Rengin Agaslan - Linden Fiction 2050 - Utopien zur Stadtteilentwicklung

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Linden Fiction 2050 - Utopien zur Stadtteilentwicklung: краткое содержание, описание и аннотация

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Das Buch Linden Fiction 2050 ist eine Auswahl der utopischen literarischen Kurzgeschichten, die LindenerInnen im Jahr 2015 im Rahmen des gleichnamigen Projekts eingereicht haben. Die Kurzgeschichten präsentieren den Blick der in Linden lebenden und/oder arbeitenden TeilnehmerInnen auf ihren Stadtteil; ihre Ängste, ihre Zukunftswünsche und ihre Vorstellungen über das Zusammenleben im Stadtteil.
Ein bunter Querschnitt durch einen bunten Stadtteil – umso erstaunlicher mutet die Tatsache an, dass ein Großteil der Geschichten die Zukunft eher sorgenvoll beleuchtet. Die Angst vor Übertechnisierung, gesellschaftlicher Verarmung, Entsolidarisierung und Kontrollinstanzen spiegelt sich in vielen Beiträgen wider, ganz im Gegensatz zum ursprüng-lichen Konzept von Linden Fiction 2050.
Oder wie ein Teilnehmer es sehr treffend formulierte: «Utopie geht anders».
Doch die unerwartet dystopische Ausrichtung macht vielleicht sogar noch deutlicher, dass enormer gesamt-gesellschaftlicher Handlungsbedarf besteht, um eine Basis für positive Zukunftsvisionen zu schaffen.

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Dank

Das Projekt Linden Fiction 2050 des Kulturzentrums Faust konnte nur dank finanzieller Unterstützung realisiert werden. Wir bedanken uns für die Förderung durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die LindenLimmer Stiftung .

Einleitende Worte

Das Buch Linden Fiction 2050 ist eine Auswahl der utopischen Kurzgeschichten, die LindenerInnen im Jahr 2015 im Rahmen des gleichnamigen Projekts eingereicht haben. Die Kurzgeschichten präsentieren den Blick der in Linden lebenden und/oder arbeitenden TeilnehmerInnen auf ihren Stadtteil; ihre Ängste, ihre Zukunftswünsche und ihre Vorstellungen über das Zusammenleben im Stadtteil.

Das Buch ist für alle gedacht, die dieser originäre Blick der hier lebenden Menschen auf ihren Stadtteil interessiert. Insbesondere hoffen wir, dass auch StadtplanerInnen, PolitikerInnen und die hiesige Stadtverwaltung die eine oder andere Anregung darin finden. Die utopischen literarischen Kurzgeschichten sind eine Möglichkeit, Gedanken schweifen zu lassen und etwas über grundsätzliche Stimmungslagen und Bedrückungen zu erfahren, jenseits der Fragen zu hoher Bürgersteigkanten, mangelnder Grünflächen oder ähn-lichem.

Jörg Djuren (Kulturzentrum Faust e.V.)

WER SCHREIBT, DER BLEIBT.

Für das Vorwort dieses Buches wäre eine Überschrift à la Grenzenlose Vielfalt sicherlich vollmundiger, träfe allerdings nicht den Tenor der Beiträge.

Vielfältig sind jedoch sicherlich die AutorInnen der vorliegenden Kurzgeschichten: So haben eine Handvoll Schülerinnen der Helene-Lange-Schule ebenso ihre Gedanken zu Papier gebracht wie Berufstätige oder Rentner, Menschen deutscher Herkunft ebenso wie Menschen mit Migrationshintergrund.

Noch vielfältiger die Motivation der Einzelnen: Im Rahmen eines Schulprojekts, aus Leidenschaft zum Schreiben an sich, aus dem Wunsch heraus, Zeitzeugnis abzulegen oder als Katalysator – der gemeinsame Nenner die Verbundenheit mit Linden als einem elementaren Teil der Lebens- bzw. Arbeitswelt.

Ein bunter Querschnitt durch einen bunten Stadtteil – umso erstaunlicher mutet die Tatsache an, dass ein Großteil der Geschichten die Zukunft eher sorgenvoll beleuchtet. Die Angst vor Übertechnisierung, gesellschaftlicher Verarmung, Entsolidarisierung und Kontrollinstanzen spiegelt sich in vielen Beiträgen wider, ganz im Gegensatz zum ursprüng-lichen Konzept von Linden Fiction 2050 .

Oder wie ein Teilnehmer es sehr treffend formulierte: „Utopie geht anders“.

Doch die unerwartet dystopische Ausrichtung macht vielleicht sogar noch deutlicher, dass enormer gesamt-gesellschaftlicher Handlungsbedarf besteht, um eine Basis für positive Zukunftsvisionen zu schaffen.

Wir danken allen AutorInnen dafür, dass sie das Wort ergriffen haben – und ich insbesondere, weil sie mir im Rahmen der Lektoratsbesprechungen über die Ebene der literaturkritischen Auseinandersetzung hinaus einen Einblick in ihre ganz persönliche, vielgestaltige Utopie gewährt haben.

Ute Finkeldei

Dort wo keine Dunkelheit herrscht

Die Jungs waren schon weg. Haruki, den sie alle Hulki nannten, musste am nächsten Morgen Hanteln stemmen. Sonny, jüngster Spross des Solarmoguls Alessandro Rossi Senior, war eine Flasche Herrenhäuser über seine schnieken Sneakers gekippt, und weil sein alter Herr eben erst sechs Hunnis dafür hatte springen lassen, war Alessandro Junior rasend nach Hause gestampft. Der schöne Pablo, eigentlich hieß er Pavel, checkte bestimmt noch in der Glocke oder Faust die Mädels ab. Und Serhat, den sie Serge riefen und dabei das 'ä' vor dem 'sch' schelmisch in die Länge zogen, hatte einen seiner polnischen Abgänge hingelegt, und sägte gewiss längst selig vor sich hin. Die Jungs machten sich einen Heidenspaß daraus, ihre Herkunft zu vertuschen. Vertuschung durch Vertauschung, das war ihr Volkssport. Selbst auf Klassenarbeiten notierten sie gelegentlich ihre falschen Namen, und feierten sich jedesmal aufs Neue, wenn Frau Clemens aus Versehen »Achim« statt »Ahmed« herausrutschte.

Ahmed und Nori saßen am Ihmeplatz 8, mit dem Rücken zu dem Betonkoloss, der klotzig zum Sternenhimmel ragte, ein mächtiger Thron über dem fahlen Fluss, über den Ahmeds und Noris stumme Blicke schweiften. So selbstlos dieser Fluss links der Leine, schenkte einst dem Ihme-Zentrum seinen Namen, und hielt ihm in guten wie in schweren Tagen die Treue, eine achtzig Jahre anhaltende Achterbahnfahrt, oder wohl eher Wildwasserbahnfahrt. Achtzig Jahre, da feierten Brautpaare ihre Eichenhochzeit, Ahmed wunderte sich über diese Bezeichnung, erst kürzlich hatte er sie gelesen, während von unten der Bass aus dem Offlíhme waberte und die Bänke vor der Lenz Bar sanft erzittern ließ. Viel cooler waren ohnehin 31 Jahre, fand Ahmed: Lindenhochzeit. Linden Love. Das war mal eine Aussicht. Das Problem nur, dass Nori nicht eingeweiht war in seine Träumereien, nein, eigentlich sogar keinen blassen Schimmer davon hatte. Es war an der Zeit, das zu ändern, seinen Traum mit ihr zu teilen. Alles wurde hell, als der Mond aufging. Ein Firmament so hell, so voller Sterne, dass es gleißend vor sich hindämmerte. Es war eine wundervolle Nacht, eine weiße Nacht, wie sie nicht auszudenken war in Hannover, und die allenfalls erleben konnte, wer jung war. Und natürlich offline. So wie Ahmed und Nori.

Tagein, tagaus waren die Jungs hier anzutreffen, an der hippen Uferpromenade des Ihme-Zentrums, auf dem Platz vor der Lenz Bar , in der vor wenigen Stunden U3000 gespielt hatten. Am liebsten »lenzten« die Jungs mit Pilzsuppe und Kürbislimo aus der VoKü, manchmal waren's auch Kürbissuppe und Pilsener; Ahmed und Haruki oft ausgepowert vom Training bei Dr. Lee, gleich nebenan in der Kampfkunst-Akademie. Ach, das Ihme-Zentrum, Ahmed liebte es. Liebte das Squashen mit Sonny auf den alten Parkdecks, liebte es im Ihme-Bad seine Bahnen zu ziehen, liebte selbst die altbackene Holzvertäfelung in Dr. Lees Studio. Liebte die nächtlichen Schnäppchenjagden in der Kaufhalle, wenn die dynamischen Preisschilder mal ihre seltenen Schwächen offenbarten, nie jedoch bei den Bierpreisen, die zu später Stunde so verlässlich in die Höhe schnellten, dass man die Uhr danach stellen konnte. Liebte das Nachtleben, unten im Offlíhme . Liebte das »Lenzen« und Touris beobachten, wie sie in Scharen zum UrbanArts_Museum oben an der Blumenauer pilgerten. Liebte den Keller (((o)))of Kunst mit den Brillianten Brutalisten, und all die kleinen Ateliers, die irgendwie immerzu im Umbruch waren. Liebte die urbanen Mikrofarmen und Gartenoasen, die verstreut waren in allen Winkeln des Ihme-Zentrums. Und liebte vor allem die Sonnenuntergänge im Aussichtslos .

Das Ihme-Zentrum war Ahmed und seinen Jungs ein persönlicher Freizeitpark. Ihre Stadt, ihr Viertel, ihr Block. Und bald wollte Ahmed hier auch studieren. Die Fakultät für Medien, Information und Design hatte rund um das ehemalige Stadtwerke-Hochhaus ihren Campus. Welcher Studiengang war ihm im Grunde schnuppe. Nur leider war die Warteliste für das Studentenwohnheim so lang, dass sie locker vom Aussichtslos bis runter zur ominösen U-Bahn-Station im tiefsten Keller des Ihme-Zentrums reichte. Die normalen Wohnungen im Ihme-Zentrum waren fast unbezahlbar seit Linden-Nord in Sachen Hipness übertrumpft worden war. Einzig Sonny wäre dort ein Apartment vergönnt gewesen, aber dem war das Ihme-Zentrum zu »kulturell«, wie er zu sagen pflegte, Sonny wohnte lieber bei Vati in der Jugendstil-Villa am Lindener Berg und weilte überhaupt lieber an nobleren Orten. Seine Lieblingsboutique war Der Moderne Mann am Lindener Markplatz, auch in den geleckten Shopping-Malls in Hannovers City gab Sonny gerne Papas Geld aus.

Seit vorhin in der Lenz Bar war Ahmed besessen von dieser Melodie. Ob es Nori auch so ging? Dieser U3000-Ohrwurm war niemals vorbei: »Immer nur weiterrennen / Immer die Nacht durchpennen / Immer nur Leute sehen / Immer im Weg rumstehen / Immer noch Lose kaufen / Immer nur rückwärts laufen / Immer im Gewitter stehen / Immer nur die Gitter sehen / Immer Riesenrad fahren / Immer gegen euch an / Immer zu lang gewartet / Immer noch mal gestartet / Immer noch nichts gewonnen / Immer nur ganz verschwommen / In eure Augen sehen / Und immer den Kopf verdrehen.«

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