Die größten Dichter der Welt
Die Wichtelmännchen und das Maiglöckchen schauten dem Eichhörnchen nach, wie es am Stamm einer Tanne hinaufkletterte und ihren Blicken entschwand.
„Eigentlich sollten wir Hurzelpurzel und Purzelhurzel morgen eine besondere Freude bereiten“, schlug das Maiglöckchen vor.
„Wie wär’s“, meinte Stöps, „wenn wir ihnen ein Ständchen brächten“
„Nicht schlecht, ich habe allerdings noch nicht genügend Glöckchen an mir hängen. Die an der Spitze sind noch nicht weit genug offen.“
„Wenn die Sonne richtig draufscheint, schaffst du es noch bis morgen“, sagte Stips.
„Leider stehe ich hier zu sehr im Schatten.“
„Wir können dich ja ein bisschen weiter nach links biegen“, schlug Stöps vor.
„Ja, macht das mal, ihr Wichtel, und mit einem Stöckchen könnt ihr mich dann stützen.“
„Aber wenn die Sonne sich im Laufe des Tages dreht…?“, wandte Stups ein.
„Dann dreht ihr mich eben auch, immer der Sonne nach.“
„Also gut, an die Arbeit, Brüder!“
„Halt, Stups!“, rief Stips. „Erst müssen wir noch überlegen, was wir morgen zusammen singen wollen.“
„Ich habe schon eine Melodie“, verkündete Stups, „nämlich die Melodie von unserem bekannten Lied `Hips, höps, hups, wir heißen Stips, Stöps, Stups …´“
Stöps rümpfte die Nase. „Wenn wir zum Festtag schon ein besonderes Ständchen bringen, müssen wir wenigstens ein paar passende Zeilen neu dichten.“
„Da ist mir auch schon was eingefallen“, sprudelte Stups hervor und begann gleich zu singen:
A – b – c –
verschwunden ist der Schnee…
„Das hättet ihr singen können, als die Schneeglöckchen noch blühten“, meinte das Maiglöckchen, „nämlich vor drei Monaten.“
„Dann singen wir eben:
C – b – a -
der Frühling ist jetzt da…
„Wenn dir nichts Besseres einfällt, Stups, dann lassen wir lieber den Mund beim Singen zu“, erklärte Stöps.
„Ihr könnt ja auch mal mit überlegen, statt nur immer herumzumeckern.“
„Gut, wir denken alle mal darüber nach, was wir eigentlich singen wollen“, schlug Stips vor. „Sobald jemand glaubt, einen besonders guten Text gedichtet zu haben, singt er ihn vor.“
„Und wenn er uns gefällt, dann üben wir ihn ein“, sagte Stups.
„Und ich“, fiel das Maiglöckchen ein, „ich läute dazu, bis mir die Puste ausgeht.“
„Gut, Maiglöckchen“, stimmte Stips zu, „wir legen uns jetzt dort hinten ins Moos und dichten.“
„Ja, wir dichten! Wir sind die größten Dichter der Welt“, riefen Stöps und Stups, froh, sich wieder langlegen und vielleicht beim Dichten ein wenig dösen zu können.
Hurzelpurzelrich und Purzelhurzelinchen
Die Wichtelmännchen streckten sich also auf dem weichen Moospolster aus und dichteten um die Wette. Wenn einem beim Dichten tatsächlich der Schädel rauchen würde, dann hätte es damals einen richtigen Waldbrand geben müssen: So legten Stips, Stöps und Stups los!
Es dauerte lange, bis sie schließlich eine Strophe zusammengereimt hatten, die allen gefiel. Aber vor Sonnenuntergang hatten sie mit dem Maiglöckchen das Ständchen eingeübt. Und nicht nur das! Durch die Sonne waren auch die oberen Blütenglöckchen schon aufgesprungen, so dass das Maiglöckchen jetzt noch viel besser und lauter läuten konnte.
Die drei Wichtel waren zwar alle recht müde von der Arbeit, die sie so sehr angestrengt hatte, aber schlafen konnten sie deshalb noch lange nicht: So aufgeregt waren sie. Zu allem Überfluss klagten auch noch die Waldkäuzchen in allen Ecken und Winkeln.
Sie freuten sich deshalb richtig, als endlich die Nacht vorüber war und der Morgen graute. Neugierig eilten sie aus ihrer Wohnung in der alten Buche und erkundigten sich beim Maiglöckchen:
„Na, hast du heute Nacht etwas gemerkt?“
„Ja, ich glaube, die Kinderchen sind da.“
„Hast du sie denn schon gesehen?“, wollte Stips wissen.
„Das noch nicht“, erwiderte das Maiglöckchen, „aber ich habe gehört, wie Hurzelpurzel vor einer Stunde seine Frau Purzelhurzel geküsst hat.“
„Was…, richtig geküsst?“
„Ja, und er hat dabei ganz froh gesagt: `Du bist eine wirklich brave Frau, Purzelhurzel!´ Und sie hat darauf geantwortet: `Jetzt sind wir eine große Familie.´ “
„Kein Zweifel, Brüder, die Kinderchen sind da!“, jauchzte Stöps.
„Dann wollen wir also gleich den glücklichen Eltern unser Ständchen bringen“, schlug Stips vor.
„Ich gebe den Einsatz!“, verkündete Stups und strahlte übers ganze Gesicht, als er wie ein Dirigent die Arme hob. „Also dann – drei – vier…!“
Und schon schmetterten die Wichtelmännchen lauthals los, begleitet vom Geläute des Maiglöckchens:
Ri-ru-ra!
Die Kinderchen sind da.
Und sie auch noch klitzeklein,
gefüttert woll‘n sie dauernd sein.
Ri-ru-ra!
Die Kinderchen sind da.
Nach der ersten Strophe unterbrachen die Wichtelmännchen ihren Gesang.
„Glaubt ihr, dass sie uns gehört haben?“, fragte Stips die anderen.
„Laut genug haben wir jedenfalls gesungen“, erklärte Stups und hob wieder die Arme. „Die zweite Strophe, Brüder! Drei – vier…!“
Ri-ru-ra!
Wie freut sich die Mama.
Sie tätschelt ihre Kinderlein,
der Papa hält das Nestchen rein.
Ri-ru-ra!
Die Kinderchen sind da.
Sie hatten die zweite Strophe kaum beendet, als das Maiglöckchen rief:
„Da, seht doch, Hurzelpurzel guckt über den Nestrand!“
Zuerst bemerkten sie allerdings nur den buschigen Schweif, der aus dem Kugelnest ragte, und dann äugte Hurzelpurzel tatsächlich hinunter und lobte:
„Bravo, bravo, meine Freunde, das ist aber eine Überraschung!“
„Kann man euch beglückwünschen?“, fragte Stups erwartungsvoll.
„Aber klar!“, erwiderte Hurzelpurzel voller Vaterstolz. „Was denkt ihr denn von mir…?“
„Wie viele Kinderchen sind denn heute Nacht angekommen?“, erkundigte sich das Maiglöckchen.
„Es sind zwei, ein Junge und ein Mädchen, ein Pärchen also, genau wie wir es uns gewünscht haben.“
„Nein, so eine Freude!“, rief Stips. „Da müssten wir eigentlich noch eine Strophe singen.“
„Erst muss ich wissen, wie sie heißen“, drängte das Maiglöckchen wissbegierig.
„Der Junge heißt Hurzelpurzelrich und das Mädchen Purzelhurzelinchen“, teilte Hurzelpurzel stolz mit.
„Wie süß“, flötete das Maiglöckchen entzückt.
Stöps war nicht länger zu halten. “Darauf müssen wir aber wirklich noch eine Strophe singen!“
„Wir haben doch nur zwei gedichtet.“, gab Stups zu bedenken.
Den Einwand ließ Stöps jedoch nicht gelten. „Dann wiederholen wir eben die erste.
„Aber nicht zu laut, meine Freunde“, bat Hurzelpurzel, „damit die Kleinen nicht aufwachen. Sie haben nämlich gerade erst gefrühstückt und ihr Bäuerchen gemacht, und ihre Bäuchelchen sind ganz rund vom vielen Essen.“
Stips nickte verständnisvoll. „Dann wollen wir also besonders leise singen.“
„Und ich läute nur mit der Hälfte meiner Glöckchen“, sagte das Maiglöckchen.
Ri-ru-ra!
Die Kinderchen sind da.
Und sie auch noch klitzeklein,
gefüttert woll‘n sie dauernd sein.
Ri-ru-ra!
Die Kinderchen sind da.
Das war wirklich ein schönes Geburtstagsständchen, dachten alle, als der letzte Ton verklungen war. Zufrieden mit sich und der Welt zogen sich die drei Wichtel danach in ihre Wohnung zurück, um nach dieser Anstrengung erst einmal tüchtig zu frühstücken.
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