Grundsätzlich motivieren unterschiedliche Interessen die Vermittler von Literatur. In der Theorie Bourdieus bildet das Streben nach symbolischem oder ökonomischem Kapital die Extreme dieser Positionen (Vgl. Kap. 2.1) – i.d.R. wird jedoch eine Kombination aus beidem das Handeln der Akteure bestimmen, wobei sich die Anteile der jeweiligen Motivation stark unterscheiden können (abhängig z.B. vom Profil des jeweiligen Verlags, von der Umsatzstärke eines Konzerns oder der inhaltlichen wie wirtschaftlichen Unabhängigkeit einer Institution).
Auf inhaltlicher Seite kann die Vermittlung verschiedene Strategien verfolgen:
Je nachdem, ob der Vermittler auf eine Egalisierung oder auf eine Differenzierung der beiden Kulturen hinarbeitet, und ob er dann diese Unterschiedlichkeit positiv oder negativ bewertet, ob er das Fremde funktionalisiert, in dem Sinne, dass zum Beispiel eigene Auffassungen unterstützt werden, oder für sich stehen lässt, ob das Fremde stereotyp oder differenziert betrachtet wird, lassen sich die Vermittler dem Ziel ihrer Tätigkeit und den dafür angewendeten Mitteln nach unterscheiden. 33
Mälzer-Semlinger zufolge könne der Vermittler das Transferobjekt also durchaus instrumentalisieren und, extrem formuliert, entweder nutzen, um bestehende Vorstellungen im Aufnahmefeld zu bestätigen, oder um selbige durch Neues zu ergänzen und somit die Differenz der Kulturen zu unterstreichen. Teil dieser Arbeit wird es ebenfalls sein, herauszufinden, welche Rolle bereits bekannte Titel, Themen und Trends für die Auswahl der in Frankreich übersetzten Werke im 21. Jahrhundert spielen.
Wie der Transferprozess im Detail aussieht, beschreibt Bourdieu in drei Etappen. Der erste Schritt bestehe zwangsläufig in der bewussten Selektion einzelner Titel („qu‘est-ce qu‘on traduit? qu‘est-ce qu‘on publie? qui traduit? qui publie?“ 34– sie bezieht sich also auf die Wahl von Text, Autor, Übersetzer und Verlag). Bereits die Tatsache, dass ein Text übersetzt wird, erhöht in vielen Fällen dessen symbolischen Wert. Die gatekeepers des Literaturbetriebs handeln dabei immer auch nach subjektiven Interessen, wobei diese unterschiedlich stark ausgeprägt sind:
[...] ce n‘est pas par hasard que Benet, le grand romancier espagnol, paraît aux éditions de Minuit. Faire publier ce que j‘aime, c‘est renforcer ma position dans le champ – cela que je le veuille ou non […]. 35
Im zweiten Schritt trage die opération de marquage dazu bei, dass der Text durch externe Instanzen eine Kennzeichnung erfährt. Häufig sei damit eine indirekte Zuweisung von Wert verbunden. Der Selektionsprozess werde gewissermaßen verteidigt, die Qualität des Textes bzw. die Leistung des Entdeckers/Verlegers/Übersetzers hervorgehoben, das Werk argumentativ in eine fremde Kultur eingeführt. 36Denkbare Kennzeichnungselemente seien z.B. Vorwörter (Text und Autor des Vorworts), die Wahl eines Verlages bzw. der collection innerhalb eines Hauses (hier zeigen sich leichte Überschneidungen zur Selektion) sowie die Art der Gestaltung eines Buchcovers („le sens de la marque imposée à l‘oeuvre“ 37). Am Ende der Kette des literarischen Transferprozesses stehe die Lektüre selbst, die, wie zuvor beschrieben, einer Kontextverschiebung unterliegt. Die Vermittler als Erstleser der Aufnahmekultur sowie das Publikum nach der Übersetzung wenden eigene Wahrnehmungskategorien auf das literarische Werk an und ordnen es neu ein. 38
Um einzelne Aspekte der literarischen Vermittlung deutschsprachiger Texte nach Frankreich besser verstehen zu können, untersucht diese Arbeit vor allem die erste Phase des Transfers, die Selektion der Titel. Um die Kennzeichnungs- und Rezeptionsprozesse soll und kann es nicht oder nur am Rande gehen, falls die Vermittlungsinstanzen in ihrer Entscheidung bezüglich dieser Belange bewusst vorgreifen oder die Prozesse Überschneidungen aufweisen. Es gilt im Zuge der Analyse herauszufiltern, nach welchen Kriterien französische Verlage und Vermittler ihre Auswahl tätigen und welche Faktoren sie dabei beeinflussen. Als Korpus dient ein Großteil der Übersetzungen der letzten 13 Jahre, die im folgenden Teil der Arbeit zunächst statistisch ausgewertet werden sollen.
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