu beten –
Darum wird er vom Bösen gehängt.
Die Rosenblätter noch hernieder fallen.
Noch kämpft die Liebe, um Menschen.
Die Sonnenstrahlen einen See von Silber füllen,
bis an der Welten Grenzen.
Getauft vom Sonnentau.
Liebende in der Umarmung träumen.
Wehren sich der schwarzen Schatten,
die gierig die Krallen heraus jetzt strecken.
Gleich, des Donners Hall,
sie schlagen auf den Lichtersee,
doch die aufsprühenden Funken,
brennen in ihre Schuppenhaut ein.
Zunächst führt sein Weg nach Haus. Vielleicht geht er doch lieber nicht ins Zentrum. Alles ist so teuer. Zu teuer für ihn und seiner Mutter. Bloß gucken und nichts kaufen zu können war demütigend. Ist sogar verdammt demütigend. Warum geht es anderen Menschen so gut?
Sein Blick fängt die Nachbarin ein. Sie wurstelt wieder ein bisschen im Garten herum. Das alte Mädchen muss an die 80 sein. Das ist also das Schicksal eines alten Menschen? Allein sein, ewig ums Überleben kämpfen müssen? Kleine Rente bekommen, mit dem Minimum leben. Vom Staat nur so viel kriegen, dass man nicht abkratzt, dass man noch die Wirtschaft ankurbelt, wenn man Medikamente braucht, oder was zu essen, oder den Enkeln was zu Weihnachten und Geburtstag schenkt, dafür seinen letzten Euro hergeben muss, danach wochenlang nur Margarine auf dem Brot hat.
Rudolf grüßt Frau Sommer freundlich, wie immer. Gegen alte Menschen hat er nichts. Diese Alten wissen, was Leben heißt. Um so alt werden zu können, muss man schon über eine besondere Art von Intelligenz verfügen.
Die alte Frau sieht zunächst fast erschreckt auf, verzieht dann aber den Mund zu einem Lächeln, das eher aussieht, als hätte sie Schmerzen im Knie. Rudolf tut eilig. Heute hat er keine Lust dazu, sich etwas über ihr Rheuma anzuhören. Die Frau hält ihn auf.
„Entschuldigen sie! Würden sie mir bitte die große Blumenschale von dort nach da verrücken? Ich will, wissen sie, dort ein kleines Blumenbeet anlegen. Mögen sie Vergissmeinnicht auch so gerne?“
Rudolf geht natürlich zu ihr. Die Frau redet unablässig weiter, lässt ihn gar nicht die Zeit, auf ihre Frage zu antworten. Seine Oma war auch so. Nein, so nicht, sie war stärker. Sie war erste Klasse. Genau wie Opa. Die Oma mochte seinen Vater auch nicht. Sie mochte ihn nie. Wie oft sagte sie damals zu Mama, sie solle sich von diesem Säufer scheiden lassen.
Alle Menschen die man liebt, verlassen einen. Überhaupt sterben die Guten immer viel zu früh.
„… habe jetzt kein Geld bei mir. Wir sehen uns ja öfter. Dann bekommst du zwei Euro von mir“, schreckt die alte Frau ihn aus seinen Gedanken.
„Dafür nehme ich kein Geld, Frau Sommer. Habe ich gern gemacht.“
„Bist immer so freundlich. Junger Mann. Gehörst bestimmt nicht zu denen, die alte Leute ärgern. Deine Mutter ist auch nett. Sie kauft mir immer die richtigen Sachen ein. Wie geht es denn deinem kranken Vater?“
Diese verdammte Frage muss ja kommen. Warum fragt die Frau das? Sie erfährt doch immer alles von Mama. Die standen manchmal, wenn Mama Zeit hatte, fast eine halbe zusammen und zerredeten sich die Münder.
Man kann machen was man will, um den „Alten“ zu vergessen. Das gelingt einfach nicht. Irgendwer spricht immer von ihm. Das ist ein richtiger Fluch. Kranker Vater? Krank?
„Habe lange nichts von ihm gehört. Ist wohl noch in dieser Klinik.“
„Eines Tages kommt er bestimmt wieder zu euch zurück. Wenn er gesund ist.“
In Rudolf wächst Groll auf die alte Frau. Warum lässt sie ihn nicht zufrieden damit. Wer weiß schon, was Mama ihr erzählt hat. Die Wahrheit bestimmt nicht. Der alten Frau kann man nichts verübeln.
Rudolf entschließt sich zu nicken.
„Ja, vielleicht. Ich muss jetzt gehen, Frau Sommer. Schulaufgaben machen.“
„Oh, ja, ja. Immer fleißig lernen, damit es später gut geht. Diese vielen Arbeitslosen. Heute muss man was können.“
„Ja! Also dann, Frau Sommer. Einen schönen Tag noch.“
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