»Sie werden der fünfte sein«, lächelte sie. »Herr Johnson kommt auch. Der arme Johnson fürchtet sich vor Vater. Ich glaube, die Angst ist gegenseitig. In dieser Beziehung ähnelt Vater Herrn Maitland, auch er mag Fremde nicht leiden. Aber auf alle Fälle lade ich Sie ein.«
Des Abends kam Elk, als Dick gerade im Begriff war, sich fürs Theater umzukleiden. Dick erzählte ihm von Ellas Verdacht. Zu seiner Überraschung nahm Elk die aufregende Theorie recht kühl auf.
»Es wäre möglich«, sagte er, »aber es ist auch möglich, daß es gar kein Frosch ist. Der alte Maitland war in seiner Jugend Matrose, wenigstens sagt das die einzige Biographie von ihm, die existiert. Vor zwölf Jahren erschien eine halbe Spalte über ihn, als er Lord Maisters Bauplatz auf dem Embankment kaufte und sein Büro zu vergrößern begann.«
In dieser Woche war Dicks Aufmerksamkeit durch einen ungewöhnlichen Vorfall von den Fröschen abgelenkt worden. Am Dienstag hatte der Sekretär des Auswärtigen Amtes nach ihm geschickt, und er war zu seiner Überraschung von dem höchsten Herrn des Departement persönlich empfangen worden.
»Hauptmann Gordon«, sagte der Minister, »ich erwarte aus Frankreich die Kopie des Handelsvertrages, der zwischen uns, der französischen und der italienischen Regierung geschlossen werden soll. Es ist sehr wichtig, daß dieses Dokument wohl bewacht wird, weil, wie ich Ihnen im Vertrauen sagen kann, es von einer Revision der Tarifaufstellung handelt. Es ist von höchster Wichtigkeit, daß der Bote des Königs, der den Vertrag überbringt, auf das peinlichste bewacht wird, und ich wünsche, den gewöhnlichen Polizeidienst zu ergänzen, indem ich Sie ihm nach Dover entgegenschicke. Es ist ein bißchen außerhalb Ihrer Pflichten gelegen, aber Ihr Nachrichtendienst während des Krieges mag mir zur Entschuldigung dienen, wenn ich diese Verantwortung auf Ihre Schultern lege. Drei Mitglieder der französischen und der englischen Geheimpolizei werden ihn nach Dover begleiten, während Sie und Ihre Leute den Wachdienst übernehmen werden. Und Sie werden persönlich zugegen sein, bis das Dokument in meinem eigenen Safe deponiert wird.«
Wie so viele wichtige Aufgaben, erwies sich auch diese als absolut uninteressant. Der Bote wurde auf dem Kai von Dover abgeholt, in ein Pullmancoupée geleitet, das für ihn reserviert worden war, und zwei Leute von Scotland Yard patrouillierten auf dem Lauf gang.
Beim Victoriabahnhof empfing ein von einem Polizeichauffeur gesteuertes und von Bewaffneten begleitetes Auto Dick und den Boten und fuhr sie nach Calden Garten. Der Sekretär des Auswärtigen Amtes prüfte sorgfältig die Siegel und legte das Kuvert dann in Gegenwart Dicks und des Detektivinspektors, der die Eskorte befehligt hatte, in den Safe. Der Auswärtige Minister sagte, nachdem alle Besucher außer Dick ihn verlassen hatten, mit einem feinen Lächeln: »Ich glaube kaum, daß unsere lieben Freunde, die Frösche, daran besonderes Interesse nehmen. Und doch waren sie die Veranlassung zu meinen außerordentlichen Vorsichtsmaßregeln. – Es ist wohl noch keine weitere Spur von Genters Mördern gefunden worden?«
»Keine, Exzellenz, soweit mir bekannt ist. Einheimische Verbrechen gehören eigentlich nicht in mein Ressort, und es kommt kein Vergehen irgendwelcher Art vor den Staatsanwalt, ehe der Fall gegen einen der Angeklagten nicht fertig vorgelegt werden kann.«
»Das bedaure ich«, sagte Lord Farmley. »Mir wäre es lieber, wenn die Froschangelegenheit nicht gänzlich in den Händen von Scotland Yard bliebe. Sie bedeutet eine solche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, daß ich es angebracht fände, wenn eine eigene Abteilung die Nachforschungen führen würde. Mir schwebt bereits ein solcher Plan vor.«
Dick hätte gern gesagt, daß ihn diese Kontrolle außerordentlich verlocke, aber er hielt noch an sich.
Seine Lordschaft strich bedächtig über seine Stirn. »Ich werde mit dem Premierminister sprechen«, sagte er, »und Sie für diese Stelle vorschlagen.«
Zeitig am nächsten Morgen wurde Dick Gordon nach Downingstreet vorgeladen, und es wurde ihm mitgeteilt, daß ein spezielles Ressort geschaffen worden sei, das sich ausschließlich mit jener Gefährdung der Öffentlichkeit beschäftigen sollte.
»Sie haben Carte blanche, Hauptmann Gordon. Man mag mich tadeln, weil ich Ihnen diese Stellung gegeben habe, aber ich bin ganz sicher, den richtigen Mann gefunden zu haben«, sagte der Ministerpräsident. »Sie können jeden Offizier von Scotland Yard wählen, den Sie zu verwenden wünschen.«
»Ich werde Sergeant Elk nehmen«, sagte Dick sofort, aber der Ministerpräsident sah ihn mit zweifelnden Blicken an.
»Das ist gerade kein hoher Rang«, wandte er ein.
»Er ist ein Mann mit dreißig Dienstjahren. Lassen Sie ihn mir, Exzellenz, und geben Sie ihm den Rang eines Inspektors.«
Der Ministerpräsident lächelte. »Wie Sie wünschen.«
Und als Sergeant Elk am gleichen Nachmittag die Beförderungsliste durchsah, begrüßte ihn sein neuer Titel.
War es nicht Torheit, von dem kommenden Sonntag zu träumen, von dieser Stimme, von diesem Mädchengesicht?
Dick hatte Schönere schon bewundert, Stolzere, oder solche, aus denen eine launisch fesselnde Seele sprach. Aber was ihn bewegte, wenn die Erinnerung diese zarten Züge widerspiegelte, war anderes, war mehr. Noch nie hatte er einen Sonntag so ungeduldig herbeigesehnt.
Als er mit einem Lächeln der Erwartung das Tor des Gartenzaunes öffnete, sah er die rundliche Gestalt des philosophischen Johnson in einem Gartenstuhl ausgestreckt. Der Sekretär erhob sich, um ihm mit einem Ausdruck unendlichen Wohlwollens die Hand zu reichen.
»Ray sagte mir, daß Sie kommen würden, Hauptmann Gordon. Er ist mit Fräulein Bennett im Obstgarten, und wie ich aus einem gelegentlichen Blick entnehmen konnte, bekommt er gerade eine Gardinenpredigt.«
»Geht er nicht mehr ins Büro?« fragte Dick.
»Ich fürchte, es ist für immer aus.« Johnsons Gesicht wurde traurig. »Ich selbst mußte es ihm sagen. Der Alte hatte es herausgefunden, daß er weggeblieben war, und durch irgendein höchst listiges und unterirdisches Nachrichtensystem hat er erfahren, daß Ray ein unsolides Leben führt. Er ließ einen Buchsachverständigen kommen, um die Bücher nachzusehen, aber die waren, Gott sei Dank, alle in bester Ordnung. Ich bin selber beinahe hinausgeflogen.«
»Wissen Sie vielleicht, wo Maitland wohnt?« fragte Dick langsam, »und in welcher Umgebung? Besitzt er ein Haus in der Stadt?«
Johnson lächelte. »Ja gewiß«, sagte er sarkastisch. »Erst vor einem Jahr habe ich entdeckt, wo es liegt, und bis jetzt habe ich es noch keiner Seele gesagt. Der alte Maitland wohnt in einer Gegend, die beinahe ein Elendsquartier zu nennen ist. Er wohnt schlecht, ganz so ärmlich wie ein Arbeitsloser. Und dabei besitzt er Millionen. Er lebt mit seiner Schwester. Sie besorgt den Haushalt und hat wohl nicht viel Arbeit damit. Nie habe ich gesehen, daß Maitland auch nur einen Penny für sich ausgab. Er trägt den gleichen Anzug seit dem Tag, an dem ich zu ihm kam. Zu Mittag nimmt er ein Glas Milch und eine Zwei-Pence-Semmel zu sich und versucht manchmal, mich dahin zu bringen, sie für ihn zu bezahlen.«
»Sagen Sie mir, Herr Johnson, warum der Alte Handschuhe im Büro trägt?«
Johnson schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Früher dachte ich, daß es nur geschieht, um die Narbe auf seinem Handrücken zu verdecken, aber er ist nicht der Mann, der deswegen Handschuhe tragen würde. Seine Arme sind bis zur Schulter hinauf mit Kronen und Ankern und Delphinen tätowiert.«
»Vielleicht auch mit Fröschen?« fragte Dick.
»Nein, einen Frosch habe ich noch nie an ihm gesehen. Ein Bündel von Schlangen ist auf sein Handgelenk tätowiert, das habe ich gesehen. Mein Gott, Maitland wird doch nicht etwa ein Frosch sein?«
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