Rahff bekam eine zweite Chance als Vater.
Trotzdem fühlte er sich gegenüber Sigha schuldig, auch wenn er es sich nicht erlauben konnte, es zu zeigen. Doch die Zeiten, in denen sie lebten, erforderten, dass nicht nur das Land sich veränderte, sondern auch er, der König. Er konnte sich Mitgefühl nicht mehr erlauben, nicht, wenn er M`Shier töten wollte. Er musste sich beeilen, bevor die Kräfte sich verschoben, und wenn er dafür auf Magie zurückgreifen musste, war ihm auch dieses Mittel recht.
Eigentlich war er hier heruntergekommen, um seine verzweifelte Wut an ihnen auszulassen, doch auf dem Weg zu der abgelegenen Zelle hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Sein Zorn war leider schon verflogen, als er vor die Gitterstäbe trat, dafür war er wieder in der Lage, halbwegs durchdacht vorzugehen.
Es überraschte Rahff jedoch, dass sie keine Furcht vor ihm zeigten, als er an die Zelle herantrat und in den düsteren Raum hineinblickte. Im Gegenteil, sie kicherten, als hätten sie ihn genau hier und genau zu dieser Zeit erwartet.
Ihre Arroganz ärgerte ihn.
»Seht nur, meine Schwestern, welch Hoher Besuch«, schnurrte die eine.
Die anderen drei lachten düster.
»In Anbetracht eurer Lage würde ich mich auf die Knie werfen und betteln«, knurrte Rahff die Hexen an.
Am meisten verunsicherte ihn, dass sie völlig gelassen wirkten, sie schienen keine Furcht zu empfinden. Und trotz aller Folter wirkten sie noch immer wunderschön, jung und stark, geradezu unbeugsam und unverschämt anziehend. Die schönsten Frauen, die er je gesehen hatte, gerade erst erblüht, mit Augen, die das Wissen von alten Frauen ausstrahlten.
»Betteln?«, wiederholte die Hexe mit den langen, dunklen Locken, ihre braunen Augen besaßen ein bösartiges Funkeln, das ihn schaudern ließ. »Warum sollten wir betteln? Wir kennen unser Schicksal bereits.«
»Und hier endet es nicht«, fügte die Hexe hinzu, die Rahff wegen ihrer knabenhaften Gestalt für die jüngste hielt, jedoch war ihr langes Haar schneeweiß, als wäre sie bereits hundert Jahre alt. Ihre hellblauen Augen wirkten fast durchsichtig, als sie ihn amüsiert musterte.
»Ich möchte mit euch sprechen«, begann Rahff im herrischen Ton.
»Wissen wir«, sagte die dritte. Sie wirkte im Gegensatz zu den anderen eher wie eine reife Frau, mit schönen Rundungen, einer prächtigen, haselnussbraunen Haarmähne, einem rotgeschminkten, dicken Kussmund und stechend grünen Augen. Sie betrachtete Rahff lüstern, ihre Augen zogen ihn magisch an. Er schüttelte den Kopf, als umkreisten Fliegen sein Gesicht, um sich aus dem Bann ihrer Magie zu reißen.
»Wir hören trotzdem zu«, ermahnte die vierte Hexe ihre Zirkelschwestern, sie stand auf und warf ihr langes, glattes Haar zurück, das im Schein der Fackel maisgolden leuchtete.
Mit ihrem Wort brach der magische Sog ab, der Rahff fast dazu gebracht hätte, hier und jetzt die Hose runter zu lassen, um dem ketzerischen Weib durch die Gitterstäbe zu Willen zu sein.
»Ihr seid gekommen, um uns einen Pakt anzubieten«, wusste die Hexe mit dem blonden Haar sofort, die anderen drei Weiber hielten ihre Münder, während sie hinter die Gitterstäbe trat und Rahff aufmerksam ins Auge fasste. »Wir sollen Euch die Macht verleihen, einen Blutdrachen zu töten.«
Sie wirkte völlig kalt, während sie darüber nachdachte, und ihre Zirkelschwestern stumme, nervöse Blicke austauschten.
»Ganz recht«, bestätigte Rahff langsam, er fühlte sich nicht wohl dabei, dass sie seine Gedanken bereits erraten hatte. Andererseits war es wohl auch nicht schwer, herauszufinden, was sein Herz nach den letzten Ereignissen am meisten begehrte.
»Im Gegenzug«, versprach er ihnen, »verschone ich eure Leben.«
Sie betrachtete ihn stumm, jedoch vermochte er nicht, in ihren eisernen, kalten Mienen zu lesen, was sie dachten.
»Ich lasse euch frei«, wiederholte er etwas deutlicher, als seien sie schwer von Begriff, »ihr könntet gehen, zurück in den Wald, wenn ihr möchtet. Ich werde Sorge dafür tragen, dass euch nichts geschieht.«
Lange starrte die blonde Hexe ihn an, blinzelte nicht einmal, während ihre Augen die seinen durchforsteten. Er hielt dem Blick stand, zuckte nicht zurück, senkte nicht den Kopf.
Ihre Mundwinkel hoben sich leicht, es wirkte beinahe wie ein Lächeln. »Ich sehe, ihr sprecht reinen Herzens. Es ist die Wahrheit.«
Rahffs Herz schlug schnell in der Brust, er hätte es nicht für so einfach gehalten. »Dann … können wir übereinkommen?«
Doch sie legte bedauernd den Kopf schief. »Oh, armer Rahff, so unwissend.« Sie hob die Arme und legte die Finger um die Gitterstäbe, ihr schmales Gesicht schob sich in die Lücke zweier Stäbe direkt auf sein Gesicht zu.
Er sog ungewollt ihren Duft ein, sie roch nach Lavendel.
»Er hat Euch gezeichnet«, sagte sie mit leiser, ehrfurchtgebietender Stimme und streckte die Hand nach seinem Gesicht aus.
Rahff zuckte unwillkürlich harsch zurück. Sie zog die Hand wieder ein, doch ihre Augen funkelten voller Bewunderung für die Narbe, die Rahff abgrundtief hasste.
»Ich kann die Macht noch spüren, die dem Drachenflügelschwert anhaftet«, hauchte sie, erzittert erregt dabei. »Ich schmecke die Macht, die Eurem Feind anhaftet, durch Eure Wunde. Welch süßer Geschmack. Der Blutdrache! Er ist wahrlich zurück in diese Welt gekehrt.«
Wütend über die Ehrfurcht der Hexe knurrte Rahffs: »Ich hätte Euren Blutdrachen besiegt und getötet.«
»Aber Ihr habt es nicht getan«, bemerkte sie leise lächelnd. »Und jetzt ist es zu spät. Was Ihr auch tut, Ihr könnt die Schlacht um die Krone nicht mehr abwenden. Ihr könnt kämpfen, aber selbst wenn Ihr gewinnt, bleibt Euch nur die Krone. Ihr werdet restlos alles verlieren, dass Euch Menschlichkeit verleiht. Jeden Menschen, der Euch etwas bedeutet. Jede Hoffnung.«
Rahff sah sie drohend an. »Ihr werdet sterben, wenn Ihr nicht-«
»Euer Schicksal ist besiegelt«, hauchte sie ihm überheblich zu. »Der verborgene Erbe wird sich erheben, um nach all der Zeit endlich sein Erbe zurückzufordern. Er wird den Thron besteigen, er wird die goldene Flammenkrone tragen, wie es seine Bestimmung ist.«
Rahff zischte wütend: »Ich werde den Jungen töten!«
Die Hexen kicherten düster, was ihn unsicher umherblicken ließ. Rahff war kein Mann, der sich schnell einschüchtern ließ, aber in ihren Augen und Blicken stand ein Wissen, das ihn eine Gänsehaut einbrachte.
»Was lässt Euch glauben, wir sprechend von dem Jungen?«, fragte die Hexe mit den schwarzen Haaren und den verschlagenen dunklen Augen. Die Weißhaarige kicherte, als sie Rahffs verwirrten Blick bemerkte. »Ihr werdet die Krone verlieren, wenn Ihr nicht bald die Wahrheit erkennt, falscher König«, warnte ihn die Blonde mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. »Der rechtmäßige König ist Euch nicht fremd. Und er kommt Euch Tag für Tag näher.«
Donnergrollen weckte ihn in der Nacht. Vielleicht waren es auch die darauffolgenden grellen Blitze, die nicht einmal von den schweren Samtvorhängen seiner Gemächer gemildert werden konnten. Sein Bett war warm und weich, die schweren Decken hatte er über die nackten Beine bis zur Hüfte hochgezogen. Er murmelte im Schlaf, während er langsam erwachte. Sein Unmut darüber, noch vor dem Morgengrauen geweckt worden zu sein, verflog jedoch schnell, als er sich umdrehte und seinen nackten Körper an den warmen Leib kuschelte, der neben ihm im Bett lag und ihm das Gefühl von Geborgenheit und Heimat vermittelte.
In solchen Momenten fühlte er sich glücklich, wenn die Gedanken und der Morgen noch fern waren und nur er, sein Bett, und der Mann darin existierten, als gäbe es sonst nichts in seinem Leben, das sonst noch eine Bedeutung hätte.
Jene Stunden waren erfüllt von reiner Gegenwart, in ihnen besaß er weder Vergangenheit noch Zukunft, er lebte nur im Jetzt.
Читать дальше