Edgar Wallace - Der Preller
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LUNATA
Der Preller
Kriminalroman
© 1927 by Edgar Wallace
Originaltitel The Mixer
Aus dem Englischen von Ravi Ravendro
© Lunata Berlin 2020
Inhalt
Die Täuschung der Pony Nelson
Die Rennlotterie
Eine Aktienspekulation
Der fingierte Bankraub
Mr. Limmerburgs Reinfall
Engster Wettbewerb und seine Folgen
Wie ein Fuchs in die Falle ging
Mr. Sparkes, Detektiv
Der U-Boot-Jäger
Ein merkwürdiges Filmabenteuer
Das Mädchen von Gibraltar
Eine Spielklub-Razzia
Der Gelegenheitskauf
Der Fall der Dolly de Mulle
Der vierundsiebzigste Diamant
Filmkurse per Post
Der Zusammenbruch der Billiter-Bank
Schätze in Spanien
Die Täuschung der Pony Nelson
Seit Jahren war Pony Nelson, der Hochstapler und Falschspieler, nicht so glücklich gewesen. Sein letzter Raubzug, dessen Hergang mit dieser Geschichte nichts zu tun hat, brachte ihm mehr als fünfunddreißigtausend Pfund Sterling ein. Selbst nach reichlichen Spenden an seine Mitarbeiter blieb ihm noch genug, daß er weitreichende Pläne machen konnte. Eine Sommerreise per Auto, eine Angelkarte im mondänsten Fischparadies, eine Jagdhütte in Schottland, das waren mehr oder weniger die Freuden, die Pony Nelson sich aus den Erträgnissen seines Fischzuges zu verschaffen gesonnen war. Im letzten Augenblick vor Antritt dieser geplanten Reise erhielt er von seinem Freund, dem Kriminalinspektor Bradley von Scotland Yard, noch einen Wink, daß sein unversöhnlichster Feind, Kriminalsergeant Sennet, ihm scharf auf den Fersen sei und nur noch geringe Beweise brauche, um ihn für längere Zeit hinter schwedische Gardinen zu bringen. Ohne zu zögern, sprengte Pony das Gerücht aus, daß er seinen Paß in Ordnung habe und im Begriff sei, Südfrankreich aufzusuchen.
Das Stammlokal der Bande, die ›Sieben Federn‹, sah am selben Abend sämtliche Mitglieder der ›Nelson-Bande‹ zum Abschied vereinigt: Simmy Diamond, Colethorpe, May Blumenthal und Chris O'Heckett sprachen dem leckeren Mahl und den ausgewählten Weinen, die Pony zum Abschiedsdiner anfahren ließ, ebenso freigebig zu wie ihr Chef. Der ›Preller‹ war nicht anwesend, denn er gehörte nicht zur Bande des erfindungsreichen Pony, obwohl er über ihn und seine Pläne genauso gut unterrichtet war wie Nelson selbst.
»Du hast wirklich enormen Massel gehabt«, meinte May, die neben Pony saß. Pony kicherte.
»Ja, die Geschäfte hätten schlechter sein können«, antwortete er vergnügt, »aber ich fahre doch jetzt weg, obwohl die Saison kaum begonnen hat. Schade, daß ich so viele Lämmlein ungeschoren zurücklassen muß.«
Er schüttelte bedauernd den Kopf. Pony liebte es zu posieren – diese Eigenschaft hatte er mit vielen großen Künstlern gemeinsam.
»Ja«, fuhr er nachdenklich fort, »ihr habt es gut; ihr könnt hierbleiben und leicht Geld verdienen. Ich gönne es euch, aber der Gedanke, daß ich völlig abseits stehen soll, schmerzt mich doch.« Er unterbrach sich, und ein Funken blitzte in seinen Augen auf. »Ich fahre morgen früh«, meinte er. »Um acht. Meine Koffer sind schon aufgegeben.« Wieder ließ er eine sprechende Pause eintreten, und die anderen Teilnehmer am Abschiedsmahl harrten gespannt der Dinge, die, wie sie wußten, schnell genug kommen würden. »Die Reise wird teuer werden«, Ponys Augen blitzten vor verhaltenem Lachen, »wahrscheinlich mehr als hundert Pfund, denn Fahrt, Trinkgelder und dergleichen verschlingen eine Masse Geld.«
Diese Mitteilung löste bei seinen Kumpanen lautes Gelächter aus, denn alle wußten, daß Pony in den verschiedenen Taschen seines eleganten Abendanzuges über vierzigtausend Pfund Sterling verborgen hatte.
Als erste wurde sich May darüber klar, was der Chef eigentlich meinte.
»Sei kein Esel, Pony«, warnte sie ihn ernst. »Du hast genug und solltest dich nicht wieder in Gefahr begeben. Geh nach Hause und schlaf dich aus. Fahre ruhig los. Ja, ich weiß schon, was du im Sinn hast.«
»Nun?« forderte Pony sie heraus.
»Du willst noch eine Kiste landen, um deine Reisespesen zu verdienen. Was wirst du damit erreichen? Nichts weiter, als daß dich die Polizei noch auf dem Bahnhof festnehmen wird. Du weißt, daß Sennet scharf hinter dir her ist, und wenn du einen einzigen Fehler begehst, hat er dich unwiderruflich beim Schlafittchen.«
Der andere lachte.
»Die Polente ist seit Jahren hinter mir her, May«, sagte er, »und hat mich bisher noch nicht schnappen können, nicht wahr? Glaubst du wirklich, May, daß ich mich jetzt noch in letzter Stunde von ihr angeln lasse? Nein, Kind, wenn ich heute Abend wirklich noch eine Sache drehe, dann darf es nur eine bombensichere sein. Und – ich werde schon was finden!«
Nun mischte sich auch Simmy ins Gespräch.
»Du forderst das Schicksal heraus, Pony«, erklärte er kopfschüttelnd. »Wie oft sind uns unsere besten Leute verschütt gegangen, weil sie nicht genug bekommen konnten! Du darfst dir doch nicht einbilden, Chef, daß niemand etwas von dir weiß. Jeder verdammte Plattfuß in Uniform kennt dich und weiß, was für ein Geschäft du betreibst. Wenn sie den Schatten eines Beweises gegen dich hätten, würden sie dich schon lange festgenagelt haben. Wo du hingehst, wirst du beobachtet. Seit wann bist du so leichtsinnig geworden, eine Sache ohne genügende Vorbereitungen zu drehen? Wie kannst du deine Spuren verwischen, wenn du noch nicht einmal weißt, was und wie du die Sache drehen wirst?«
Den anderen Anwesenden leuchteten die Vorhaltungen Simmys ein, und sie murmelten beifällig, aber Pony hatte schon ein wenig zu viel des guten Weines getrunken und war, in Voraussicht der kommenden guten Tage, übermütig geworden. Ja, er hatte gut verdient, trug genug Geld bei sich, um sorglos einige Jahre leben zu können, aber – sein Ruf stand auf dem Spiel! Er vertraute seinem Glück blindlings.
»Mir scheint, als täten euch Ferientage auch recht gut, Kinder«, meinte er ironisch. »Was ist denn mit euch los? Ihr glaubt doch nicht etwa, ich würde jetzt hier weggehen und das Schaufenster eines Juweliers einschlagen, wie? Oder vielleicht auf dem Piccadilly, wo die Polente herumwimmelt, jemand niederschlagen, um ihm die Brieftasche abzunehmen? Paßt auf: Ich hole mir meine hundert Pfund, um meine Reisespesen zu verdienen! Es wird wie geschmiert gehen!«
Simmy lachte verächtlich.
»Du scheinst immer noch an Wunder zu glauben«, brummte er.
Und das Wunder ereignete sich.
Die ›Sieben Federn‹ nahmen das Erdgeschoß und das erste Stockwerk eines Hauses in Soho ein. Pony hatte sich mit seiner Gesellschaft in einem Zimmer zu ebener Erde niedergelassen, weil er hier die Möglichkeit ungestörter Beobachtung aller Ein- und Ausgehenden hatte. Sein Tisch stand in einer Art Alkoven, der vom übrigen Lokal durch einen Vorhang getrennt war und nur noch zwei anderen Tischen Platz bot. Im Hauptteil des Zimmers befand sich eine Bar, deren Cocktails in Kennerkreisen den besten Ruf genossen. Vom Zimmer aus führten drei Ausgänge ins Freie, ein weiterer Grund, warum Pony gerade das Erdgeschoß als Festraum benutzte. Von seinem Platz aus konnte er durch eine kleine Öffnung im Vorhang das Hauptlokal ungestört beobachten, und während Simmy seine ironischen Bemerkungen machte, hatte Pony zwei junge Leute das Lokal betreten sehen, die sich schwankend ihren Weg zur Bar suchten. Auch wenn er sie nicht gesehen hätte, würde er sie doch gehört haben; denn einer von ihnen sorgte dafür durch lautes Grölen. Gespannt erhob sich Pony und blickte durch die Öffnung des Vorhangs ins Nebengemach. Er wußte, daß das Wunder, von dem Simmy so ironisch gesprochen hatte, eingetreten war. Stille heischend, hob er die Rechte, aber seine Warnung war überflüssig, denn die Teilnehmer am Festmahl hatten den Ausdruck auf dem Gesicht ihres Führers schon richtig gedeutet.
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