Ich bin erleichtert, dass sich einige junge Leute noch der Ernsthaftigkeit des Themas Tabakgenuss bewusst zu sein scheinen. Darüber hinaus kann ich jedoch nur feststellen, dass die betreffende Bemerkung das unmittelbare Resultat meiner ganz eigenen Gedanken gewesen ist. Soeben in diesem Moment. Und machen Sie Sich nicht allzu viele Sorgen über meinen – wie nannten sie es? dozierenden Tonfall. Das wird mir häufiger nachgesagt. Es liegt lediglich daran, dass das meiste, was ich von mir gebe, von so fundamentaler Bedeutung ist.
Da bin ich aber sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, entgegnete ich mit vorsichtiger Ironie und stellte mich vor.
Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Mein Name ist Dewil.
Devil? wiederholte ich ungläubig, ohne mir ein leises Schmunzeln verkneifen zu können. Ist das nicht ein kleinwenig – theatralisch?
Oh, unbedingt. Infantil wäre ein weiterer nur allzu treffender Begriff. Zumindest wenn ich mir die Jugend dieses Jahrhunderts und ihre Bräuche genauer besehe. Lady Dumbleton würde es gewiss als ordinär bezeichnen. Aber das ist kein Wunder, sie bezeichnet so gut wie alles als ordinär.
Lady Dumbleton?
Ich bitte aufrichtig um Verzeihung für diese Ungenauigkeit. Natürlich ist Ihnen die Dame unbekannt. Lady Dumbleton gehört gewissermaßen zum ungeliebten Teil der Familie.
Gibt es in Ihrer Familie Streit?
Selbstverständlich. Aber das hat nichts mit Lady Dumbleton zu tun. Um ehrlich zu sein: ich kann so gut wie keines meiner Familienmitglieder ausstehen. Insofern gehören sie alle zum ungeliebten Teil.
Ich verstehe. Und Sie sagten, Ihr Name sei Devil?
Sie brauchen das gar nicht so pikiert zu intonieren, mein Lieber. Man kann schließlich nichts für seinen Namen. Darüber hinaus möchte ich sie der Vollständigkeit halber davon unterrichten, dass mein Name mit W geschrieben wird.
Dewil?
Ganz recht. Dewil.
Dann sind Sie also…
Aber bitte! Scheuen Sie Sich nicht, die hiesige Form der Anrede beizubehalten und mich zu duzen . Wenn sie erlauben, wahre ich meinerseits weiterhin die mir vertraute gesellschaftliche Etikette. Das gibt mir immer ein so sicheres Gefühl. Außerdem stehe ich Veränderungen seit jeher höchst skeptisch gegenüber. Besonders wenn sie mir nicht zu meinem unmittelbaren Vorteil gereichen.
Kennen Sie … kennst Du einen jungen Schriftsteller, der in dieser Bar hier verkehrt? fragte ich schließlich doch.
Noch einen? sagte er und zog die Augenbrauen hoch. Ich weiß nicht, vielleicht… Was wollen Sie denn von ihm?
Nun, ich habe gestern zufällig ein Manuskript gefunden, das er offenbar verloren hat. Und wollte es ihm zurückgeben.
Ach, das ist aber interessant!
Ich konnte mir nicht verkneifen, einen Blick hineinzuwerfen, sagte ich und zog die Seiten hervor. Ich glaube, ich kann seine Gedanken verstehen! Sie sind wirklich … faszinierend.
Sie erlauben?
Der Mann, der sich mir mit dem Namen Dewil vorgestellt hatte, saß neben mir auf dem Barhocker und las die gerade entstandenen Notizen. Obwohl ich es nicht näher erklären kann, habe ich den Verdacht, dass er die Papiere nur zum Schein studierte. Während er in Wahrheit schon längst über deren Inhalt bescheid wusste.
Mein lieber Freund, ich beglückwünsche Sie. Beziehungsweise: Ihren Freund! Er hat den richtigen Weg eingeschlagen.
Dann kennst Du ihn also?
Ich glaube schon.
- 3 -
Meine Finger begannen zu zittern und mein Herzschlag verschnellerte sich. Offanbar stand ich kurz davor, das Geheimnis um den unbekannten Verfasser endlich zu lüften…
Und? fragte ich begierig. Wie ist sein Name?
Sein Name, ja richtig … das ist eine gute Frage! Ich fürchte, ich weiß nicht mehr so genau… Aber ich erinnere mich, dass er für unsere Unterhaltung nicht besonders wichtig war.
Und wie sah er aus?
Eigentlich sah er so aus wie Sie.
So wie ich?
Nunja, ein junger Mann um die dreißig. Schlank, mittelgroß. Nicht unansehnlich.
Und? Hatte er irgendwelche … besonderen Merkmale?
Sie meinen ein Holzbein? Oder einen Affen auf der Schulter? Nein.
Nein, ich meine, hatte er … dunkles Haar? Oder trug er … Jeans?
Jaja, dunkles Haar. Und, äh, Jeans.
Ich rang verzweifelt mit den Händen. Und worüber haben Sie Sich unterhalten? fragte ich schließlich kapitulierend.
Jetzt kommen wir der Sache schon näher! entgegnete Dewil beschwingt. Es ging um die Kunst.
Aha, Sie sind also auch so etwas wie ein Künstler?
Sogar genau so etwas! Streng genommen der einzig wahre und vollkommene Typus des Künstlers: Ich bin Schriftsteller.
…genau wie der junge Mann, nach dem ich auf der Suche bin, murmelte ich.
Ach, sind Sie das? Interessant! entgegnete Dewil.
Aber das sagte ich doch.
…bisher sagten Sie nur, dass Sie ihm sein Manuskript zurückgeben wollten. Nicht dass Sie nach ihm auf der Suche seien. Aber das macht nichts. Im Gegenteil: das ist gut!
Und … was schreiben Sie so? fragte ich in Ermangelung eines besseren Einfalls.
Ich schreibe überhauptnichts einfach so, junger Freund. Ich schreibe die Wahrheit.
Und was ist die Wahrheit?
Die Wahrheit ist Schönheit.
Das verstehe ich nicht.
Nun, das hat Ihr junger Freund anfangs auch gesagt…
Glauben Sie … ich meine: können Sie mir helfen … ihn zu finden?
Womöglich. Ich denke, das hängt von Ihnen ab.
Von mir?
Ganz recht, von Ihnen. Beziehungsweise von Ihrer Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen.
Und was ist die richtige Frage?
Jetzt enttäuschen Sie mich ein wenig, mein Lieber. Für das Erlanguen einer Erkenntnis ist kaum etwas so fundamental wie die autonome Erschließung der richtigen Fragestellung…
Na gut. Meine Frage ist ganz einfach: ich möchte wissen, wer dieser unbekannte Schriftsteller ist.
Ausgezeichnet! Dann fragen Sie mich danach!
Aber Sie sagten doch, Sie wüssten es nicht! Sie können Sich weder an sein Aussehen noch an seinen Namen erinnern…
Sind das Aussehen und ein Name für Sie ernstlich gleichbedeutend mit der Antwort auf die Frage, wer jemand ist…?
Ich hielt einen Moment inne und dachte nach.
Na schön, hob ich nach einer Weile an. Da wir mit Äußerlichkeiten offenbar nicht weiterkommen, möchte ich wissen, worüber Sie Sich unterhalten haben. Was hat der junge Mann gesagt? Hatte es mit seiner Arbeit zu tun?
Sehen Sie! entgegnete mein Gesprächspartner mit dem Namen Dewil beschwingt. Das ist eine Frage, auf die ich Ihnen eine Antwort geben kann…
- 3 -
Dewil nickte dem Barmann zu und dieser servierte zwei blankpolierte Pintgläser mit rostfarbenem Ale, auf denen dünne weiße Schaumkronen schwebten. Dazu zwei zierliche Cognacschwenker aus blitzendem Kristall und eine eckige Glasflasche ohne Etikett, deren kurzer runder Hals von einem dicken, in einen mächtigen Holzknauf eingefassten Korken verschlossen wurde. Die samtige Tinktur leuchtete aus dem Inneren wie flüssiger Bernstein.
Während uns ein großer goldener Aschenbecher gereicht wurde, öffnete Dewil ein silbernes Etui voll würzig duftender Zigarillos und sortierte alle Utensilien feinsäuberlich auf dem Tresen wie ein Chirurg sein Operationsbesteck.
Also, es ging um einen Herrn namens … Sie erlauben? sagte Dewil und fingerte in dem Manuskript. Ah ja, hier steht es: Harting. Kennen Sie diesen Gentleman?
Soweit ich weiß, ist er ein erfolgreicher Gegenwartsautor, entgegnete ich. Von Kriminalromanen. Aber ich würde ihn nicht unbedingt als Schriftsteller bezeichnen…
Täusche ich mich, mein junger Freund, oder höre ich da so etwas wie Sarkasmus in Ihrer Stimme? Nicht dass wir uns falsch verstehen: Ich halte Sarkasmus für eine Art Universaltugend, die in nahezu jeder Lebenslage angebracht ist. Jedoch sollte er immer mit einer Leichtigkeit vorgetragen werden, die ihn nicht als den solchen erscheinen lässt – damit er uns nicht als Verbitterung ausgelegt werden kann.
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